Düsseldorf. Nach dem Solingen-Anschlag wurde eilig ein Untersuchungsausschuss im NRW-Landtag angekündigt. Warum sich bislang nur wenig tut.

Die parlamentarische Aufarbeitung des islamistischen Anschlags von Solingen im nordrhein-westfälischen Landtag stand von Beginn an unter keinem guten Stern. Am 29. August um 12.13 Uhr machten die Fraktionsspitzen von CDU und Grünen überraschend öffentlich, dass man von sich aus einen Untersuchungsausschuss einsetzen werde.

In dieser Minute hatte gerade unter erheblichem Medieninteresse eine gemeinsame Sondersitzung des Integrations- und Innenausschusses in Düsseldorf begonnen. Dort wollte man sich mit den NRW-Behördenfehlern bei der gescheiterten Abschiebung des Solingen-Attentäters Issa al H. beschäftigen. Vor allem die für die Ausländerpolitik verantwortliche Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne), die nach dem mörderischen Terrorakt auch noch tagelang abgetaucht war, steht schwer in der Kritik.

Es lag also nahe, in dem angekündigten Untersuchungsausschuss ein Ablenkungsmanöver der Regierungsfraktionen zu sehen. Das parlamentarische Aufklärungsgremium gilt eigentlich als „schärfstes Schwert“ der Opposition, weil es gerichtsähnliche Befugnisse hat und schon mancher Regierung bedrohlich nahegekommen ist. Dass CDU und Grüne als Prätorianergarde der angeschlagenen Ministerin Paul nun von sich aus danach griffen, galt deshalb als besonderer Kniff.

Der Untersuchungsausschuss „Solingen“ in NRW ist ein Minderheitenrecht

Es gehört zum Handwerkszeug der politischen Krisenkommunikation, sich in auswegloser Lage an der Spitze der Sachverhaltsaufklärung zu setzen. Dass der syrische Attentäter von Solingen im Sommer 2023 nicht aus einer Flüchtlingsunterkunft in Paderborn nach Bulgarien abgeschoben werden konnte, obwohl am Düsseldorfer Flughafen eine Maschine bereitstand und der angeblich Unauffindbare schon wenige Stunden später wieder beim Mittagessen unter Landesaufsicht saß – all dies ist ohnehin nicht mehr zu leugnen.

Nach der Flucht nach vorn ist jedoch bis heute unklar, wie es beim Untersuchungsausschuss weitergehen soll. CDU-Fraktionschef Thorsten Schick hatte Ende August zwar ein gemeinsames Vorgehen angekündigt: „Wir wollen ihn mit der politischen Mitte des Parlaments auf den Weg bringen.“ Deshalb habe man „die Hand auch ausgestreckt“.

Die SPD-Opposition fühlte sich jedoch hingehalten. Sie hat deshalb für diesen Mittwoch einfach einen eigenen Einsetzungsbeschluss auf die Tagesordnung des Landtagsplenums setzen lassen. Es gebe seit der Ankündigung vor sechs Wochen von Schwarz-Grün „keinerlei Initiative“, den Untersuchungsausschuss tatsächlich voranzutreiben, begründete SPD-Fraktionsvize Lisa-Marie Kapteinat ihr Vorpreschen.

CDU, Grüne, aber auch die ebenfalls oppositionelle FDP, reagierten empört. In einer gemeinsamen Mitteilung kritisierten sie das Ausscheren der Sozialdemokraten und mahnten angesichts eines Terrorakts mit drei Todesopfern mehr Gemeinsinn an. Die SPD gefährde „durch parteipolitische Machtspielchen und Taktieren das gesamte Verfahren“.

Aufarbeitung zu Solingen: Hartes Ringen um Untersuchungsgegenstand

Inzwischen scheint allen Beteiligten aufgegangen zu sein, dass die Öffentlichkeit kein Verständnis haben dürfte für eine politische Schlammschlacht, die den Opfern Hohn sprechen würde. Am Montag gab es in Düsseldorf die klare Erwartung, dass sich SPD, FDP und Schwarz-Grün noch zusammenraufen werden. Möglicherweise will man doch im November gemeinsam einen Ausschuss einsetzen. Schlimmstenfalls könnte es sonst zu zwei parallelen Untersuchungsausschüssen zum selben Thema kommen.

Dazu muss man wissen, dass die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ein Minderheitenrecht ist. Wenn 20 Prozent der Landtagsabgeordneten dafür sind, muss das sehr teure und aufwendige Gremium eingerichtet werden. Der Untersuchungsgegenstand und -zeitraum werden hingegen immer mit Mehrheit beschlossen.

Im Falle des Solingen-Attentats dürfte die SPD ein Interesse daran haben, die interne Regierungskommunikation und das Behördenversagen bei der Abschiebung möglichst umfassend zu beleuchten. Dabei geht es darum, wer wann was wusste, wie die Reaktionszeiten von Ministerin Paul waren, ob es strukturelle Defizite der Ausländerbehörden gab und ob die islamistische Radikalisierung wirklich nicht hätte bemerkt werden können.

Schwarz-Grün wird derweil bemüht sein, ein per se „dysfunktionales“ System der innereuropäischen Zurückweisungen von Asylbewerbern und die schwierige Gesamtlage inklusive möglicher Versäumnisse von Bundesbehörden aufzufächern. Auch die Terminansetzung von Zeugenvernehmungen lässt sich so gestalten, dass die Aussagen der Hauptakteure der Landesregierung möglichst wenig öffentliche Beachtung finden. Und wenn dann nach zwei Jahren ein Abschlussbericht verfasst ist, bleibt jeder Landtagsfraktion noch immer die Möglichkeit, mit einem „abweichenden Votum“ auf Distanz zum gemeinsamen Untersuchungsergebnis zu gehen.