Berlin. Der Skandal um die Vernichtung von Verfassungsschutzakten durch Behördenmitarbeiter weitet sich aus: Laut einem Medienbericht ordnete das Innenministerium die Vernichtung der Akten an. Die Vernichtung sei “in der Sache gerechtfertigt“, die Akten hätten nichts mit der NSU zu tun.
Das Bundesinnenministerium hat laut einem Bericht zehn Tage nach dem Auffliegen der Thüringer Neonazi-Zelle NSU das Bundesamt für Verfassungsschutz mit der Vernichtung der Protokolle von sechs Abhörmaßnahmen gegen Rechtsextremisten beauftragt. Die "Stuttgarter Nachrichten" berichteten am Donnerstag, am 14. November 2011 sei eine entsprechende Anordnung erteilt worden, über die der zuständige Untersuchungsausschuss am Dienstag informiert worden sei. Laut der Zeitung begründete das Ministerium den Vorgang mit einer "fristgerechten Sammelanordnung für Löschungsfälle nach Ablauf der Speicherfrist".
Der rechtsextremen Zelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) wird eine Serie von Morden an neun Migranten und einer Polizistin im vergangenen Jahrzehnt zugeschrieben. Wegen einer Reihe von Ermittlungspannen stehen seit Bekanntwerden der Mordserie im vergangenen Jahr die Verfassungsschützer bundesweit heftig in der Kritik. Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm geht zum Monatsende auf eigenen Antrag in den Ruhestand - als Konsequenz aus Aktenvernichtungen im Zuge der Ermittlungen zu den Neonazimorden.
Die "Stuttgarter Nachrichten" zitierten einen Sprecher des von Hans-Peter Friedrich (CSU) geführten Bundesinnenministeriums mit den Worten, die Aktenvernichtung sei in der Sache gerechtfertigt und die zeitliche Nähe zum Aufdecken des NSU um Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe ein Zufall gewesen. Zudem gab das Ministerium nach Angaben der Zeitung an, die vernichteten Akten hätten nichts mit dem Auftrag des Untersuchungsausschusses zu der Neonazimordserie zu tun.
NSU-Untersuchungsausschuss kommt wegen Aktenvernichtung zu Sondersitzung zusammen
Der Untersuchungsausschuss zum Rechtsterrorismus kommt am heutigen Donnerstag (10 Uhr) zu einer internen Sondersitzung in Berlin zusammen. Die Bundestagsabgeordneten wollen den von Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) eingesetzten Sonderermittler, Hans-Georg Engelke, zu verschiedenen Akten-Affären beim Verfassungsschutz in Bund und Ländern befragen.
Im Mittelpunkt steht die Frage, wie es zu der Vernichtung von wichtigen Akten kommen konnte, nachdem der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) im November 2011 aufgeflogen war. Der Organisation werden bundesweit zehn Morde zur Last gelegt. Der scheidende Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, hatte seiner Behörde zuletzt vorgeworfen, sie habe den Vorfall vertuschen wollen. Gegen drei Mitarbeiter laufen Disziplinarverfahren.
Der vom Ausschuss geladene Engelke ist Unterabteilungsleiter im Bundesinnenministerium und als solcher für den Verfassungsschutz zuständig. (afp, dapd)