Bornhagen. Hier ganz im Westen Thüringens lebt der AfD-Rechtsaußen Björn Höcke. Unauffällig, sagen Nachbarn. Und auch politisch kann er hier nicht gewinnen.
Das Haus von AfD-Politiker Björn Höcke ist unscheinbar. Es liegt versteckt an einem Hügel mit einer großen Wiese, zwischen alten Häusern und noch älteren Bäumen. Fast so, als wolle sich das frühere Pfarrhaus wegducken vor den Blicken der Öffentlichkeit. Und doch erkennt jeder Besucher im kleinen Ort Bornhagen im thüringischen Eichsfeld sofort, wo der Mann lebt, der den Sicherheitsbehörden als Rechtsextremist gilt, der per Gerichtsbeschluss „Faschist“ genannt werden darf – und der gerade mit seiner AfD stärkste Kraft im Landtag von Thüringen geworden ist.
Es sind die schwarzen Limousinen seiner Fahrer und der Personenschützer, die gerade vor dem Haus parken. Und die Björn Höcke verraten.
Und jetzt, da Björn Höcke mit dem Wahlsieg vor einigen Wochen vielleicht den Höhepunkt seiner Macht erreicht hat, ist es so, dass auch er selbst wie abgetaucht scheint. Wenig zu sehen ist in der Öffentlichkeit. Im politischen Betrieb des Erfurter Landtags steht meist Torben Braga, parlamentarischer Geschäftsführer, in vorderster Linie. Manche in den Sicherheitsbehörden und in der Partei sagen: Höcke ist Galionsfigur, aber am Steuer sitzen mittlerweile andere.
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In den Tagen nach der Wahl legt sich noch einmal die Sommerwärme über Bornhagen. Irgendwo kräht ein Hahn. Kaum ein Einwohner ist an diesem Vormittag zu sehen, nur ein Fahrradtourist kämpft sich den Berg hoch zur Burgruine Hanstein. Einmal im Jahr ist hier das Burgfest, wo für ein Wochenende noch mal das Gefühl des Mittelalters in Deutschlands Mitte zwischen Niedersachsen, Hessen und Thüringen aufkommen soll. Hier ist Deutschland idyllisch. Würde die AfD sich ein Dorf malen, vielleicht wäre es Bornhagen.
Nicht jeder aber möchte über Björn Höcke sprechen, die meisten winken ab. Auch der Bürgermeister will sich auf Nachfrage unserer Redaktion nicht äußern. Höcke lebe hier „wie jeder andere“, mehr wolle er nicht sagen.
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Olaf Jecht erzählt mehr. Der ältere Mann im hellblauen Polohemd steht am Zaun seines Hauses, nur 100 Meter Luftlinie vom Höcke-Zuhause entfernt. Jecht spricht über die „Fast-Nachbarschaft“ zu dem AfD-Politiker. Er sei im Ort unauffällig, grüße freundlich, manchmal sehe er Höcke, wie er durch das Dorf jogge. Der Extremist, ein unauffälliger Nachbar – es ist ein bekannter Topos, den man immer wieder hört, wenn man über Rechtsradikale recherchiert.
Höckes Frau organisierte 2023 die Kirmes in Bornhagen mit
Beim Kirchenfest im Ort, am Himmelfahrtstag, da beteilige sich Höcke, sei als Gast dabei. Oft begleite ihn das Sicherheitspersonal. Es gibt ein Foto, das zeigt Höckes Partnerin gemeinsam mit anderen Frauen und einem Plakat, mit dem sie für die Bornhagener Kirmes werben. Höckes Frau organisierte sie 2023 mit. Der Top-Act sind die Kirmes-Rocker der Gruppe „Swagger“.
Doch nicht immer haben es die Menschen in Bornhagen ruhig. Nicht immer kann sich Björn Höcke hier zurückziehen. 2017 errichten Aktivisten vom Zentrum für Politische Schönheit einen Mini-Ableger des Berliner Holocaust-Mahnmals. 24 Stelen, im markanten, monotonen Grau. Man sieht es von der Straße aus nicht, doch es soll noch immer hier stehen – im Garten, direkt auf dem Nachbargrundstück von Höckes Pfarrhaus. Das Mini-Mahnmal ist eine Antwort auf Höckes Rede in Dresden in demselben Jahr, in der er vom „Denkmal der Schande“ sprach, das sich Deutschland „in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat“. Journalisten, die damals vor Ort waren, beschreiben Tumulte zwischen den Aktivisten, AfD-Anhängern und Anwohnern.
Anwohner Jecht erzählt von anderen Tagen, als die linksradikale Antifa durch das Dorf zog, ein paar Hundert, meist schwarz gekleidet, riefen Parolen. Haufenweise Polizei sicherte den Marsch ab, Wasserwerfer und Polizisten auf Pferden standen bereit. „Das hat uns Angst gemacht“, sagt Jecht. Noch heute fahre die Polizei „regelmäßig Streife“ durch Bornhagen.
Bei der Landtagswahl im September wählte fast jeder Zweite in Bornhagen die in Thüringen als gesichert rechtsextrem geltende Partei ihres prominenten Mitbürgers. Jecht sagt, er sei kein AfD-Wähler. Aber er zeigt Verständnis für die Menschen, die das getan hätten. Die „Volksparteien“ schaffen es nicht, „die kleinen Leute mitzunehmen“, vor allem die jungen Leute, sagt Jecht noch. Höcke, einst Lehrer im Westen für Geschichte und Sport, hätte die Jugend angesprochen, er warb mit Sonnenbrille und Moped-Touren auf alten DDR-Kleinrollern.
Die Probleme würden zu wenig benannt, die Wirtschaftskrise, die Inflation. „Alles wird teurer.“ So sieht es Jecht. Und klar, die Migration. Zu viel, zu unkontrolliert. Fast immer in Thüringen in den Tagen der Wahl landet ein Gespräch an diesem Punkt. Ein Rentner im Ort erzählt, wie er bis 2015 noch mit der CDU zufrieden gewesen sei. Nun wähle er die AfD. Allerdings nicht wegen Björn Höcke. Der sei ihm „zu hart“.
Höcke, so schien es, musste sogar fliehen, politisch jedenfalls
Das ist ein kleiner, aber interessanter Satz. Denn obwohl Björn Höcke wie nur wenige andere für die AfD steht und so erfolgreich ist wie kaum ein anderer, gehört er nicht zu den Lieblingen. Umfragen im Sommer hatten gezeigt, dass fast zwei Drittel der Menschen in Thüringen mit der Arbeit des AfD-Landeschefs „weniger zufrieden“ oder „gar nicht zufrieden“ waren.
Manch einer in der Partei sagt, die AfD habe die Wahl im September nicht wegen, sondern trotz Höcke gewonnen. Das ist sicher übertrieben. Und doch zeigt es: Höcke steht auch in der Kritik. Beobachter sagen ihm ideologische Festigkeit nach, er fungiert als das radikale Aushängeschild der Partei. Wenn er auftritt, begeistert er in der Regel mit guter Rhetorik die Zuhörenden. Manche sehen darin sein Potenzial für die Partei, andere sehen die Partei durch seine völkischen Tiraden geschwächt – gerade wenn es darum geht, irgendwann einmal zu regieren. Wenn es darum geht, rechte Ideologie anschlussfähig zu machen. Salonfähig.
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Höcke kann mobilisieren. Seine Widersacher in der AfD fürchten bei jedem Parteitag die Machtspiele des westdeutschen Politikers, der seit rund zehn Jahren im Osten für die AfD aktiv ist. Zugleich hört und liest man noch etwas häufiger über Höcke: Er sei zwar Chef der Partei in Thüringen, aber zugleich kein guter Parteimanager. Einer, der gerne diskutiert, aber wenig führt. Längst ist in der AfD eine Riege junger, aufstrebender Parteimitglieder nachgewachsen, die die AfD sehr viel strategischer aufstellen will. Sie sind nicht weniger ideologisch gefestigt, doch zugleich beherrschen sie das politische Mikromanagement, beschaffen Mehrheiten, vernetzen die Partei international, vor allem mit der extrem rechten FPÖ in Österreich.
Und hier, wo Björn Höcke lebt, ist auch seine Partei gar nicht so beliebt wie in vielen anderen Regionen Thüringens. Höcke, so schien es, musste sogar fliehen, politisch jedenfalls. Er trat nicht in dem Wahlkreis Eichsfeld I an. Denn diese Region, konservativ, christlich, ländlich, ist eine Bastion der CDU. Doch auch dort, am anderen Ende von Thüringen, wo AfD-Landeschef Höcke antrat, verlor er gegen die CDU.