Wien. In Österreich könnte die FPÖ erstmals den Kanzler stellen. Man sei Deutschland zehn Jahre voraus, sagt die Expertin Natascha Strobl.

Natascha Strobl ist die wohl bekannteste Rechtsextremismusforscherin in Österreich. Für die FPÖ ist sie die erklärte Persona non grata – sie nennt die Partei offen rechtsextrem. Im Interview begründet sie, wie sie zu dieser Einschätzung kommt und warum weit rechts stehende Parteien ausgerechnet in Österreich leichtes Spiel haben.

Frau Strobl, wie würden Sie das aktuelle politische Klima in Österreich beschreiben?

Natascha Strobl: Wir sind an einer Schwelle, an der deutlich autoritäre Züge sichtbar werden – und das nicht nur bei den politischen Parteien. Wir erleben sehr viel Kulturkampf auf allen Ebenen. Da gibt es Nonsens-Geschichten, die emotional aufgeladen werden. Das überschattet die realen Themen. Es ist ein Warnsignal, dass die Öffentlichkeit kippt.

Echte Themen wie der Spionage-Verdacht bleiben dagegen liegen. Ist Österreich unfähig, Themen sachlich zu beackern und sich dadurch weiterzuentwickeln?

Strobl: Darüber reden wir nicht, ebenso wenig wie über Korruption oder die Eingriffe in die Justiz, oder wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk besetzt wird. Wir hatten einen verhinderten Terroranschlag, und wir reden nicht darüber, wie man Radikalisierung stoppt. Das Hochwasser ist zwei Wochen her, und auch das ist kaum mehr Thema. Das ist ganz schlimm. Es geht nicht darum, dass man ein Thema oben hält, um einer Partei zu helfen, sondern dass man über ein Thema spricht, das die Menschen betrifft.

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Österreich ist das westeuropäische Land mit der längsten Erfahrung mit Rechtspopulisten. Jörg Haider hat die FPÖ 1986 übernommen und zu dem gemacht, was sie heute ist. Was macht das mit der politischen Kultur in einem Land?

Strobl: Was wir durch die FPÖ erlebt haben, ist Normalisierung. Wir finden es okay, auf eine gewisse Art und Weise über gewisse Themen zu spreche: Migration und Asyl sind gute Beispiele. Aber was wir jetzt in diesem Wahlkampf sehen, ist ein ganz neues Phänomen: eine FPÖ, die sich bewusst nicht regierungsfähig macht. Strache und Haider (ehemalige Parteichefs, Anm.) haben das sehr wohl gemacht, wenn sie Chancen auf eine Regierungsbeteiligung gesehen haben. Dann haben sie Leute aussortiert, sind in der Sprache moderater geworden. Herbert Kickl aber macht genau das Gegenteil: Er eskaliert immer mehr. Damit wird er wohl Platz eins machen. Die neue Strategie der FPÖ geht auf.

Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl
Die österreichische Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl. © picture alliance/dpa/Natascha Strobl | Nurith Wagner-Strauss

Funktioniert Populismus wie eine Droge, bei der man die Dosis erhöhen muss – und irgendwann ist es Extremismus?

Strobl: Das ist ein schönes Bild. Populismus versetzt auch in so einen Rauschzustand. Die Politik und die Art, wie Leute angesprochen werden, ist nicht rational. Das ist eine emotionale und zugleich überwältigende Ansprache. Man argumentiert mit Angst und Frustration und verstärkt diese Gefühle. Die Menschen berauschen sich an diesen negativen Empfindungen.

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Ist die FPÖ heute eine rechtsextreme Partei?

Strobl: Es ist in der Literatur seit 30 Jahren unumstritten, dass die FPÖ rechtsextrem ist. Ein Freund hat mir gesagt: Es gibt nur einen Unterschied zwischen den Identitären und der FPÖ – die einen treten bei Wahlen an, die anderen nicht.

Zur Person

Natascha Strobl, Jahrgang 1985, ist eine österreichische Politikwissenschaftlerin und Expertin für Rechtsextremismus und die Neue Rechte. Dazu hat sie mehrere Bücher veröffentlicht, darunter „Rechte Kulturrevolution. Wer und was ist die Neue Rechte von heute?“. Strobl ist Mitglied der österreichischen Sozialdemokraten (SPÖ).

Das war jetzt so etwas wie eine Legislaturperiode „straight out of hell“: Pandemie, Korruption, Russland, Ukraine, Spionagefälle, und all das in einer mehr als fragilen Koalition, die drei Kanzler verbraucht hat. Ist das an sich schon eine Steilvorlage für die FPÖ oder hat die Partei all das auch schlau instrumentalisiert?

Strobl: Die FPÖ war nach dem Ibiza-Skandal 2019 eigentlich am Boden...

Der damalige Parteichef Strache hatte einer vermeintlichen russischen Oligarchen-Nichte halb Österreich versprochen...

Strobl: Sie haben sich aber mit einer 180-Grad-Drehung während der Corona-Pandemie wieder aufgerichtet. Zunächst haben die FPÖ-Leute so getan, als wolle sie die Menschen nur schützen. Dann haben sie bemerkt, dass sie diesen Demos förmlich nachlaufen. Anschließend haben sie sich über die Szene der Verschwörungstheoretiker zur Straßenbewegung geriert.

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Die FPÖ schafft es immer wieder, sich als Nicht-Systempartei darzustellen, obwohl sie fest im System verankert ist. Wie geht das?

Strobl: Regierungen unter FPÖ-Beteiligung sind immer krachend geendet, das zeigt die Geschichte. Auch innerhalb der Partei hat eine Regierungsverantwortung entweder zum Bruch oder zu Putsch-ähnlichen Zuständen geführt. Und danach haben die Sieger nach dem Motto agiert: Das waren ja nicht wir.

In Deutschland haben die Alarmglocken geklingelt, als die AfD in Umfragen 18 Prozent erreicht hat, in Österreich liegt die FPÖ bei 27 Prozent. Von einer „Brandmauer“ ist keine Spur. Im Gegenteil: Der Wahlkampf ist eigentlich eher ein Rennen um die rechtere Position. Wie erklären Sie sich das?

Strobl: Die FPÖ hatte immer die Strategie, aus der Opposition heraus Regierungsarbeit zu machen – also alle thematisch vor sich herzutreiben. Die AfD versucht das auch, hat aber bisher nicht die gleiche Stärke. Das ändert sich gerade. Noch ein Punkt: Die FPÖ ist eine nicht so durchlässige Partei wie die AfD. Heißt: Die FPÖ reproduziert sich über ihre politische Akademie und eigene Teilorganisationen selbst. Die AfD muss sich aus ihren Strukturen heraus zu anderen Gruppen in diesem politischen Feld offen halten – das birgt Risiken. Außerdem haben wir uns in Österreich mehr daran gewöhnt – Deutschland hat die Erfahrung einer rechtsextremen Partei in der Regierung in seiner jüngeren Geschichte nicht gemacht.

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Schaffen sich die Großparteien der bürgerlichen Mitte gerade selbst ab?

Strobl: Die ÖVP hat sich mit Sebastian Kurz radikalisiert. Es gibt einige Punkte – etwa bei der EU oder Antisemitismus – da ist sie anders als die FPÖ. Aber in vielen Punkten hat man sich inhaltlich angenähert – auch bei den Strategien. Denken Sie an die Kulturkampf-Strategie, das Emotionalisieren, das Vergrößern von Problemen. Und auch die SPÖ ist zu einer konservativen Partei geworden. Das hat in ihrer absoluten Entpolitisierung gemundet.

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