Brüssel. Verschärfter Migrationskurs in der EU: Polen und Italien preschen vor, die Kommission plant neue Gesetze. Auch Deutschland macht Druck.
Die Männer aus Bangladesch und Ägypten wollten mit dem Boot übers Mittelmeer nach Italien, um dort Asyl zu beantragen. Doch in Italien kamen sie nicht an, stattdessen endet ihre Überfahrt in Albanien – und wird zu einem europaweiten Politikum. Die 16 Migranten sind die ersten Asylbewerber in der EU, über deren Antrag in Lagern außerhalb der Europäischen Union entschieden wird. Die italienische Küstenwache nahm die Gruppe am Montag auf hoher See an Bord und übergab sie an ein Schiff, das umgehend Kurs auf den albanischen Adriahafen Shengjin nahm. Dort sollten die Männer am Mittwoch eintreffen und im nahegelegenen Asylzentrum Giader festgehalten werden, bis italienische Beamte über ihr Schutzbegehren entschieden haben.
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Nur wer anerkannt wird, darf von Albanien nach Italien, die anderen sollen zurück in ihre Herkunftsstaaten gebracht werden. Die italienische Regierung unter Giorgia Meloni hatte den Deal mit Albanien abgeschlossen, insgesamt 36.000 Asylbewerber im Jahr – ausschließlich Männer – sollen im Westbalkan-Staat in zwei Aufnahmezentren unter italienischer Verwaltung den Ausgang ihrer Verfahren abwarten. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl protestiert, warnt vor „gravierenden Menschenrechtsverletzungen“. Doch die EU hat ihren Segen erteilt: Aus den praktischen Erfahrungen in Albanien könne die EU lernen, erklärt Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die Union wolle gemeinsam mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk an Lösungen arbeiten, um Asylanträge schon in sicheren Drittstaaten zu ermöglichen und Migranten die gefährliche Überfahrt übers Mittelmeer zu ersparen. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sieht den Deal als „interessantes Modell“.
Das Albanien-Experiment steht symbolisch für die Entschlossenheit von EU-Staaten, neue Wege zu einer härteren Migrationspolitik zu gehen. Unter dem Eindruck hoher Asylbewerberzahlen und aufgewühlter innenpolitischer Debatten ziehen einige Regierungen die Notbremse, andere fordern Brüssel zu neuen Maßnahmen auf. Bei einem EU-Gipfel am Donnerstag soll die irreguläre Migration das große Thema einer „vertieften strategischen Debatte“ werden. Zu bereden gibt es viel. Kurz vor dem Gipfel kündigte die polnische Regierung unter Premier Donald Tusk an, das Asylrecht für Neuankömmlinge vorübergehend aussetzen zu wollen. Grund: Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko lässt Migranten offenbar gezielt aus dem Nahen Osten und Afrika in sein Land einfliegen, um sie über die Grenze nach Polen zu schicken – als „hybride Waffe“, wie Tusk sagt. Aus Belarus seien dieses Jahr schon 26.000 Flüchtlinge eingereist, klagt Tusk und warnt, Lukaschenko plane eine gewaltsame Provokation mit einer „heißen Grenz- und Migrationskrise“.
Doch in Brüssel droht Polen Ärger. Zwar teilt die Kommission die Einschätzung, dass es sich um einen Versuch von Belarus und Russland handelt, die EU-Staaten zu destabilisieren. Aber: Als EU-Mitglied habe Polen „die Verpflichtung, den Zugang zum Asylverfahren sicherzustellen“, erklärt eine Kommissionssprecherin. Einen Wunsch der niederländischen Regierung, aus dem EU-Asylsystem auszusteigen, hatte die Kommission kürzlich schon abgewiesen. Aber Polen und die Niederlande sind mit ihrer Nervosität nicht allein. Beim Gipfel wollen viele Regierungschefs dringend über neue Maßnahmen diskutieren, um irreguläre Migration zu begrenzen. Auf die erst zu Jahresanfang beschlossene Asylreform, die 2026 umgesetzt werden soll, wollen sie nicht warten, der Handlungsdruck wird größer.
Im Blickpunkt vor allem: Die EU müsse mit entschlossenem Handeln auf allen Ebenen dafür sorgen, dass es mehr und schnellere Abschiebungen gebe, heißt es im Entwurf der Gipfelerklärung, der unserer Redaktion vorliegt. Von der Leyen reagierte umgehend noch vor dem Treffen: In einem Schreiben an die Gipfelteilnehmer kündigte sie einen entsprechenden Gesetzentwurf an, um den „Rückführungsprozess wirksam zu straffen“, mit „klaren Kooperationsverpflichtungen für rückgeführte Personen“. Bisher würden nur 20 Prozent der Migranten, die abgeschoben werden sollten, tatsächlich auch ausreisen.
Zugleich sagt die Kommission Unterstützung für Forderungen zu, Teile des neuen Asylpaktes nicht erst 2026, sondern eiligst umzusetzen. Deutschland, Frankreich und Spanien drängen auf mehr Tempo. Die Bundesregierung plant konkret, die beschleunigten Außen-Grenzverfahren für wahrscheinlich chancenlose Asylbewerber vorzeitig anzuwenden. Bei Einreisen über Flughäfen und Häfen würden die Migranten dort festgehalten, die Asylentscheidungen sollen innerhalb weniger Wochen fallen, kündigte Innenministerin Faeser in Brüssel an. Betroffen wären zum Beispiel viele Asylbewerber aus der Türkei.