Essen/Düsseldorf/Köln. Noch eine Woche, dann tritt der Rechtsanspruch auf einen Betreungsplatz für U3-Kinder in Kraft. Schon jetzt ist klar: Nicht für jedes Kind, das Anspruch darauf hat, steht auch ein Platz zur Verfügung. Rechtsanwälte reiben sich die Hände. Sie rechnen damit, dass viele Eltern ihre Kommunen verklagen.
Rechtsanwälte wittern das ganz große Geschäft: Ab dem 1. August 2013 hat jedes Kind zwischen einem und drei Jahren Anrecht auf einen Betreuungsplatz hat. Die Städte in NRW werden aber längst nicht jedem Kind einen Platz anbieten können. Deshalb könnte es dann zu einer Klagewelle enttäuschter Eltern kommen.
Wer im Internet nach Begriffen wie "Kitaplatz" und "Rechtsanspruch" sucht, stößt auf dutzende Seiten, auf denen Rechtsanwälte um Klienten buhlen. Eine von ihnen ist die Düsseldorfer Rechtsanwältin Wiebke Werner. Vor rund einem halben Jahr hat sie die Seite "rechtsanwalt-kitaplatz.de" gestartet und seitdem Dutzende Anfragen von Eltern erhalten.
"Die Behörden kommen sonst nicht aus dem Quark"
Sie will Eltern, die keinen Kita-Platz für ihr Kind bekommen haben, die Hemmung vor juristischen Schritten nehmen. "Meine Erfahrung ist: Eltern, die offensiv vorgehen, haben meistens auch Erfolg", sagt sie. Den Städten sei meist daran gelegen, solche Fälle schnell vom Tisch zu bekommen. Ein besonders prägnanter Fall ist ihr in Erinnerung geblieben: "Da haben wir den Antrag eingereicht - und drei Tage später bekam die Mutter eine Zusage für ihre Traum-Kita."
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Das bestätigt auch ihr Kollege Stefan Glaser aus der Kölner Kanzlei Advogereon. "Viele Eltern wollen Klagen vermeiden, aber die Behörden kommen sonst einfach nicht aus dem Quark", berichtet er aus seiner Erfahrung. Fast 30 Verfahren haben er und sein Kollege schon angestoßen. In fast allen Fällen hatten die Eltern zuvor versucht, ohne juristischen Beistand zum Erfolg zu kommen. "Manche haben 20 Mails an die Stadt geschickt und fast täglich angerufen, nur um eine Antwort zu bekommen", erzählt er.
Prozesse teilweise in drei bis vier Wochen abgeschlosssen
Wer sich zu einer Klage durchringt, geht natürlich ein Risiko ein. Niemand kann garantieren, dass der Kläger vor Gericht tatsächlich gewinnt. Zudem stellt sich häufig ein technisches Problem: "Wenn es keine Kitaplätze gibt, kann der Richter dem Kläger auch keinen Platz zuweisen", sagt Glaser. Auch könne keiner sagen, wie lange der Prozess dauert. Bisher sei er aber überrascht, wie schnell die Gerichte entscheiden. Viele Fälle seien in drei bis vier Wochen abgeschlossen worden.
Wer über eine Klage nachdenkt, muss natürlich auch die Kosten berücksichtigen. Im Falle einer Niederlage trägt man nicht nur die Kosten für den eigenen Rechtsbeistand, sondern auch die der Gegenseite. Da kommen schnell vierstellige Beträge zusammen. Siegt man vor Gericht, trägt die Gegenseite die Kosten.
Kommunen suchen nach Alternativen zu Kitaplätzen
Von einer "Klagewelle" will Volker Bästlein, Sprecher des Städtetags NRW, nichts wissen. Schließlich seien "die Eltern an Kitaplätzen interessiert, nicht an Klagen". Außerdem seien die Kommunen vielerorts bemüht, den Eltern Alternativen anzubieten, wenn es keine freien Kita-Plätze gebe: etwa Platzangebote in Spielgruppen oder Betreuungsplätze in angrenzenden Städten.
Dennoch rechnet er auch er damit, dass es einzelne Prozesse geben werde. Das sei dann aber nicht die Schuld der Kommunen: Die hätten schließlich schon frühzeitig darauf hingewiesen, dass der Ausbau zu langsam voranschreite. Was fehle, sei Geld von den Landesregierungen, um den Ausbau zu finanzieren.
Bundesweit fehlen 100.000 Betreuungsplätze für U3-Kinder
Bundesweit fehlen nach Angaben des Städtetags noch 100.000 Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren. Lange Zeit waren die Kommunen davon ausgegangen, dass sie alle Wünsche abdecken könnten, wenn sie Plätze für 35 Prozent der Kinder vorrätig hielten.
Kita-Ausbau in Oespel geht voran
Zuletzt zeigte sich jedoch, dass der Bedarf in den Großstädten deutlich höher ist: Dort gaben die Eltern von jedem zweiten Kind an, einen Betreuungsplatz belegen zu wollen.
Fragen und Antworten zum Rechtsanspruch
Reichen die Angebote für U3-Plätze nach dem massiven Ausbauprogramm in NRW aus?
Ab August stehen in NRW 145 000 Plätze für Unter-Dreijährige zur Verfügung – 26 Prozent davon bei einer Tagesmutter. Der Betreuungsbedarf im städtischen und ländlichen Raum ist aber sehr unterschiedlich. Auch wenn die einzelne Kommune für 33 Prozent der U3-Kinder einen Platz anbietet, können Eltern bei einem höheren Bedarf klagen. Wer nachweisen kann, dass er mangels Betreuungsplatz eine Stelle nicht antreten konnte, kann auf Schadensersatz klagen.
Erwartet NRW eine Klagewelle?
Nein. In Großstädten wie Münster, Aachen und Gelsenkirchen liegen bisher keine Klagen vor. In Köln sind 14 Klagen anhängig, in Düsseldorf zehn bis 15. Sorge bereitet Rot-Grün ein Urteil des Verwaltungsgerichts Köln, wonach Eltern auf Wunsch Anspruch auf einen Kita-Platz haben und nicht an eine Tagesmutter verwiesen werden können. Die Regierung hält Kita und Tagespflege dagegen für gleichwertig. Grünen-Expertin Asch erwartet, dass das OVG Münster auch das Kölner Urteil „einkassiert“, wonach der Betreuungsplatz nicht weiter als fünf Kilometer vom Wohnort entfernt liegen darf. Das Düsseldorfer Verwaltungsgericht hatte zuvor 42 Minuten Wegezeit für zumutbar erklärt.
Welchen Anspruch auf Betreuung haben Eltern?
In der Regel werden Eltern Halbtagesplätze angeboten. Wer eine Übermittag-Betreuung benötigt oder als Schichtarbeiter sogar ein Übernacht-Angebot beansprucht, muss den erhöhten Bedarf nachweisen. Mehr als 45 Wochenstunden Betreuung in der Kita oder bei einer Tagesmutter sowie eine nächtliche externe Betreuung gelten allerdings unter Erziehungsexperten als nicht förderlich.
Wie groß sind die Kita-Gruppen?
Es gibt drei Gruppen: In der gemischten Gruppe mit bis zu sechs Kindern unter drei Jahren dürfen 20 Kinder betreut werden. Für Gruppen mit Kindern unter drei Jahren gilt die Obergrenze 10 Kinder, für Gruppen mit Kindern über drei Jahren sind 25 Kinder erlaubt. Als einmalige Ausnahme darf 2013/14 jede Gruppe zwei Kinder mehr umfassen – das soll im Kindergartenjahr 2014/15 allerdings wieder vermieden werden.
Reicht die Zahl der Erzieher überhaupt aus?
Die Versorgung im ländlichen Raum ist nach Angaben der Koalition gewährleistet. Angesichts des starken Stadt-Land-Gefälles beim Ausbau gibt es aber einen regionalen Personalmangel. Vor allem an sozialen Brennpunkten großer Städte drohen Engpässe – auch wegen des höheren Bedarfs an Sprachförderung.
Was muss eine Tagesmutter an Qualifikation nachweisen?
Tagesmütter müssen eine 160-Stunden-Grundqualifizierung absolvieren und benötigen eine Pflegeerlaubnis vom Jugendamt. Sie dürfen maximal fünf Kinder daheim betreuen.
FDP und einzelne Kommunen haben eine Aufteilung von Kita-Plätzen auf zwei Kinder vorgeschlagen, weil nicht jedes Kind die Obergrenze von 45 Wochenstunden ausschöpft. Wird das genehmigt?
Nein. Rot-Grün lehnt eine „Taubenschlag-Pädagogik“ ab und will Abstriche an Qualitätsstandards in Kitas nicht akzeptieren. Bisher hat aber kein Träger in NRW ein „Platz-Sharing“ beantragt.
Alternativ zum Kita-Platz können Eltern ein Betreuungsgeld für Ein- und Zweijährige beantragen. Gibt es dafür Bedarf?
Die Kommunalen Spitzenverbände rechnen für 2014 mit knapp 100 000 Anträgen in NRW. Ab August 2013 können 100 Euro monatlich, ab August 2014 dann 150 Euro Betreuungsgeld monatlich beantragt werden.
Was kostet ein U3-Platz in einer der landesweit 9400 Kitas?
Durchschnittlich fallen Kosten von 9800 Euro im Jahr pro Platz an.
Reicht der Ausbau, wenn in den nächsten Jahren die Geburtenzahlen weiter sinken?
Experten erwarten, dass der Bedarf an Betreuungsplätzen mit dem Angebot in den nächsten Jahren noch steigen wird. Bund und Länder müssen also den Ausbau weiter finanziell stützen. Mit dem Bund-Länder.Programm wird der Ausbau forciert: 2013 erreichen die NRW-Ausgaben für die Kindertagesbetreuung 1,73 Milliarden Euro.
Viele Eltern bewerben sich bei mehreren Kitas um einen Platz, das führt zu zahlreichen Nachrückverfahren. Kann das Anmeldeverfahren nicht erleichtert werden?
Um die Vergabe der vorhandenen Plätze zu erleichtern, soll ein landesweit einheitliches Anmeldeverfahren für Kitaplätze eingeführt werden. In Aachen und Düsseldorf können Eltern ihre Kinder schon heute online für ihre Wunsch-Kitas anmelden. Wenn ein Bewerber für die Wunsch-Kita keine Zusage erhält, können Jugendämter unbürokratisch Alternativen anbieten.