Düsseldorf. Neues Staatsangehörigkeitsrecht: So stellen sich große Kommunen im Ruhrgebiet auf die vielen Anträge von Migranten ein.
Sechs Wochen nach dem Start des neuen Staatsbürgerschaftsrechts stehen die NRW-Städte vor einem Berg von Anträgen auf die deutsche Staatsangehörigkeit. Antragsteller müssen zum Teil mit langen Bearbeitungszeiten rechnen.
Essen rechnet mit 25.000 Anträgen durch den Effekt der Gesetzesänderung
In Dortmund haben sich zum Beispiel die Antragszahlen im laufenden Jahr verglichen mit dem Zeitraum des Vorjahres auf rund 10.000 mehr als verdoppelt, berichtet die Stadtverwaltung. Essen spricht von einer „Herausforderung für die Einbürgerungsbehörden“. Die Stadt rechnet alleine durch den Einmaleffekt der Gesetzesänderung mit knapp 25.000 Anträgen. Darüber hinaus sei künftig mit einem Anstieg der jährlichen Zahlen von mindestens einem Drittel zu rechnen. Auch in Duisburg, Düsseldorf, Hagen, Bochum und Gelsenkirchen stellen sich die Verwaltungen auf viele zusätzliche Einbürgerungen ein, wie eine Umfrage dieser Redaktion ergab.
Das neue Staatsangehörigkeitsrecht
Am 27. Juni trat das Gesetz zur Modernisierung des Staatsangehörigkeitsrechts in Kraft. Menschen, die in Deutschland arbeiten und gut integriert sind, können jetzt schon nach fünf statt nach acht Jahren deutsche Staatsangehörige werden. Ein Anspruch auf Einbürgerung schon nach fünf statt bisher acht Jahren setzt bestimmte Bedingungen voraus. Dazu zählt beispielsweise, dass jemand seinen Lebensunterhalt grundsätzlich selbst bestreiten kann. Bei besonderen Integrationsleistungen sollen Ausländer bereits nach drei Jahren Deutsche werden können.
Im Zuge der Reform wird in Deutschland die Mehrstaatigkeit zugelassen. Dieses Angebot ist offenbar attraktiv für viele Zugewanderte, auch in NRW.
Viele Städte reagieren auf den Run auf den deutschen Pass mit der Aufstockung von Personal in den Behörden und einer vereinfachten Antragstellung. Duisburg, das mit insgesamt 15.000 Anträgen auf Einbürgerung rechnet, hat zum Beispiel die Zahl der Stellen in der Einbürgerungsbehörde auf nahezu 40 verdoppelt. In Bochum kümmern sich jetzt zehn Mitarbeitende mehr um die Einbürgerungsanträge.
Digitalisierung soll die Wartezeit auf Einbürgerung verkürzen
Duisburg bietet Interessierten die digitale Kontaktaufnahme an, um Wartezeiten zu verkürzen. Gelsenkirchen wird voraussichtlich im Herbst den digitalen Antrag auf Einbürgerung einführen, heißt es dort. In Essen können Einbürgerungsanträge schon seit Mai auch ohne vorheriges Beratungsgespräch online beantragt werden. Auch Bochum bietet bereits eine „digitale Antragstrecke“ an.
Wartezeiten von wenigen Wochen bis zu mehreren Jahren
Die Wartezeiten auf den deutschen Pass sind in den Städten sehr unterschiedlich. In Gelsenkirchen und in Hagen beträgt die Bearbeitungszeit im Schnitt ein Jahr. Düsseldorf bleibt in dieser Frage vage: Ein Verfahren könne bereits nach wenigen Wochen abgeschlossen werden oder mehrere Monate bis Jahre dauern.
In Dortmund müssen Interessierte acht bis zehn Monate auf einen Termin warten. Die Bearbeitungszeit von der Antragstellung bis zur Entscheidung betrage dort sechs bis neun Monate, so die Stadtverwaltung. Bochum sei es durch ein Bündel an neuen Serviceangeboten gelungen, die Bearbeitungs- und Wartezeit auf Einbürgerung von knapp 22 Monaten im Jahr 2022 auf aktuell rund neun Monate zu reduzieren, sagte ein Stadt-Sprecher.
2022 hatten zehn Prozent der NRW-Bevölkerung zwei oder mehr Staatsangehörigkeiten
Zum Zensusstichtag am 15. Mai 2022 lebten rund 1 731 000 Bürgerinnen und Bürger in NRW, die neben der deutschen noch mindestens eine weitere Staatsangehörigkeit besaßen. Wie Information und Technik Nordrhein-Westfalen als Statistisches Landesamt mitteilt, waren das knapp 10 Prozent der Bevölkerung. Von den Menschen mit doppelter Staatsangehörigkeit hatten die meisten sowohl die deutsche als auch die polnische Staatsangehörigkeit (20,3 Prozent), gefolgt von den Kombinationen deutsch-türkisch (17,3 Prozent) und deutsch-russisch (9,9 Prozent).
Hier die ausführlichen Einschätzungen aus den einzelnen Kommunen
Duisburg
„Aufgrund des Wegfalls des Erfordernisses der Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit im Zusammenhang mit der Einbürgerung gehen wir von einer hohen Anzahl an Einbürgerungsanträgen aus. Wir haben in Duisburg daher vorsorglich ein digitales Interessebekundungsverfahren eingerichtet. Bereits kurz nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung stieg die Zahl der einbürgerungsinteressierten Personen. Derzeit liegen uns 656 Interessenbekundungen vor. Es ist zu erwarten, dass mit Beginn des neuen Schuljahres die Anzahl der Interessenbekundungen steigen wird.
Die Gesamtzahl ist allerdings schwer zu quantifizieren, da keine verifizierten Aussagen darüber bestehen, wie hoch die Anzahl der Ausländer ist, die zwar jetzt schon eingebürgert werden konnten, aber aufgrund der bisher erforderlichen Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit die Einbürgerung nicht beantragt haben. Die mit Abstand größte Personengruppe werden Personen mit türkischer Staatsangehörigkeit sein. Nach der hiesigen Schätzung könnten – zeitlich gestreckt, da nicht davon auszugehen ist, dass alle Einbürgerungsanträge auch direkt nach Inkrafttreten der Änderungen gestellt werden – bis zu 15.000 Personen die Einbürgerung in Duisburg beantragen.
Aktuell wurden bereits Termine für das Jahr 2026 vergeben. Wir haben mit Blick auf die Gesetzesänderung bereits frühzeitig reagiert und neue Stellen in der Einbürgerungsbehörde eingerichtet. Die Zahl der Stellen auf nahezu 40 verdoppelt. Alle Stellen konnten mittlerweile kurzfristig besetzt werden. Derzeit erfolgt die Einarbeitung der neuen Kolleginnen und Kollegen, um die Wartezeiten zu verkürzen.“
Gelsenkirchen
„Im 1. Halbjahr 2024 wurden in Gelsenkirchen 455 Personen eingebürgert. Im 1. Halbjahr 2023 waren es 495 eingebürgerte Personen. Die Bearbeitungszeit beträgt aktuell durchschnittlich 1 Jahr.
Die Antragszahlen werden vermutlich weiter steigen. Bisher erfolgte eine Antragsabgabe ausschließlich nach vorheriger Terminvereinbarung persönlich auf der Dienststelle. Voraussichtlich wird im 3. Quartal 2024 die digitale Beantragung der Einbürgerung möglich sein, sodass unbegrenzt Einbürgerungsanträge gestellt werden können.“
Düsseldorf
„Bereits seit der Ankündigung zur Neuregelung des Staatsangehörigkeitsgesetzes 2023 stiegen die Anfragen insbesondere per E-Mail deutlich an, allein im Juli 2024 gingen 3.300 E-Mails ein. Nach dem Inkrafttreten des Gesetzes am 26. Juni 2024 sind die Antragszahlen nochmals gestiegen. Die Anträge auf Einbürgerung haben um über 50 Prozent zugenommen: Anträge gesamt im Jahr 2022: 3.813. Anträge gesamt im Jahr 2023: 4.739. Anträge gesamt im Jahr 2024 (Januar bis Juli): bereits 3.879.
Einbürgerungen gesamt im Jahr 2023: 2.758. Einbürgerungen Januar bis Juli 2024: 2.323
Eine pauschale Wartezeit bis zur ersten persönlichen Vorsprache im Amt für Migration und Integration kann nicht angegeben werden, da diese stark vom individuellen Fall abhängt. Für eine Einbürgerungsberatung kann ein Termin per Kontaktformular oder telefonisch angefragt werden. Ein Termin zur Vorsprache für die Antragsabgabe ist jedoch nicht zwingend notwendig, da ein Antrag auf Einbürgerung beim Amt für Migration und Integration postalisch eingereicht werden kann
Ebenso kann keine pauschale Bearbeitungszeit genannt werden. Die Dauer der Bearbeitung variiert erheblich und hängt von verschiedenen Faktoren ab. Dazu gehören unter anderem unvollständige Unterlagen, die Beschaffungsdauer der erforderlichen Dokumente durch die Antragstellenden, Veränderungen der Lebensverhältnisse während des Antragsverfahrens und eine unzureichende Mitwirkung der Antragstellenden. Auch die Bearbeitungszeiten anderer beteiligter Behörden beeinflussen die Gesamtdauer, da sie ebenfalls stark variieren können. Das Amt für Migration und Integration hat keinerlei Möglichkeit, die Bearbeitungszeit der beteiligten Behörden zu beeinflussen. Ein Verfahren kann bereits nach wenigen Wochen abgeschlossen werden oder mehrere Monate bis Jahre dauern.“
Hagen
„Es ist ein deutlicher Anstieg an Anträgen zu Einbürgerung sowie am Beratungsbedarf festzustellen. Die Bearbeitungsdauer ist natürlich vom Einzelfall abhängig (Unterlagen vollständig, zeitnahe Mitwirkung der Antragsteller, Urkunden und Passpapiere vorhanden), wird aber im Schnitt ein Jahr betragen.“
Dortmund
„Im Jahr 2024 haben sich die Antragszahlen von Interessierten verglichen mit dem Zeitraum des Vorjahres mehr als verdoppelt. Derzeit gibt es rund 10.000 Interessierte. Das Interesse hat allerdings schon mit Bekanntwerden der Inhalte des neuen Staatsangehörigkeitsgesetzes zugenommen. Aktuell beträgt die Wartezeit auf einen Termin zwischen acht und zehn Monaten. Die Bearbeitungszeit von der Antragstellung bis zur Entscheidung beträgt in Dortmund durchschnittlich sechs bis neun Monate.“
Essen
„2023 wurden 1799 Menschen eingebürgert. Im ersten Halbjahr 2024 wurden bereits 1316 Menschen eingebürgert. Anträge auf Einbürgerung im Juli 2023: 150. Anträge auf Einbürgerung im Juli 2024: 469
Die Nachfrage ist erheblich gestiegen. Seit dem 27. Juni 2024 sind 274 Neuanträge und 600 neue Anfragen zu verzeichnen. Dieser Wunsch, dazu zu gehören, ist ein Kompliment an die deutsche Gesellschaft, aber auch eine Herausforderung für die Einbürgerungsbehörden. Die Stadt Essen rechnet alleine durch den Einmaleffekt der Gesetzesänderung (sowohl durch das Absenken der zeitlichen Voraussetzung als auch der Hinnahme von Mehrstaatigkeit) mit knapp 25.000 Anträgen. Darüber hinaus ist auch für die Zukunft mit einem Anstieg der jährlichen Zahlen von mindestens einem Drittel zu rechnen.
Derzeit können Termine für eine persönliche Vorsprache im März 2025 vergeben werden. Aufgrund der besonderen Herausforderung in der Einbürgerungsbehörde wurde das Antragsannahmesystem dahingehend optimiert, dass Einbürgerungsanträge seit Mai 2024 auch ohne vorheriges Beratungsgespräch online beantragt werden können. Eine persönliche Vorsprache ist (mit Ausnahme der Urkundenaushändigung) nicht mehr zwingend erforderlich; dennoch bleibt das Gesprächsangebot bestehen, um eventuelle Fragestellungen erörtern zu können. Durch den Onlineantrag erfolgt die Bearbeitung deutlich schneller als bisher. Diese beträgt momentan ca. vier Monate.“
Bochum
„Durch die Absenkung der notwendigen Voraufenthaltszeiten und durch die Hinnahme von Mehrstaatigkeit hat sich der Kreis der potentiell Antragsberechtigten drastisch erhöht. Die Einbürgerungsvoraussetzungen wurden im Wesentlichen deutlich gesenkt und es ist demnach nun erheblich leichter geworden, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben. Es ist sicher noch zu früh, schon jetzt eine valide Bewertung in Bezug auf einen dauerhaften Trend vorzunehmen, aber der Monat Juli hat bereits einen signifikanten Anstieg bei den Antragszahlen gezeigt.
Bis zum Inkrafttreten der Novelle sind uns im Zeitraum Januar bis Juni 2024 1357 Anträge zugegangen; allein im letzten Monat Juli sodann 947. Im gesamten Jahr 2022 rund 1.800; in 2023 insgesamt rund 2.500 Anträge.
Wir haben den Beratungsverlauf der Gesetzesnovelle im Deutschen Bundestag hier aufmerksam verfolgt und hatten uns bereits unmittelbar nach der finalen Beratung auf den Weg gemacht, das Team der Einbürgerungsbehörde weiter aufzustocken. Wir haben uns entschieden, beginnend ab Mai sukzessive insgesamt zehn weitere Kräfte in das Team der Einbürgerung zu integrieren. So haben wir es geschafft, zumindest für einen Teil der Neuen auch eine gewisse Einarbeitung zu gewährleisten. Mit dem Start der digitalen Antragsstrecke zum 1. August. sind wir zudem dann auf vielen Wegen und damit sehr serviceorientiert („klassisch“ per Post, per eMail über das Funktionspostfach einbuergerung@bochum.de oder eben sehr bequem digital über unser Bürgerserviceportal www.bochum.de/ Einbürgerung zur Antragsabgabe aufgestellt. Die digitale Antragsstrecke macht über einen vorgeschalteten Quick-Check auf etwaige Probleme bei den Antragsvoraussetzungen aufmerksam und bietet die Möglichkeit, Unterlagen sogleich hochzuladen. Sie ist überdies hinaus mit einer ePayment-Funktion verknüpft. Wir haben die Bearbeitung / Wartezeit von knapp 22 Monaten (2022) auf aktuell rund neun Monate reduzieren können.“