Berlin/Karlsruhe. Überwachen, scannen, Daten sammeln: Die Polizei erhält immer mehr Befugnisse. Doch die Verfassungsrichter üben Kritik. Das hat Folgen.

Die Sicherheitsbehörden sind nervös. Die islamistische Szene ist so aktiv in Deutschland wie lange nicht mehr – und rechtsextreme Gewalttäter schlagen immer wieder zu. Nervös sind manche Ermittlerinnen und Ermittler auch am Dienstagmorgen, ihr Blick geht nach Karlsruhe. Dort sitzt das Bundesverfassungsgericht – seit dem Urteil zur Volkszählung 1983 sind die Richterinnen und Richter bekannt dafür, dass sie die Mauer um den Datenschutz hochziehen.

Auch Gesetze der Polizeibehörden werden immer wieder kassiert. Wie nun in Teilen auch das Gesetz für das Bundeskriminalamt – der Gesetzgeber muss die heimliche Überwachung von Kontaktpersonen von Schwerverbrechern stärker eingrenzen und die Speicherung der Daten genauer regulieren. Warum haben die Richter so entschieden? Und was darf der Staat im Kampf gegen Terroristen überhaupt?

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    Überwachung von Tatverdächtigen: Verfassungsrichter rügen Polizeigesetz

    „Unter Wind nehmen“ – so nennen Ermittler eines ihrer wichtigsten Werkzeuge: die Observation von Tatverdächtigen, manchmal 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Es ist zeitaufwendig, kostet bis zu 20 Beamte pro Täter – aber ist aus Ermittlersicht unglaublich wichtig. Das BKA darf nicht nur Terrorverdächtige heimlich überwachen, sondern auch deren Kontaktpersonen. Doch diese Maßnahme haben die Richterinnen und Richter in Karlsruhe am Dienstag als in Teilen verfassungswidrig gerügt.

    Heimliche Überwachung ist ein besonders schwerer Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung eines Menschen, gerade wenn die Maßnahmen darauf abzielen, „möglichst alle Äußerungen und Bewegungen zu erfassen und bildlich wie akustisch festzuhalten“, so das Verfassungsgericht. Richtet sich dies nur gegen Kontaktpersonen von Tatverdächtigen, also Szenemitglieder, aber auch Freunde und Familie, dann gelten besonders strikte Regeln. So wie das Gesetz ausgestaltet ist, ist es verfassungswidrig. Der Gesetzgeber muss den Sicherheitsbehörden sehr viel genauer vorgeben, in welchen Fällen die Kontaktperson abgehört werden darf, um eine konkrete Tat wie einen Anschlag zu verhindern – und was mit den Daten passiert. Bis Sommer 2025 muss die Bundesregierung nachbessern.

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    Big Data im BKA: Speichern auf Vorrat in den Polizeidatenbanken

    Die Polizei hat eine große Datenbank, sie heißt „Inpol“. Das BKA führt diese Datei, die Landespolizeien füttern sie mit Informationen. Dort enthalten sind Fahndungsdaten, aber auch Haftdateien oder Informationen über Gewalttäter. Allein mehr als sieben Millionen Porträtbilder finden sich in „Inpol“, ergänzt etwa durch 26 Millionen Vorgänge zur „Früherkennung“ und für „Lagebilder“ im Datensystem „Piav“.

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    Daten sind eine wichtige Währung im Kampf gegen schwere Kriminelle. Nur wer die Masse an Informationen richtig verknüpft, erkennt Netzwerke von Terroristen. Gerade in Deutschland, mit Dutzenden Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern, war der Mangel an Informationsaustausch immer eine Achillesferse. Das Verfassungsgericht will aber, dass diese Masse an Daten beim BKA nur für bestimmte Zwecke und eine begrenzte Dauer gespeichert werden. Karlsruhe sieht hier Nachholbedarf, das bestehende Gesetz ist in Teilen von den Richtern kassiert worden.

    Karlsruhe, Bundesverfassungsgericht: Der Erste Senat hat die Befugnisse des BKA unter die Lupe genommen.
    Karlsruhe, Bundesverfassungsgericht: Der Erste Senat hat die Befugnisse des BKA unter die Lupe genommen. © dpa | Uli Deck

    Biometrische Daten im Netz: Scannen von Gesichtern und Stimmen im Internet

    Es war eine Blamage für die Sicherheitsbehörden: Journalisten hatten das RAF-Mitglied Daniela Klette entdeckt – noch vor den Ermittlern. Und zwar mithilfe einer Software, die Gesichter aus Millionen Fotos im Internet automatisch herausfischt. Bisher durften die Polizistinnen und Polizisten das öffentliche Netz nicht einfach durchsuchen. Die Bundesregierung will nun ein „Sicherheitspaket“ durch den Bundestag und Bundesrat bringen. Darin geregelt ist, dass die Polizei „biometrische Daten zu Gesichtern und Stimmen“ per Software im Internet und den sozialen Medien abgleichen darf. Das Ziel: mutmaßliche Terroristen und Tatverdächtige zu identifizieren und zu orten. Entdecken Staatsschützer online ein passendes Profil zu einem Fahndungsfoto, erhoffen sie sich davon auch Hinweise zu Hinterleuten.

    "Sicherheitspaket": Das hat die "Ampel" beschlossen

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      Terroristen in Chaträumen: Online-Durchsuchung und „Quellen-TKÜ“

      Wenn deutsche Beamte eine Terrorzelle hochnehmen, kommt der entscheidende Tipp oft von einem „Partnerdienst im Ausland“. Vor allem aus den USA und Großbritannien bekommen BKA und Verfassungsschutz Hinweise auf Online-Aktivitäten von Terrorverdächtigen. Im Abhören hat die USA eine Maschinerie aufgebaut, mit der deutsche Behörden nicht mithalten können. Rechtlich sind die Grenzen des Datenschutzes enger.

      Und doch sind die Befugnisse des BKA weitgehend – auch um an verschlüsselte Kommunikation von mutmaßlichen Terroristen zu gelangen. Denn kryptierte Chats wie Telegram oder Whatsapp werden auch für Islamisten und Rechtsextreme immer wichtiger. Mit der „Quellen-TKÜ“ kann das BKA Gespräche erfassen, bevor diese verschlüsselt sind. Die Masche ist aufwendig, die Ermittler müssen einen „Staatstrojaner“, also eine Art Schnüffelsoftware, auf dem Handy der Zielperson installieren. Und doch ist die Maßnahme aus Sicht der Sicherheitsbehörden zentral im Kampf gegen schwere Kriminelle. Gestritten wird innerhalb der Bundesregierung vor allem um eines: Wie lange sollen die Daten von Handynutzern gespeichert werden?

      Lauschangriff 2.0: heimliches Durchsuchen der Wohnung

      Nach dem Wunsch von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sollen Ermittler die Wohnung von Terrorverdächtigen durchsuchen dürfen – auch um die oben genannten „Staatstrojaner“ zu installieren. Und zwar heimlich, mit Richterbeschluss, und nur dann, wenn die Polizei keine andere Möglichkeit sieht, die Terrorgefahr zu durchleuchten. So gelangen die Behörden in die intime Sphäre von mutmaßlichen Schwerkriminellen. Im Sommer wurden die Pläne bekannt. Doch die Widerstände sind groß – sogar in der eigenen Ampel-Regierung. Justizminister Marco Buschmann (FDP) hat schon öffentlich Protest angekündigt, sprach von einem „absoluten Tabubruch“. Bei der FDP werden Erinnerungen wach: an die Debatte über den „Großen Lauschangriff“ hinsichtlich der akustischen Wohnraumüberwachung, die in den 90er-Jahren entbrannt war.

      Im politischen Streit um Wohnungsdurchsuchungen: Bundesjustizminister Marco Buschmann und Bundesinnenministerin Nancy Faeser.
      Im politischen Streit um Wohnungsdurchsuchungen: Bundesjustizminister Marco Buschmann und Bundesinnenministerin Nancy Faeser. © dpa | Kay Nietfeld

      Spur des Geldes: Finanzermittlung stärken

      Terroristen brauchen Geld: für Waffen, für Reisen, für Propagandamaterial. Immer wieder stehen hinter kriminellen Organisationen legale Unternehmen, aber auch Tarnfirmen. Mit deren Hilfe generieren Extremisten teilweise enorme Finanzressourcen. Die Bundesregierung will Bundeskriminalamt und Bundesverfassungsschutz bessere Einblicke in diese Finanzwelt geben. Fragt das BKA etwa bei Banken an, sollen die Tatverdächtigen nicht sofort vom Kreditinstitut informiert werden. Und auch wenn die Extremisten nicht gewaltbereit sind, sollen die Befugnisse zur Finanzermittlung greifen.

      Auch hier weitet die Regierung die Macht der Sicherheitsbehörden aus. Wie sehr die geplanten Gesetze vor dem Bundesverfassungsgericht bestehen, wird sich möglicherweise bald zeigen. Organisationen wie die Gesellschaft für Freiheitsrecht haben schon angekündigt, gegen einzelne Maßnahmen mit einer Klage nach Karlsruhe zu ziehen.

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