Berlin. Wir sollten nicht länger eine Friedens-Show vorgaukeln. Kriege halten die Politik in Atem. Machen wir uns ehrlich und richten uns neu aus.
Im Filmklassiker „The Truman Show“ lebt Truman Burbank in einer Scheinwelt, in Szene gesetzt von einer Produktionsfirma. Großartig gespielt von Jim Carrey wandelt der Protagonist durch ein Leben, das für alle anderen nur Unterhaltung ist. Seine Nachbarn, seine Freunde, seine Arbeitskollegen – alles Schauspieler einer Fernsehserie. Die ganze Stadt ist eine Kulisse. Allein Truman Burbank weiß nicht, dass er Teil einer Inszenierung ist. Bis nach mehr als 10.000 Tagen ein Scheinwerfer wie aus dem Nichts vom Himmel fällt. Truman beschleicht eine leise Ahnung, seine Scheinwelt bröckelt.
An diesem Freitagvormittag gab das Nobelkomitee in Oslo bekannt, dass die japanische Organisation Nihon Hidankyo den renommierten Preis für den Frieden in diesem Jahr erhalten soll. Im Dezember wird es wie jedes Jahr eine schmucke Feier in Stockholm geben, Reden, roter Teppich, royales Flair und eine Million Euro Obolus für den Friedensnobelpreisträger.
Die Welt feiert den Frieden – während in Nahost die Bomben fliegen, in der Ukraine die Panzer rollen, im Jemen ein Bürgerkrieg tobt, die Lage im Pazifik sich im Konflikt mit Großmacht China zuspitzt, in Afghanistan die Taliban mit Gewalt herrschen, in Mali Terrororganisationen brutale Anschläge verüben. In Stockholm feiern sich derweil die Nobeligen in schöner Kulisse – und man fragt sich, wann der Scheinwerfer vom Himmel fällt und auf dem roten Teppich zerschellt. Man fragt sich, wann die westliche Welt aufwacht. The show is over.
Die japanischen Anti-Atom-Aktivisten haben jeden Preis verdient, ihrem Engagement gebührt Respekt. Und doch hätte es in diesem Jahr keinen Friedensnobelpreis geben dürfen. Stattdessen braucht es einen ehrlichen Blick auf die Welt – und der ist wenig preiswürdig. Die lange gültige westliche Friedensordnung ist gescheitert. Organisationen wie die EU (Nobelpreisträger 2012) scheitern mit Friedensbemühungen in Nahost, die Vereinten Nationen wirken machtlos wie lange nicht. Die USA, einst selbsternannter Weltpolizist, zieht sich auf ein „America First“ zurück.
Terror der Hamas, entführte und getötete Israelis, Tausende tote Zivilisten im Gazastreifen. Das Risiko der Eskalation hin zu einem Krieg zwischen Israel und Iran ist so hoch wie selten zuvor. Friedensdiplomatie scheitert gerade, live vor den Augen der Weltgemeinschaft. Und Russland ist nicht einmal mehr bereit zu ernsthafter Diplomatie. Putins imperiale Politik versteht nur noch die Sprache der Gewalt, so scheint es. Wer hier von „Frieden mit Russland“ fabuliert, meint damit oftmals nur die Kapitulation der Ukraine.
Zur Wahrheit gehört dann auch, dass für Stabilität oftmals mehr Waffen nötig sind
Nicht Frieden ist die geostrategische Leitlinie dieser Tage. Es ist Stabilität. Was die Welt braucht, ist ein neues Verständnis von „Ordnung“. Eine Politik, die Konflikte regional begrenzt hält. Gepaart mit Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien, die das Maß der Gewalt so begrenzt wie möglich halten. Das alles gelingt nur, wenn wir uns vom hehren wie moralisch anspruchsvollen Postulat des „dauerhaften Friedens“ verabschieden.
Zur Wahrheit gehört dann auch, dass für Stabilität oftmals nicht weniger Waffen nötig sind. Sondern mehr. Gewaltdrohung ist Teil einer Abschreckungspolitik, die mit Russlands Angriffskrieg auch im Westen wieder eine Säule der eigenen Sicherheit ist.
Im Film entkommt Truman Burbank am Ende der Kulisse. Vielleicht ist die wahre Welt für ihn da draußen nicht besser, nicht weniger unsicher. Und doch ist die Welt da draußen die echte, die ehrliche. Und keine Inszenierung, keine Friedens-Show.
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