Essen. Die neuen Freiheiten sind möglich geworden durch überraschende Vernunft in den Wochen zuvor. Der umgekehrte Weg ist natürlich immer noch möglich.

Seit Montag gelten in NRW die Lockerungen der Pandemie-Maßnahmen. Es ist noch viel zu früh für eine Bilanz. Allerdings hat sich das Bild auf den Straßen bereits spürbar gewandelt. Es sind wieder mehr Menschen unterwegs, der Verkehr hat zugenommen.  Und man gewinnt den Eindruck: Die Menschen leben zum Teil auf komplett unterschiedlichen Virus-Planeten und einige wenige offenbar auch unter einem ziemlich großen Stein.

Immer noch und zu unser aller Glück handelt der allergrößte Teil der Leute einsichtig: Abstände werden eingehalten, Hände gewaschen, Kontakte begrenzt – man reißt sich zusammen, weil es vernünftig ist. In dieser Hemisphäre des menschlichen Miteinanders gibt es auch Rücksichtnahme und Empathie. Aber es gibt auch gefühlt immer mehr Ausreißer in die eine oder andere Richtung: Corona-Paniker und Corona-Ignoranten. Die Corona-Paniker sind beispielsweise Menschen, die mit Distanz-Stöcken auf Wanderwegen um sich wedeln und „Abstand halten“ brüllen.

Die falschen Schlüsse aus der Lockerung

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 Die nerven manchmal, die zweite Gruppe aber ist eine echte Gefahr für die Gesellschaft. Denn es ist eine wachsende Gruppe, die aus den vorsichtigen Lockerungen den komplett falschen Schluss zieht und sich nun so enthemmt benimmt, als gebe es das Virus nicht mehr. Dabei ist solches Verhalten offenbar nicht altersbedingt – unsere gefühlte Vermutung war, dass es besonders Senioren oder ganz junge Menschen sind, die gerne und komplett über die Corona-Stränge schlagen. Die einen, weil sie denken, dass es sie sowieso nicht trifft, die anderen weil sie eine falsche Gelassenheit walten lassen.  

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Unsere Lokalredaktionen haben deswegen bei den Ordnungsämtern der Region nachgefragt. Anhand der ausgestellten Bußgelder lasse sich jedoch kein Muster der Unvernunft festmachen, beteuern die Behörden. Das ist eine durchaus nachvollziehbare Antwort, die dabei helfen soll, keine Konflikte zu schüren - zum Beispiel zwischen den Generationen. Das soll auch nicht geschehen. Denn die Aussage, dass wir nur zusammen durch die Krise kommen, ist nicht deshalb doof, nur weil sie eine Binse ist.

Es gibt die Lockerungen TROTZ weiter bestehender Gefahren

Deswegen wäre es fatal, wenn sich die Corona-Ignoranz ausbreitet: Die Lockerungen bedeuten eben mitnichten, dass die Gefahr vorüber ist. Es bedeutet nur, dass wir trotz der Gefahr die Regeln ein bisschen aufweichen, weil wir denken, das Problem besser im Griff zu haben. Und weil klar ist, dass auch der komplette Lockdown enorme Risiken birgt. Er vernichtet Jobs und Vermögen, ruiniert die Gesellschaft. Wer denkt, dass wir uns einen monatelangen wirtschaftlichen Stillstand leisten können, ist ein gefährlicher Naivling.

Die Lockerungen können sich aber auch rasch als Dummheit erweisen, wenn zu viele Menschen die jetzige Situation nicht verstanden haben oder die Gefahren vergessen. Die Lockerungen kann es eben nur geben, wenn wir uns weiter an die Regeln halten:  Abstand halten, Abstand halten, Abstand halten, Hände waschen, Masken tragen – und diejenigen, die ein Smartphone haben, sollten die Tracking-App laden, wenn sie angeboten wird (und wer jetzt via Facebook auf Datenschutz-Bedenken hinweist, ist raus aus der Debatte).

Richtiger Kurs, missverständliche Signale

Das eine wird es ohne das andere nicht geben. Die jetzige Lockerung ist möglich geworden durch die überraschend weit verbreitete Vernunft in den Wochen zuvor. Der umgekehrte Weg ist natürlich ebenfalls immer noch möglich. Trotz anhaltendem Sonnenschein, der eine Leichtigkeit des Seins suggeriert, sollten wir, auch wenn es uns anstrengt, diese eher düstere Aussicht im Auge behalten – und ebenso diejenigen, die generell ein Problem mit Regeln, Einsicht und Vernunft haben. Denn notorische Corona-Ignoranten zwingen uns möglicherweise erneut in einen Lockdown.

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Allerdings gilt diese Mahnung auch an die politischen Entscheidungsträger: Das Geschäft "Vernünftiges Handeln gegen mehr Freiheiten" basiert darauf, dass die eingeleiteten Schritte nachvollziehbar und transparent bleiben. Man geht einen Schritt. Dann sichert man anhand der Corona-Daten ab, ob es der richtige war und geht dann weiter. Der jetzige stolpernd dahineilende Kurs mit vielfältigen Lockerungen in allen Lebensbereichen befördert die Corona-Ignoranten eher noch. Die Landesregierung beispielsweise sendet an dieser Stelle trotz des richtig eingeschlagenen Kurses kommunikativ missverständliche Signale aus.