Berlin. Trans-Personen können ab jetzt per Selbstauskunft den Geschlechtseintrag ändern. Ayrin Benu Beck hat schon einen Termin beim Amt.
Am 1. November tritt das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) in Kraft. Es ermöglicht es, den Geschlechtseintrag in offiziellen Dokumenten durch eine Erklärung beim Standesamt zu ändern. Bislang waren dazu ärztliche Gutachten notwendig. Die Geschlechtsangabe kann in weiblich, männlich oder divers geändert – oder ganz gestrichen werden.
Ayrin Benu Beck (41) bereitet sich schon auf den anstehenden Termin im Standesamt vor. „Ich bin tatsächlich ein wenig nervös. Weniger wegen des Termins an sich, sondern wegen der Unsicherheit, ob mein Standesamt eine Änderung der Vornamensanzahl akzeptiert“, sagt Beck. Denn: Bei der Korrektur des Geschlechtseintrags sollen Personen einen neuen Vornamen wählen, der dem eingetragenen Geschlecht entspricht. Das Bundesministerium des Innern (BMI) hatte zunächst festgelegt, dass die Anzahl der Vornamen gleich bleiben müsse. Diese Regelung wurde zwar später aufgehoben, doch die Umsetzung variiert nun zwischen den Standesämtern.
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Für Beck, beruflich in der Informatik tätig, fallen mit dem SBGG die letzten Hürden zur offiziellen Anerkennung des Namens und der nicht-binären Identität weg. „Für mich bedeutet das Selbstbestimmungsgesetz, dass ich die letzten zehn Prozent noch offiziell abschließen kann.“ Schon jetzt tauche der alte Name nur in rechtlichen Dokumenten, bei der Krankenkasse oder in Bankunterlagen auf. „Das konnte ich nicht anpassen, solange der Name nicht in meinen offiziellen Dokumenten geändert ist.“ Ansonsten sei Beck im Alltag kaum noch mit dem alten Namen konfrontiert. Der Freundeskreis nutze ihn schon seit über einem Jahrzehnt nicht mehr.
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Expertin: Selbstbestimmungsgesetz ist lang überfällig
Petra Weitzel, erste Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Trans*- und Inter*geschlechtlichkeit (dgti e.V.), begrüßt das neue Gesetz als längst überfällig. Es erkenne endlich die Entscheidungskompetenz von nicht-binären, trans- und intergeschlechtlichen Personen an. „Lange Zeit wurde behauptet, dass ‚Transsexualität‘ eine psychische Störung sei. Dass das nicht so ist, hat die WHO bereits vor über fünf Jahren klargestellt“, erklärt Weitzel. Auch das Bundesverfassungsgericht habe immer wieder bekräftigt, dass die geschlechtliche Identität eines Menschen nicht allein vom Körperzustand abhänge. Das SBGG ermögliche es nun, rechtlich eigenständig über den Geschlechtseintrag und Vornamen zu entscheiden.
Das SBGG ersetzt das Transsexuellengesetz (TSG) von 1981, das bislang hohe Hürden für die rechtliche Änderung des Geschlechtseintrags vorsah. Für Ayrin Benu Beck kam eine Anpassung des Personenstands bisher nie infrage. „Erst der Entwurf des SBGG mit seiner expliziten Erwähnung von nicht-binären Menschen hat mich überhaupt auf die Idee gebracht, meine Identität auch rechtlich zu verankern.“
Außerdem seien die hohen Anforderungen abschreckend gewesen: „Ich hätte zwei psychiatrische Gutachten einholen müssen, die ich aus eigener Tasche bezahlen müsste – Kosten bis zu 2000 Euro.“ Laut Weitzel waren diese Kosten besonders für finanziell benachteiligte Menschen ein großes Hindernis. „Dadurch war die rechtliche Anerkennung des Geschlechts im Grunde vom Einkommen abhängig“, kritisiert sie. Zudem seien die Fragen in diesen Gutachten oft übergriffig gewesen und hätten sich auf das Sexualleben der Personen konzentriert, obwohl das nichts mit dem erlebten Geschlecht zu tun habe.
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Wie populistische Kreise versuchten, Ängste zu schüren
Eine zentrale Neuerung des SBGG ist das Offenbarungsverbot. Dieses soll Betroffene davor schützen, dass ihr früherer Geschlechtseintrag oder alter Name ohne Zustimmung verbreitet werden. Außerdem können nach den neuen Regelungen rechtliche Schritte gegen absichtliches Misgendern eingeleitet werden, mit Strafen von bis zu 10.000 Euro – vorausgesetzt, es besteht eine schädigende Absicht. Diese sei allerdings schwer nachzuweisen, insbesondere im familiären Umfeld, kritisiert Weitzel. „Das Gesetz sollte hier stärker greifen, um den Schutz der Betroffenen weiter zu verbessern.“
Vor der Verabschiedung des SBGG sei die öffentliche Debatte von den zentralen Aspekten des Gesetzes abgekommen. „Manche Menschen hatten die Befürchtung, dass Männer durch das SBGG massenhaft in ‚Frauenschutzräume‘ eindringen könnten, was ich für totalen Unsinn halte“, sagt Beck. Denn eine Person, die anderen schaden wolle, würde das auch tun, ohne einen formellen Änderungsprozess zu durchlaufen. „Belästigung und Missbrauch bleiben Straftaten, ganz gleich, welches Geschlecht im Pass steht.“ Die übertrieben geführte Debatte habe dem Geschlechtseintrag eine Bedeutung beigemessen, die er in der Realität nicht besitze. Beck vermisste hier Beistand von öffentlicher Seite: „Es hätte klar kommuniziert werden müssen, dass die Befürchtungen von Übergriffen realitätsfern sind.“
Weitzel erklärt, dass diese Diskussionen oft durch populistische Kreise angeheizt wurden, um Ängste zu schüren. Wie durch die Behauptung, das SBGG fördere geschlechtsangleichende medizinische Behandlungen bei Jugendlichen. „Erzählungen von angeblicher sozialer Ansteckung sollen die Selbstaussagen Jugendlicher entwerten und die Möglichkeit zur ‚Heilung‘ suggerieren“, erklärt Weitzel. Dabei gehe es im SBGG ausschließlich um rechtliche Anpassungen, nicht um medizinische Eingriffe.
SBGG: An diesen Stellen braucht es noch Nachbesserungen
Obwohl das SBGG erste Fortschritte bringe, gebe es weiterhin Bedarf an Nachbesserungen. So fehlt Weitzel zufolge eine Verpflichtung für Privatunternehmen, geschlechtsneutrale Anreden zu ermöglichen. Offiziell gebe es zwar den Personenstand „divers“ oder keinen Geschlechtseintrag, „die betroffenen Menschen müssen jedoch den Verzicht auf die Anrede Herr oder Frau in einem Online-Portal häufig erst über das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz einklagen.“
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Die ungleiche Umsetzung des SBGG durch die Bundesländer führe zudem zu zusätzlichen Hürden. Zwar ist für Minderjährige die Erklärung, beraten worden zu sein, überall Pflicht, der Freistaat Bayern habe die Standesämter allerdings angewiesen, „sie sollen auch erklären, wer sie beraten hat und wann“, sagt Weitzel. Dabei sollen die Standesämter überwiegend auf psychologisch-psychiatrische Fachkräfte verweisen. „Beratungsstellen aus dem queeren Bereich stehen nicht auf der Liste.“ Dies führe zu einer einseitigen Beratung, da viele dieser Fachkräfte nicht über dieselben Alltagserfahrungen verfügen.
Trotz dieser Herausforderungen betrachtet Beck das SBGG als einen guten Kompromiss und schlägt nun eine Reform des Namensänderungsgesetzes vor. Denn die Möglichkeit, den eigenen Namen zu ändern, könnte einige Anträge nach dem SBGG überflüssig machen könnte. „Es stellt sich die Frage, ob wir den Geschlechtseintrag überhaupt benötigen“, sagt Beck. Die aktuellen Regelungen versuchten lediglich, das patriarchal strukturierte System etwas gerechter zu gestalten. „Meiner Meinung nach sollten wir jedoch an den Wurzeln ansetzen und diese Denkweise grundsätzlich hinterfragen.“
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