Berlin. Albaniens Regierungschef Edi Rama über die italienischen Flüchtlingslager in seinem Land, die Korruption und die EU-Perspektive.
Italien bringt Flüchtlinge während der Prüfung ihrer Asylanträge in Albanien unter. Jetzt kommen die ersten Migranten dort an. „Wir leisten einen Beitrag für eine gemeinsame europäische Antwort“, sagt Edi Rama, Ministerpräsident von Albanien und erklärt, warum der gesamte westliche Balkan „so etwas wie ein Check-in-Gebiet für Migranten, die nach Europa wollen“, sein könnte.
Herr Ministerpräsident, Ihr Land nimmt Italien jetzt Flüchtlinge ab. Die beiden Aufnahmelager verwaltet Italien. Sie helfen der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni von der postfaschistischen Fratelli d’Italia, ihre Wahlversprechen umzusetzen. Was bekommt Albanien dafür?
Edi Rama: Es geht nicht darum, Frau Meloni einen Gefallen zu tun. Albanien und Italien unterhalten seit vielen hundert Jahren eine sehr enge, ganz besondere Beziehung. Wir haben auch nicht vergessen, dass Italien unsere Leute aufnahm, als wir Anfang der 1990er Jahre aus der Hölle des Kommunismus entkamen und Hunderttausende Albaner mit Schiffen über die Adria setzten. Und als 2019 in Albanien ein schweres Erdbeben wütete, waren die Italiener die Ersten, die kamen und halfen. Jetzt können wir ihnen helfen. In dem Gebiet gilt italienisches Recht, inklusive des italienischen Migrationsrecht. Klar ist aber, dass höchstens 3000 Personen gleichzeitig in den Lagern sein können – ausschließlich Männer.
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Sie bekommen nichts dafür?
Wir bekommen kein Geld. Unsere Hilfe erklärt sich aus der besonderen Beziehung unserer Länder. Wir denken auch, dass die illegale Migration ein Phänomen ist, dem sich alle europäischen Staaten gemeinsam stellen müssen – unabhängig davon, ob sie schon EU-Mitglieder sind oder nicht. Albanien beansprucht nicht für sich, die Migrationskrise lösen oder anderen Ländern Lektionen erteilen zu können. Wir leisten einen Beitrag für eine gemeinsame europäische Antwort. Grundsätzlich könnte der gesamte westliche Balkan aufgrund seiner Lage so etwas wie ein Check-in-Gebiet für Migranten sein, die nach Europa wollen. Aber auch hier brauchen wir eine gesamteuropäische Strategie.
Was bedeutet das? Würden Sie weitere Lager in Albanien zulassen?
Nein, aber vielleicht andere Länder auf dem Balkan. Viele Flüchtlinge kommen über die Balkanroute. Das ist am Ende Verhandlungssache.
Wird sich Ihr Vorgehen politisch auszahlen und den angestrebten EU-Beitritt Albaniens beschleunigen?
EU-Beitrittsverhandlungen sind eine sehr technische Angelegenheit, da gibt es keine Geschenke. Albanien ist seit 2014 Beitrittskandidat. Wir selbst und die Europäische Kommission sind bereit, mit den formellen Beitrittsverhandlungen zu beginnen. Aber das wird bislang von einigen wenigen Mitgliedstaaten im EU-Ministerrat blockiert. Italien gehört nicht dazu.
Wann wird Albanien Mitglied der Europäischen Union?
Dafür braucht es zweierlei: Ein Land muss im Zuge der Beitrittsverhandlungen den gesamten Bestand an EU-Recht übernehmen. Und die gegenwärtig 27 Mitglieder müssen nicht nur am Ende dem Beitritt zustimmen, sondern auch jeder wichtigen Etappe auf dem Weg dorthin. Unser Ehrgeiz ist es, bis 2030 alle technischen und rechtlichen Voraussetzungen für einen Beitritt zu erfüllen. Wir wollen dann ein Land sein, das mit EU-Staaten vergleichbar ist. Dafür verfolgen wir ein umfangreiches Reformprogramm. Auf das Verhalten der Mitgliedstaaten und die innenpolitischen Debatten bei ihnen haben wir keinen Einfluss.
Die Korruption in Ihrem Land gilt als wesentliches Hindernis für weitere Fortschritte im Beitrittsprozess. Laut der Organisation Transparency International ist Albanien weiterhin eines der korruptesten Länder Europas. Sie sind seit 2013 Regierungschef. Was läuft falsch in Ihrem Land?
Ich habe großen Respekt vor allen Veröffentlichungen zu dem Thema, wenngleich viele von ihnen nur auf Beobachtungen fußen und nicht auf genauen Untersuchungen. Für uns zählt nur ein Bericht – und das ist der Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission. Daran arbeiten Dutzende EU-Experten das ganze Jahr lang rund um die Uhr. Dieser Bericht bescheinigt uns große Fortschritte, etwa im Bereich der Justiz.
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Hat Albanien etwa gar kein Problem mit Korruption?
Natürlich ist das ein großes Problem! Aber wir gehen das mit zahlreichen Reformen systematisch an. Wir modernisieren unseren Staat. Und ich denke, dass wir das Problem eher früher als später in den Griff bekommen werden.
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