Essen. Nicht erst seit den Vorwürfen gegen einen Gelsenkirchener Professor ergreifen Hochschulen Maßnahmen gegen sexuelle Diskriminierung und Gewalt.

Manche Hochschulen werden erst wach, wenn es zu spät ist. Wird ein Fall von sexueller Belästigung oder gar Gewalt bekannt, ist das nicht nur für das Opfer ein persönliches Drama. Der Rufschaden für die betroffene Hochschule ist enorm - und lässt sie dann hektisch aktiv werden. Doch den meisten Hochschulen in NRW sind geschlechtsbezogene Gewalt, Machtmissbrauch und sexuelle Belästigung keine neuen Themen.

„Viele sind sehr für die Probleme sensibilisiert und stecken viel Energie in Präventionsmaßnahmen“, weiß Anke Lipinsky vom Gesis - Leibniz Institut für Sozialforschung in Köln. Die Wissenschaftlerin hat 2022 geschlechterbezogene Gewalt an Hochschulen und Forschungseinrichtungen in einer großen Umfrage untersucht. Danach gab fast ein Drittel der Befragten an, im Studium oder bei der Arbeit sexuelle Belästigung erlebt zu haben.

Folgen für den Studienerfolg

Auch die Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen, wo derzeit Vorwürfe gegen einen Professor wegen mutmaßlichen Machtmissbrauchs und teils sexueller Übergriffe für Aufsehen sorgen, hat die Problematik nicht ignoriert. Die Richtlinie „Diskriminierungsfreie Hochschule“ gibt Hochschulangehörigen Hinweise, an wen sich Studierende bei sexueller Belästigung, Mobbing, Diskriminierung oder Gewalt wenden können, etwa an den Asta, die Gleichstellungsbeauftragte oder direkt an das Hochschulpräsidium. Die Richtlinie regelt auch ein geordnetes Beschwerdeverfahren.

„Wir nehmen das sehr ernst“: Prof. Isolde Karle, Prorektorin der RUB.
„Wir nehmen das sehr ernst“: Prof. Isolde Karle, Prorektorin der RUB. © FFS | Fabian Strauch

„Sexuelle Belästigung oder Diskriminierung ist nicht nur ein moralisches Problem“, betont Isolde Karle, Prorektorin für Diversität, Inklusion und Talentförderung an der Ruhr-Uni Bochum. „Es hat auch meistens handfeste Folgen für die Studienleistungen und die Motivation. Das kann bis zum Studienabbruch führen“, sagt die Professorin. Dies sei bei einer Umfrage unter Studierenden zum sozialen Klima im vergangenen Sommer deutlich geworden.

Land fördert neue Beratungsstelle

Im Januar habe die Bochumer Uni eine Antidiskriminierungs-Richtlinie verabschiedet, die klare Beratungsangebote und Beschwerdewege aufzeige. Vergangenen Herbst wurde zudem die Stelle einer Anti-Diskriminierungs-Beauftragten eingerichtet. „Nach einem Übergriff auf eine Studentin wurden die Kontaktdaten der Beauftragten überall auf dem Campus verbreitet.“ Sexuelle Übergriffe seien kein Kavaliersdelikt, stellt Karle klar. „Wir nehmen das sehr ernst und gehen Vorwürfen konsequent nach.“

Die TU Dortmund baut derzeit eine zentrale Beratungsstelle zum Schutz vor Diskriminierung und sexueller Gewalt auf. Von der Landesregierung wird die Uni dabei mit 300.000 Euro für drei Jahre unterstützt. Die Anlaufstelle soll zudem eng mit der Verwaltung und den Fakultäten zusammenarbeiten, um Gefahren für Diskriminierung etwa in Lehrveranstaltungen vorzubeugen. Ein Austausch der Ergebnisse mit den Partner-Unis Bochum und Duisburg-Essen sei geplant.

Uni geht jeder Beschwerde nach

Im März 2022 verabschiedete die TU Dortmund eine entsprechende Richtlinie. Darin verpflichtet sich die Uni, Diskriminierung und sexualisierte Gewalt „intensiv und unnachgiebig zu verfolgen“ und „angemessen zu sanktionieren“. Auch vorbeugende Maßnahmen für ein „belästigungsfreies Arbeitsklima“ sind dort festgelegt. Dabei geht es nicht nur um Unterstützungsangebote für Betroffene. Durch regelmäßige Schulungen und Informationen sollen Vorgesetzte und Hochschullehrkräfte für die Problematik sensibilisiert werden.

Die Uni Duisburg-Essen verfasste bereits 2006 eine Richtlinie gegen sexuelle Diskriminierung und Gewalt, die auch Beratungspersonen und Beschwerdewege nennt. Hilfsangebote werden den Studierenden schon bei der Einführungswoche zum Studienstart vorgestellt, teilt die Uni mit. Alle Vorgesetzten und Fakultätsleiter seien verpflichtet, Vorwürfen zu sexuellen Übergriffen und Diskriminierung nachzugehen. Dies könne zu Disziplinarverfahren, Abmahnungen oder gar zur fristlosen Kündigung führen.

Gender-Report sieht Licht und Schatten

Nachdem im Januar an der Uni Köln rund 250 Studierende gegen einen Professor protestiert hatten, der eine Doktorandin massiv sexuell belästigt haben soll, befasste sich auch der NRW-Landtag mit der Situation an den Hochschulen. Wissenschaftsministerin Ina Brandes legte den Fachausschüssen einen „Gender-Report“ vor, der den Stand bei der Prävention an den Hochschulen des Landes detailliert darstellt.

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Zwar moniert der Report, dass es an Hochschulen oftmals noch an „systematischen Handlungsstrategien“ und einem „umfassenden Diskriminierungsschutz“ fehle, doch viele Einrichtungen hätten bereits zahlreiche Maßnahmen ergriffen. Mehrere Hochschulen verfolgten demnach eine „Null-Toleranz-Politik“ im Falle sexueller Diskriminierung und Gewalt und geben an, notfalls auch Mitarbeitende zu entlassen.

Einzelunterricht im Fokus

Zahlreiche Unis haben in der Vergangenheit entsprechende Richtlinien erlassen und Ansprech- und Beschwerdestellen für Betroffene etabliert. So hat zum Beispiel die Hochschule Düsseldorf ein anonymisiertes Meldeverfahren über die Website der Hochschule eingerichtet. Viele Hochschulen bieten zudem Fortbildungen für Führungspersonal und Beschäftigte an, die in der Beratung zuerst Kontakt zu Betroffenen von sexueller Belästigung oder Übergriffen haben.

An den eher kleinen Kunst- und Musikhochschulen ist laut „Gender-Report“ Machtmissbrauch und Abhängigkeit von Studierenden wegen des Einzelunterrichts ein besonderes Problem. Daher hat zum Beispiel die Folkwang Universität der Künste in Essen ein Maßnahmenpaket zum Thema „Nähe und Distanz im Ausbildungsalltag“ entwickelt. Die Hochschule für Musik und Tanz in Köln will laut Report drohenden Abhängigkeitsverhältnissen im Einzelunterricht mit einem Wechsel der Dozenten vorbeugen.

Hoffnung auf Kulturwandel

Insgesamt sieht Anke Lipinsky die Hochschulen beim Kampf gegen Machtmissbrauch und sexueller Diskriminierung auf einem guten Weg. Seit der „MeToo“-Debatte ab 2017 gebe es mehr Gesprächsbereitschaft und eine größere Aufmerksamkeit in den Hochschulleitungen, beobachtete die Sozialwissenschaftlerin. „Ich hoffe, dass jetzt mehr passiert und der Kulturwandel an Hochschulen noch aktiver vorangetrieben wird.“