Berlin. Ermittler gehen der Echtheit des Videos nach, das der Islamische Staat zwei Tage nach dem Anschlag in Solingen verbreitet hat.

Der Mann steht da, man sieht nur einen Schlitz, dahinter dunkle Augen. Das Gesicht ist nicht zu erkennen, es ist mit einem Kufiya bedeckt, einem arabischen Kopftuch. In einem zweiten Teil des Videos ist sein Gesicht verpixelt. Ein Grund kann sein: Der Täter wollte fliehen und unerkannt bleiben. Es ist eine Botschaft des 26 Jahre alten Syrers und mutmaßlichen Terroristen von Solingen, Issa al H. Er ist nun in Haft. Fachleute haben keine Gewissheit, sehen aber Indizien für die Echtheit des Videos.

Ist das Bekennervideo von Solingen glaubwürdig?

Zwei Tage nach der Tat veröffentlicht die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) ein Bekennervideo. Die zeitliche Verzögerung ist für den IS nicht ungewöhnlich. Ein Mann spricht auf Arabisch zur Kamera, bekennt sich zum IS und kündigt die Tat an. Doch handelt es sich wirklich um Issa al H.? Der Mann nennt sich Samarkand A., möglicherweise sein Kampfname.

Für Bernd Zywietz, Experte für Extremismus, Terrorismus & Propaganda und Leiter des Bereichs Politischer Extremismus bei jugendschutz.net, ist dennoch glaubhaft, dass es sich bei dem Mann im Video um den mutmaßlichen Attentäter handelt. Dass das Gesicht des Täters bei dem Bekennervideo nicht zu erkennen ist, sei nicht unüblich und schon bei vorherigen Anschlägen der Fall gewesen. Die Maskierung und der selbst gewählte Kampfname seien quasi Teil einer „Uniform“ und würden auch für ein Zusammengehörigkeitsgefühl der Terroristen sorgen. Die Sicherheitsbehörden prüften nach Informationen unserer Redaktion am Montagnachmittag weiterhin die Echtheit des Videos.

Unterdessen tauchte ein Medienbericht auf, der einen weiteren Hinwes darauf liefert, dass das Video authentisch ist – und offenbar sogar zumindest teilweise in Solingen gedreht wurde. An einer Stelle des Videos ist ein kleiner Teil eines Werbeplakats zu sehen, das an einer Häuserfassade hängt. Reporter der Zeitung „Die Welt“ fanden ein Plakat, das genau zu dem Ausschnitt passen würde. Es hängt an der Wand eines Parkhauses in der Straße, in der sich auch die Flüchtlingsunterkunft befindet, in der Issa al H. lebte. Den Ermittlern ist das dem Bericht zufolge inzwischen bekannt. Das Parkhaus sei am Abend von der Polizei abgesperrt und überwacht worden.

Gehörte Issa al H. wirklich zum „Islamischen Staat“?

Der IS legte in der Vergangenheit – bei aller Brutalität – Wert auf Glaubhaftigkeit. Die Hintergründe des Videos sind ein entscheidender Faktor bei der Frage, ob der Täter von Solingen engen Kontakt zu Terroristen in Syrien, Irak oder Afghanistan hatte. Und ob er möglicherweise in seinen Plänen vom Ausland und über Chats im Internet „angeleitet“ worden ist. Bisher gibt es dafür keine Hinweise. Oder ob er vom IS aus Syrien nach Deutschland entsandt wurde, um das Attentat zu verüben. Hier gehen Sicherheitsbehörden bisher davon aus, dass er sich in Deutschland radikalisiert hat. Die Ermittlungen dauern jedoch an.

Experte Zywietz geht bis jetzt davon aus, dass der Täter allein und eigenmächtig gehandelt hat. Doch warum bezog er sich dann auf die Terrororganisation? „Ein solches Treuebekenntnis stellt auch eine Selbstaufwertung dar. Der Täter erklärt sich der Terrororganisation zugehörig und gibt sich selbst einen höheren Status, als ihm als – vielleicht nur verwirrten – Einzeltäter zukäme“, erklärt Zywietz.

Das Video des Täters habe der IS dann für die eigene Propaganda aufgegriffen, vermutet Zywietz. Denn für Terrororganisationen sind Bekennervideos aus zwei Gründen lohnenswert: „Zum einen geht es um das Bedrohungspotenzial, also darum zu zeigen, dass sie so einen Anschlag durchführen können. Zum anderen geht es auch um das Image und darum zu zeigen, dass diese Person zu der eigenen Organisation gehört. Islamistische Terrororganisationen stehen in Konkurrenz um die Aufmerksamkeit, daher hat ein solches Video auch PR-Zwecke.“

Warum das Video auch Schwächen des IS zeigt

Die Sicherheitsbehörden sehen ein Anwachsen der Terroraktivitäten auch in Europa. Der IS zielt vor allem auf die Radikalisierung von Einzeltätern ab. Dabei nutzen die Terroristen Videos wie das vom Solingen-Täter als Mittel der Rekrutierung und Propaganda in den sozialen Netzwerken. Interessant ist ein Detail: In dem Bekennervideo ist die arabische Sprache des mutmaßlichen Täters nicht untertitelt, etwa auf Englisch oder Deutsch. Fehlen die Ressourcen? Setzt die Terrororganisation eher auf arabischsprachige Zielgruppen?

Noch ein Faktor: Das Video hat sich laut Zywietz wesentlich langsamer als frühere Bekennervideos im Netz verbreitet. „Außerhalb radikaler Internetblasen ist die Gefahr, zufällig solchen Videos zu begegnen, recht gering“, erklärt Zywietz. Vor acht bis zehn Jahren habe der IS online eine größere Rolle gespielt.

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Inhaltlich erkennt Zywietz einen Bezug zur „Umma“, der übergreifenden muslimischen Identität, die im Narrativ der Terrororganisationen im Krieg mit dem Westen steht. So bezieht sich Samarkand A. im Video auch auf den Nahostkonflikt. Für Zywietz ein Zeichen, „wie sowohl schiitische wie sunnitische Extremisten trotz Konkurrenz und Feindschaft hier ein gemeinsames Deutungsmuster samt Feindbild finden, mit dem viele in ihrer Zielgruppe anschließen können“. Der Feind, so formulieren es die Islamisten im Chor, ist: der Westen und Israel.