Berlin. Ob HNO oder Hausärzte: In den Praxen wird der Ton immer rauer. Nun packen zwei Arzthelferinnen aus, welche Attacken besonders schlimm sind.

  • In Arztpraxen wird der Druck immer größer: Patienten beleidigen sogar oftmals Ärztinnen und medizinische Fachangestellte
  • Auch Androhungen von Gewalt erfährt das Personal immer wieder
  • Arzthelferinnen berichten von ihrem Alltag mit aggressiven Patienten

Ganze Gruppen, die sich vor Arzthelferinnen aufbauen. Aggressive Patienten, die das Personal unter Druck setzen. Beleidigungen, Bedrohungen, gar physische Gewalt: Die Lage in den Arztpraxen „eskaliert immer öfter“, erklärte der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, in dieser Woche in einem Zeitungsinterview. Seine Forderung: Nicht nur Rettungskräfte und Mitarbeiter in Notaufnahmen müssten vor zunehmender Gewalt und Aggression der Patienten geschützt werden, sondern auch das Personal der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte. Er appelliert an Justizminister Marco Buschmann (FDP), bei der geplanten Verschärfung des Strafrechts die Arztpraxen miteinzubeziehen. Doch wie ist eigentlich das Verhältnis zwischen Ärzten, Patienten und dem medizinischen Fachpersonal tatsächlich? Und was hat sich verändert? Ein Blick hinter die Kulissen.

Susanne P. und Susanne K. bezeichnen sich selbst als Urgestein der „Ruhrpraxis“ im Essener Nordwesten. Fünf Hausärztinnen und -ärzte sowie ein großes Team von Arzthelferinnen kümmern sich um Patienten, die auch aus dem angrenzenden Mülheim und Oberhausen kommen. Die beiden Arzthelferinnen – oder genauer: Medizinischen Fachangestellten (MFA) – arbeiten seit mehr als 30 Jahren in der Praxis. Hat der Chef der Kassenärzte recht? Geht es aggressiver zu als früher? Susanne K. holt erst mal Luft. Aggressivität, sagt sie, sei so ein großes Wort. Aber klar: „Wir werden viel häufiger verbal beleidigt und beschimpft.“ Was sie sich anhören müsse? „Wir seien unfähig und dumm“ – das sei wohl der häufigste Vorwurf, der fällt, wenn sie nicht einfach Medikamente verordnet, die der Patient wünscht. „Dabei dürfen wir Helferinnen das gar nicht entscheiden“, betont sie. Es gebe schließlich Vorschriften, an die sie sich halten müssten. Patienten reagierten dann oft so, „als ob wir morgens aufstehen und uns sagen: Wen ärgere ich denn heute“.

Bundesjustizminister Marco Buschmann will Rettungssanitäter per Gesetz besser schützen. Kassenärztechef Gassen meint: Das sollte auch für Arzthelferinnen gelten.
Bundesjustizminister Marco Buschmann will Rettungssanitäter per Gesetz besser schützen. Kassenärztechef Gassen meint: Das sollte auch für Arzthelferinnen gelten. © dpa | Kay Nietfeld

Gewalt beim Arzt: „Wenn gar nichts mehr hilft, holen wir den Doktor“

Susanne P. und Susanne K. haben in den vergangenen Jahrzehnten eine Menge Lebenserfahrung angesammelt – und die schützt sie. Längst haben sie ihre Strategie, wie sie mit besonders anstrengenden Patienten umgehen. „Gewinne sie mit Freundlichkeit“, ist ihr Motto. Was bedeute: „Immer ruhig bleiben, immer freundlich bleiben, um uns nicht auf das Niveau des Aggressors zu begeben.“ Und wenn die Lage eskaliere, wenn gebrüllt werde, weil kein Termin mehr frei ist, weil es die geforderte Verordnung nicht gibt, wenn gar physische Gewalt angedroht werde, „dann holen wir den Doktor“, sagt Susanne P. Aber, und das ist ihr wichtig, „das kommt nicht oft vor“.

Hausarztpraxis Ruhrpraxis in Essen
Susanne P. (stehend) und Susanne K. arbeiten als Team in der Essener Hausarztpraxis. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Was beide richtig nerve: „Die Leute sind insgesamt ungeduldiger geworden. So fordernd. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber es hat mit Corona zugenommen“, sagt Susanne K. Ihre Kollegin ergänzt: „Es herrscht so ein Egoismus unter den Patienten. Nach dem Motto: Ich bin jetzt hier und jetzt hat sich alles um mich zu drehen.“ Dabei gebe es eben auch ganz viele andere Patienten, die Hilfe brauchen. Richtig unangenehm werde es, wenn Patienten in Gruppen auftreten. „Manchmal haben sie ihre ganze Familie dabei, aber das ist sehr selten.“ Aber wenn es passiere, erzeuge das schon „einen großen Druck“.  

Und dann gibt es noch ein neues Phänomen, das beide wirklich trifft: die negativen Google-Bewertungen im Internet. Susanne P. wurde Opfer eines Patienten, der sie namentlich als unfreundlich, unfähig und unverschämt auf dem Bewertungsportal beschimpft hat. Und bei einer anonym gebliebenen Bewertung war von „Hexen an der Anmeldung“ die Rede.

Aggressivität: Die Typen, die ausrasten, kommen aus allen Schichten

Den bestimmten Typus, der besonders schnell ausrastet: „Den gibt es nicht“, sagt Susanne K. „Es sind Frauen und Männer jeglicher Herkunft, jeglicher sozialen Schicht, jeglichen Alters.“

FAQ Krankenkasse

1. Wie viel Krankenkassenbeitrag muss ich zahlen?

Der Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung setzt sich aus dem allgemeinen und dem Zusatzbeitrag zusammen. Der allgemeine Beitragssatz liegt bei 14,6 Prozent und wird je zur Hälfte (7,3 Prozent) von Arbeitnehmer und Arbeitgeber bezahlt. Den Zusatzbeitrag legt jede Krankasse für sich fest. Im Schnitt liegt er bei 1,7 Prozent. Am niedrigsten ist der Zusatzbeitrag aktuell bei der BKK firmus mit 0,90 Prozent oder der hkk Krankenkasse mit 0,98 Prozent.

2. Wie hoch ist der Krankenkassenbeitrag bei 2000 Euro Brutto?

Für Geringverdiener in der Gelitzone mir einem Bruttogehalt zwischen 538,01 und 2.000 Euro zahlen weniger Beitrag. Der GKV-Anteil des Arbeitgebers bleibt unverändert. Dieser Einkommensbereich wird auch Gleitzone oder Niedriglohnbereich genannt und gilt nicht für Auszubildende oder Praktikanten. Ab 2001 Euro gilt der normale Beitragssatz – für die Einkommen unter 2000 Euro ermäßigt sich der Arbeitnehmeranteil nach einem gesetzlich vorgeschriebenen Berechnungsverfahren.

Mit 2001 Euro Brutto und Steuerklasse eins liegt der allgemeine Beitragssatz für Arbeitnehmer (7,3 Prozent) bei 146,07 Euro. Für Bruttoeinkommen bis 2000 Euro monatlich bietet die TK einen Gleitzonenrechner an. Für Einkommen ab 2.000 Euro können auch normale Brutto-Netto-Rechner genutzt werden, um den GKV-Beitrag zu ermitteln.

3. Wie hoch ist der monatliche Beitrag bei der AOK?

Der allgemeine Beitragssatz ist bei allen Krankenkassen gleich und beträgt insgesamt 14,6 Prozent. Arbeitnehmer und Arbeitgeber zahlen je die Hälfte. Alle AOK-Mitglieder zahlen somit die 7,3 Prozent von ihrem Bruttogehalt plus Zusatzbeitrag. Im Schnitt liegt der Zusatzbeitrag bei 1,7 Prozent. Je nach Bundesland kann er aber etwas höher oder niedriger sein. Die Zusatzbeiträge sind bei der AOK nicht einheitlich.

4. Was ist die billigste Krankenkasse

Eine günstige Krankasse definiert sich durch einen insgesamt niedrigeren Beitragssatz. Der allgemeine Beitrag ist fest. Die Kassen können nur den Zusatzbeitrag variieren. Am niedrigsten ist dieser aktuell bei der BKK firmus mit 0,90 Prozent und der hkk Krankenkasse mit 0,98 Prozent.

5. Was ändert sich 2024 für Kassenpatienten

Neben der Einführung des E-Rezepts gilt seit 1. Januar eine neue Beitragsbemessungsgrenze von 5175 Euro im Monat (62.100 Euro je Jahr). Die Versicherungspflichtgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung steigt ebenfalls. 2024 beläuft sie sich auf 5775 Euro monatlich (69.300 Euro je Jahr).

Den beiden erfahrenen Arzthelferinnen ist wichtig, dass die netten und verständnisvollen Patientinnen und Patienten glücklicherweise immer noch in der Mehrheit seien. „Wir bekommen auch immer noch Pralinen an Weihnachten“, sagt Susanne P. Bei all dem Stress mit anstrengenden Patienten, der knapper werdenden Zeit durch die vielen Dokumentationspflichten, der Praxisorganisation und der Unterstützung bei der Behandlung: „Mir macht der Job immer noch Spaß“, sagt Susanne P. Ihre Kollegin ergänzt: „Die schönen Sachen überwiegen. Und ich habe gern Kontakt mit Menschen“. Allein im Büro sitzen: „Das wäre nicht mein Job.“

Susanne P. und Susanne K. haben sicherlich eine Art dickes Fell im Laufe der Zeit bekommen. Doch diese Resilienz haben offenbar nicht genügend medizinische Fachangestellte. Der Beruf der klassischen Arzthelferin: Er ist nachgefragt wie nie; die Fachkräfte zu finden, ist für immer mehr niedergelassene Ärztinnen und Ärzte ein Problem. So sind derzeit 50 Prozent der Hals-Nasen-Ohren-Praxen auf der Suche nach Personal, klagt der Berufsverband der HNO-Ärzte. Fast zwei Drittel haben laut einer Praxisbefragung des Verbandes allein in den vergangenen zwölf Monaten Mitarbeiterinnen verloren – an andere Praxen, an Krankenhäuser, an den öffentlichen Gesundheitsdienst. Als Grund für die Kündigung wird neben der hohen Arbeitsbelastung bei zu geringem Gehalt vor allem angeben: Die Patienten seien zu aggressiv. Und zu unfreundlich.

Hausärzte-Chef: Fachkräfte müssen vor Gewalt geschützt werden

Auch der Hausärztinnen- und Hausärzteverband klagt über den „eklatanten Fachkräftemangel“ in den Praxen. „Wenn ich mich als MFA regelmäßig von Patientinnen und Patienten anbrüllen lassen muss, dann sinkt natürlich die Lust, sich für diesen Beruf zu entscheiden, massiv“, sagt Verbandschef Markus Beier dieser Redaktion. Daher sei es zwingend erforderlich, dass die Fachkräfte in den Praxen ebenso gut per Gesetz vor Gewalt und Aggression geschützt werden wie Rettungskräfte. „Wir hoffen, dass Bundesjustizminister Buschmann hier noch einlenkt“.

Ebenso wie die beiden Essener Arzthelferinnen Susanne P. und Susanne K. setzt Beier auch auf versöhnliche Töne: Die allermeisten Patienten seien froh und dankbar für die Versorgung. Wenn es um Aggressivität und schlechtes Benehmen gehe, dann „reden wir von einer Minderheit.“