Düsseldorf. Der Skandal um ergaunerte Aufenthaltstitel für reiche Chinesen belastet die NRW-Regierung. Nun werden drehbuchreife Details bekannt.

Als Christina Kampmann am Montagmorgen, mitten im politischen Sommerloch, eine Antwort der schwarz-grünen Landesregierung auf ihre Kleine Anfrage im Eingangsfach des dienstlichen E-Mail-Accounts fand, traute sie ihren Augen nicht.

Die 44-jährige SPD-Innenexpertin und frühere NRW-Familienministerin wollte vor ihrem Urlaub eigentlich nur routinemäßig abklopfen, ob der mutmaßliche Kopf einer Luxus-Schleuserbande noch über weitere Kontakte in Düsseldorfer Ministerien verfügte. Viel versprach sie sich davon offenbar selbst nicht. Doch das Ergebnis der Recherche kommt nun fast drehbuchreif daher.

Was bisher bekannt war: Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf ermittelt seit vier Jahren gegen ein Netzwerk des Frechener Anwalts B., das vermögenden Ausländern insbesondere aus China dauerhafte Aufenthaltsgenehmigungen ergaunert haben soll. Insgesamt sollen neun Millionen Euro an Provisionen und Bestechungsgeldern geflossen sein.

Schleuser-Boss sollte Parteispenden gezielt stückeln

Anwalt B. muss über Jahre die Nähe zu politischen Entscheidungsträgern gesucht und mit üppigen Parteispenden die Landschaft in NRW „gewässert“ haben. Zu den Dutzenden Beschuldigten gehören neben einigen Verwaltungsbeamten auch der Dürener CDU-Landrat und der Solinger SPD-Oberbürgermeister, die sämtliche Vorwürfe bestreiten. Ein Dürener Kreismitarbeiter mit SPD-Parteibuch saß sogar über Wochen in Untersuchungshaft, weil er mit 300.000 Euro aus dem Schleusertopf bestochen worden sein soll.

Das kriminelle Modell: Mit fingierten Bescheinigungen sollen die Einwanderer aus Asien als angebliche Investoren oder gesuchte Fachkräfte behandelt worden sein und konnten sich fortan frei in der EU bewegen. Der mutmaßliche Kopf der Bande hatte ausgerechnet Innenminister Herbert Reul (CDU) zwischen Februar 2022 und Frühjahr 2023 mindestens achtmal getroffen.

Kurz vor der Landtagswahl im Mai 2022 gingen beim CDU-Kreisverband Rhein-Berg drei zweckgebundene Spenden aus den Firmen des Anwalts B. für Reuls Wahlkampf in Höhe von knapp 30.000 Euro ein. Das Geld war in drei Tranchen von je 9990 Euro gestückelt. Ab 10.000 Euro muss ein Parteispender veröffentlicht werden.

Auf Kampmanns Anfrage musste die Landesregierung nun einräumen, dass der mutmaßliche Schleuserbanden-Chef bei weitem nicht nur Zugang zu Reul hatte. Die Landesregierung habe ihm „offenbar mehr Türen geöffnet als bisher bekannt gewesen ist“, staunte Kampmann.

Schleuser-Boss lobbyierte offenbar auch gegen Kiesabgabe in NRW - die nie kam

Als Lobbyist einer bekannten Berliner Kommunikationsagentur traf der mutmaßliche Schleuserboss im Sommer 2023 Umwelt-Staatssekretär Victor Haase (Grüne) und in einer Video-Konferenz die grünen Minister Oliver Krischer und Mona Neubaur. Türöffner sollen dabei der ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete Hubert Kleinert und der Ex-Minister Ernst Schwanhold (SPD) gewesen sein. Auftraggeber war ein Rohstoffunternehmen.

Thema der Unterredungen war die zum 1. Januar 2024 geplante Kies- und Sandabgabe in NRW - eigentlich ein Herzensthema der Grünen. Bis heute wurde die Abgabe nicht eingeführt. Im Winter 2023 kam es noch zu einem Treffen mit Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) zum Thema Digitalisierung. Bislang ist unklar, ob Anwalt B. seine Lobbytätigkeit für Unternehmen direkt oder indirekt mit den Schleuser-Aktivitäten verbunden hat.

Eine Wahlkampfspende aus mutmaßlich zwielichtiger Quelle macht NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) seit geraumer Zeit zu schaffen.
Eine Wahlkampfspende aus mutmaßlich zwielichtiger Quelle macht NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) seit geraumer Zeit zu schaffen. © dpa | Fabian Strauch

Offenbar wurde jedoch sehr stringent die Nähe zur Landesregierung gesucht. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ zitierte am Dienstag aus Abhörprotokollen einer monatelangen Telefonüberwachung im Zuge der Ermittlungen. Anwalt B. muss demnach einem Komplizen berichtet haben, gezielt das Gespräch mit Innenminister Reul suchen zu wollen. Er habe vorgeschlagen, den Kontakt durch eine Parteispende herzustellen. Ein altgedienter CDU-Politiker, mit dem sich der Schleuserboss telefonisch beriet, mahnte laut „Kölner Stadt-Anzeiger“, bloß unter der Veröffentlichungsgrenze für Parteispenden von 10.000 Euro zu bleiben. „Alles andere sei verdächtig.“

Vor allem ein bislang nicht bekannter Zugang des mutmaßlichen Schleuser-Chefs in die Regierungszentrale von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) macht die Opposition hellhörig. Wie erst jetzt herauskommt, ist Anwalt B. ein Studienfreund von Staatssekretär Bernd Schulte (CDU), dem Amtschef der Staatskanzlei. Im Mai 2023 habe der Beschuldigte dem Staatssekretär „einen kurzen Besuch in dessen Büro abgestattet“, räumt die Landesregierung ein. Gesprächsinhalt: unbekannt. Im November 2023 hielt Schulte dann auf Bitten von B. einen Vortrag in Köln, am 8. April 2024 ging man zusammen in der Domstadt essen.

Neun Tage später durchsuchten mehr als 1000 Beamte von Bundespolizei und der Staatsanwaltschaft bei einer bundesweiten Razzia 101 Wohn- und Geschäftsräume der Schleuserbande. Schultes Studienfreund wurde verhaftet.