München. Deutsch wird zu einer “Recycling-Sprache“ sagt der Vorsitzende des deutschen Rechtschreibrats, Hans Zehetmair. Als Grund dafür nennt er SMS und Twitter, die eine Verkürzung und Vereinfachung nötig machten. Andere Sprachforscher widersprachen Zehetmairs Aussagen.
Streit um die Folgen von Twitter und SMS für die deutsche Sprache: Sie gefährden das Sprachgut, sagte jetzt der Vorsitzende des deutschen Rechtschreibrats Hans Zehetmair in München. Das Deutsche verarme in den neuen Medien zu einer „Recycling-Sprache“, sagte Zehetmair. Es werde immer mehr verkürzt und vereinfacht und ohne Kreativität wiedergekäut. Der Sprachverfall betreffe vor allem Jugendliche, deren Vokabular bei SMS und Twitter sei generell sehr simpel, die Rechtschreibung fehlerhaft. „Alles ist super, top, geil, aber nicht mehr authentisch“, kritisierte Zehetmair.
"Einer SMS mangelt es an Gefühl und Herzlichkeit."
iPad, Twitter und das Kurzmitteilungsprogramm WhatsApp sollten Kinder daher erst benutzen, wenn sie schon gefestigte Deutsch-Kenntnisse hätten – unter 14 Jahren sind diese Kommunikationsmittel nach Ansicht Zehetmairs entbehrlich: „Die Jugend darf sich von der schwindelerregenden Entwicklung nicht vereinnahmen lassen. Einer SMS mangelt es an Gefühl und Herzlichkeit.“
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Das Gegenteil hat der Essener Sprachforscher Karl-Dieter Bünting beobachtet: „Eine SMS ist dichter am Menschlichen, durch ihre größere Lockerheit hat sie ganz andere emotionale Qualitäten als ein Brief.“ Die neue Kommunikationsform mache die Sprache nicht kaputt, sondern eröffne neue Möglichkeiten des Ausdrucks, der Zwang zur Verdichtung rege sogar die Phantasie an.
Verein Deutsche Sprache stimmt den Aussagen zu
Der Verein Deutsche Sprache stimmt dagegen den Aussagen Zehetmaiers zu: „Die deutsche Sprache wird zu wenig gepflegt und verfällt in bestimmten Bereichen“, sagt Geschäftsführer Holger Klatte. Er bemängelt, dass Deutsch als Schulfach zu wenig Bedeutung beigemessen wird und im Umfang gegenüber Englisch und IT-Fächern verliert. „Das was Zehetmair beschreibt, sind die Folgen daraus“, sagt Klatte. Die bis an die Uni reichen können. Kürzlich bemängelte der Bayreuther Philologe Gerhard Wolf, dass Studienanfänger in Deutschland massive Lücken in Rechtschreibung und Grammatik aufweisen.
„Man kann nicht von der Tatsache, dass es SMS und Twitter gibt, einen Verfall der Schriftsprache konstruieren. Das ist aus meiner Sicht völlig überzogen, dafür gibt es keine Belege“, sagt hingegen der Hannoveraner Sprachforscher Peter Schlobinski. Er forscht seit über zehn Jahren zum Sprachgebrauch in SMS, Twitter oder Blogs. In den SMS-üblichen Abkürzungen sieht er ein „optimiertes, angepasstes Verhalten“ der Jugendlichen: „Es ist normal und intelligent, sich der Kommunikationsform anzupassen. Man kann nicht auf 160 Zeichen Thomas-Mann-Sätze schreiben, das würde keinen Sinn machen. In den Blogs schreiben Jugendliche wieder ganz anders, zuweilen geradezu literarisch.“ Der Duisburger Linguist Ulrich Ammon wies darauf hin, dass es sich bei der SMS-Sprache um reine Umgangssprache handele; die sei schon immer lässiger und anders gewesen als die Hochsprache, die davon nicht beeinflusst werde.