Berlin. Durch den Fachkräftemangel bleiben viele Stellen unbesetzt. Gleichzeitig finden Akademiker oft jahrelang keinen neuen Job. Woran liegt das?

Hunderte Absagen, die meisten beginnen mit denselben Worten: „Wir haben eine Vielzahl an Bewerbungen erhalten.“ Bewerbungsprozesse erstrecken sich über Wochen. Oder Unternehmen antworten gar nicht erst. Für viele Akademiker ist das eine ernüchternde Realität. Zwar liegt die Arbeitslosenquote bei ihnen nach wie vor unter dem Durchschnitt, doch in den vergangenen Jahren ist sie gestiegen. In Zeiten des Fachkräftemangels eigentlich undenkbar. Warum also haben hoch qualifizierte Fachkräfte zunehmend Schwierigkeiten, eine passende Stelle zu finden?

Auch Stefan Müller (Name geändert) kennt dieses Problem. Er ist Elektronikentwickler bei einem großen Zulieferer der Automobilindustrie. Seit einem Jahr sucht Müller nach einer neuen beruflichen Herausforderung – bisher erfolglos. „Ich bin vor Corona zur Boomzeit der Entwicklung des autonomen Fahrens in die Automobilindustrie gekommen. Ein Teil meiner Tätigkeit – diese Technologie voranzutreiben“, sagt Müller. Doch in den letzten Jahren habe sich sein Arbeitsumfeld verändert. „Die Ressourcen für die Entwicklung wurden stark reduziert, und durch die Wirtschaftskrise gibt es immer weniger innovative Projekte“, so Müller. Die Folge: Die Arbeit sei uninteressanter geworden. „Autonomes Fahren wäre für mich sinnvoll und interessant gewesen. Stattdessen entwickle ich aktuell nur die nächste Generation von Elektronik, die es bereits gibt.“

Auch interessant

Der Wunsch nach sinnvollen Aufgaben und persönlicher Weiterentwicklung treibt hoch qualifizierte Fachkräfte auf den Arbeitsmarkt. Doch selbst gut ausgebildete Experten finden nicht leicht eine neue Stelle. Besonders in der Automobilindustrie stecken viele Firmen in einem Dilemma: Sie müssen sparen, wollen aber gleichzeitig keine Arbeitsplätze abbauen. Müller, der einen Doktortitel hat, wollte sich ursprünglich innerhalb des Unternehmens weiterentwickeln. Ohne Erfolg. „Die Unternehmen bemühen sich in erster Linie, keine Mitarbeiter zu entlassen. Wie soll ich da intern vorankommen?“

Arbeitsmarkt: Chancen für Akademiker stehen eigentlich nicht schlecht

Bernd Fitzenberger, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), ist dennoch optimistisch: „Ich würde nicht sagen, dass es für hoch qualifizierte Arbeitskräfte generell schwierig ist, eine Stelle zu finden. Die Arbeitslosenquote in diesem Bereich zeigt keine Anzeichen einer drohenden Massenarbeitslosigkeit.“

Laut der Bundesagentur für Arbeit lag die Arbeitslosenquote für Akademikerinnen und Akademikern 2023 bei 2,5 Prozent, was immer noch als Vollbeschäftigung gilt. Im Jahr zuvor waren es noch 2,2 gewesen. Zum Vergleich: Bei den Frauen und Männern ohne Berufsabschluss beträgt die Arbeitslosenquote 20 Prozent. Dass im Vergleich zu 2022 die Zahl der arbeitslosen Akademiker um 19 Prozent auf 243.000 gestiegen ist, sei auch auf die vielen hoch qualifizierten Geflüchteten zurückzuführen.

Bernd Fitzenberger, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
Bernd Fitzenberger ist Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). © Wolfram Murr Photofabrik | Wolfram Murr Photofabrik

Dennoch sieht auch Fitzenberger, dass es aktuell länger dauern kann, die richtige Position zu finden, besonders bei attraktiven Arbeitgebern. Diese könnten sich heute – anders als noch vor zwei Jahren, als es Rekordzahlen an offenen Stellen gab – ihre Bewerberinnen und Bewerber verstärkt aussuchen. Die Dauer der Jobsuche hänge auch von der Art der angestrebten Position ab. Denn: Das Hochschulsystem bilde in manchen Branchen über dem Bedarf aus. Wer eine spezialisierte Ausbildung habe, brauche meist länger, um die richtige Nische zu finden, oder muss in ein anderes Berufsfeld wechseln. Trotzdem finden hoch qualifizierte Arbeitskräfte laut Bundesagentur für Arbeit vergleichsweise schnell einen neuen Job: Im Jahr 2023 waren 63 Prozent der arbeitslosen Akademikerinnen und Akademiker weniger als sechs Monate ohne Beschäftigung. Nur 18 Prozent suchten länger als ein Jahr einen neuen Job.

Diesen Vorurteilen begegnen Akademiker bei der Jobsuche

Müller, der aus seinem aktuellen Job heraus sucht, wäre auch bereit, in andere Branchen zu wechseln, aber die Gehaltsvorstellungen der Firmen passen oft nicht zu seiner Qualifikation und Erfahrung. „Die Unternehmen hätten gerne Experten, sind aber nicht bereit, sie angemessen zu bezahlen“, sagt er. Ihm seien Gehälter angeboten worden, die deutlich unter seinem aktuellen Verdienst liegen. Denn: Viele Unternehmen suchten oft nach Mitarbeitern, die bereit sind, für weniger Geld zu arbeiten – oder umzuziehen. „Wäre ich ungebunden und könnte umziehen, würde ich bestimmt schnell etwas finden“, sagt Müller. Doch das sei für ihn aktuell keine Option.

Auch interessant

Ein weiteres Hindernis seien Vorurteile gegenüber erfahrenen Bewerberinnen und Bewerbern. „Mir wurde mehrfach gesagt, dass ich für bestimmte Stellen überqualifiziert sei“, sagt Müller. Firmen befürchteten, dass hoch qualifizierte Fachkräfte in schlechter bezahlten Positionen nicht lange bleiben würden, sich schwer ins Team einfügen könnten oder zu viele neue Ideen einbringen würden. Auch Müller ist das schon passiert: „Ich habe selbst versucht, Dinge bei meiner Arbeit zu modernisieren, wurde aber schnell darauf hingewiesen, dass ich das besser lassen sollte“, erzählt er.

Die Suche nach einer passenden Stelle bleibt also für viele Akademikerinnen und Akademiker ein langer Prozess. Ein Kollege von Müller habe fast drei Jahre gebraucht, um eine neue Position zu finden. „Für eine passende Stelle muss man mehrere Jahre einplanen“, sagt Müller. Andere Kollegen überlegten, sich ins Ausland abzusetzen, da dort die Arbeitsbedingungen attraktiver seien. Das kommt für Müller nicht infrage. Der Elektronikentwickler bleibt optimistisch und plant, seine Stellensuche in Deutschland fortzusetzen.