Berlin. Die USA gestatten der Ukraine fortan, tief in russisches Territorium zu schießen. Das Raketensystem dafür haben sie bereits geliefert.

Gut zwei Monate sind es noch bis zum Machtwechsel in den Vereinigten Staaten. Am 20. Januar wird der scheidende US-Präsident Joe Biden sein Amt an Donald Trump übergeben. Der behauptete im Wahlkampf, er werde Russlands Krieg in der Ukraine „innerhalb von 24 Stunden“ beenden – ohne zu sagen, wie das gehen soll.

In den letzten Wochen seiner Amtszeit versucht Biden noch einmal, das überfallene Land militärisch zu stärken: Wie US-Medien berichten, gestattet Biden der Ukraine nach langem Zögern nun doch, amerikanische Raketen mit größerer Reichweite für Angriffe gegen bestimmte Ziele tief in russischem Territorium einzusetzen. Es handelt sich um Waffen vom Typ ATACMS. Die Abkürzung steht für „Army Tactical Missile Systems“. Die Raketen haben eine Reichweite von etwa 300 Kilometern. Bisher gestatteten die USA und Verbündete der Ukraine nur, ihre Waffen auf russischem Territorium bei der Abwehr der Offensive gegen das ostukrainische Charkiw einzusetzen. Die Systeme dort haben aber eine deutlich geringere Reichweite.

Berichte: Biden erlaubt Ukraine Angriffe auf russische Ziele
Die US-Armee feuert eine ATACMS-Rakete in Südkorea ab (Archivbild). Der amerikanische Präsident Joe Biden soll der Ukraine nun gestattet haben, das System gegen Ziele in Russland einzusetzen. © DPA Images | -

ATACMS könnte gegen Waffendepots und Nachschublinien eingesetzt werden

Mit der ATACMS-Freigabe gibt Biden dem Drängen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nach. Sie kommt zu einem Zeitpunkt, an dem russische und nordkoreanische Truppen eine Gegenoffensive in der russischen Region Kursk vorbereiten. Das ukrainische Militär war im Sommer dort eingedrungen und hält die Gegend seitdem besetzt. Die „New York Times“ schreibt am Montag, es sei wahrscheinlich, dass die ATACMS jetzt zunächst im Gebiet um Kursk eingesetzt würden, um die ukrainischen Truppen zu unterstützen.

Diese können dann beispielsweise gegen russische Luftwaffenstützpunkte im Hinterland gerichtet werden, gegen Waffendepots oder Nachschublinien – oder gegen Ansammlungen russischer und nordkoreanischer Soldaten. Die Raketen werden mit Gefechtsköpfen bestückt, die rund 170 Kilogramm an Sprengstoff tragen. Es gibt dafür zwei Varianten: eine mit Streubomben, die vorrangig dazu dient, möglichst viele feindliche Soldaten zu töten. Und eine mit einer einzelnen Sprengladung, die möglichst große und präzise Sachschäden verursachen soll. Russlands Machthaber Wladimir Putin soll bei Kursk 50.000 russische und nordkoreanische Soldaten zusammengezogen haben.

Auch interessant

ATACMS: Die USA setzten das System bereits am Golf ein

Hersteller des Systems ist der US-Konzern Lockheed Martin, die Entwicklung der ersten Generation begann in den 1980er Jahren. Die Raketen werden von mobilen Plattformen abgefeuert. Laut „New York Times“ setzten die Vereinigten Staaten das System in den Golfkriegen von 1991 und 2003 ein. Biden hatte bereits im vergangenen Jahr zugestimmt, ATACMS an die Ukraine zu liefern. Es sei um mehrere Hundert Raketen gegangen, schreibt das Blatt. Der Präsident erlaubte den Ukrainern aber zunächst nicht, diese gegen Ziele in Russland einzusetzen. Vielmehr gab es nur die Erlaubnis, russische Ziele in besetzten ukrainischen Gebieten anzugreifen – inklusive auf der Krim.

Auch interessant

„Es ist also unklar, wie viele Raketen die Ukrainer noch in ihren Arsenalen haben, um sie in der Region Kurs einzusetzen“, schreibt das Blatt. Der US-Sender CNN berichtet, es sei auch unklar, ob die Vereinigten Staaten der Ukraine jetzt noch zusätzliche ATACMS aus ihren eigenen Beständen liefern – oder ob die jüngsten Beschlüsse nur die „relativ wenigen“ Raketen betreffen, über die die Ukraine noch verfüge.

Mehr Reportagen von Kriegsreporter Jan Jessen