Düsseldorf. Nach der absoluten SPD-Mehrheit im Saarland wird über Auswirkungen auf die NRW-Landtagswahl am 15. Mai spekuliert. Hier die Argumente.

Ist der „Saar-Sog“ auch in Nordrhein-Westfalen spürbar? Seit die als Volkspartei offenbar vorschnell totgesagte SPD am Sonntag völlig überraschend die absolute Mehrheit im Saarland gewonnen hat, wird in Düsseldorf über mögliche Auswirkungen auf die NRW-Landtagswahl am 15. Mai spekuliert. Hat das Ergebnis aus dem kleinsten Bundesland überhaupt Einfluss auf den nahenden Urnengang im größten?

Das spricht dafür:

1.) Problem Machterbe:

Ebenso wie der krachend abgewählte Saar-Ministerpräsident Tobias Hans ist NRW-Regierungschef Hendrik Wüst (beide CDU) ohne eigenen Wahlerfolg ins Amt gekommen. Hans folgte auf die nach Berlin strebenden Annegret Kramp-Karrenbauer, Wüst dem unglücklichen Kanzlerkandidaten Armin Laschet. Beide sind Parteigewächse, die früh das Machthandwerk erlernten, aber eher keine warmherzigen „Kümmerertypen“ vom Schlage Rehlinger wurden.

2.) Landesthemen:

Auch wenn sich Ministerpräsidenten gern in Berlin tummeln und auf Talkshow-Prominenz schielen: Landtagswahlen werden auf den letzten Metern im Land entschieden. Hans wurde der wankelmütige Corona-Kurs zum Verhängnis, in NRW lauert mit der weit verbreiteten Unzufriedenheit über die schwarz-gelbe Schulpolitik ein Riesenproblem. Auch das Regierungshandeln in der Flut-Katastrophe mit einer zuständigen Umweltministerin auf Mallorca bringt Minuspunkte.

3.) Rote Herzkammer:

Das große NRW und das kleine Saarland sind historisch gesehen klassische SPD-Hochburgen mit Industriearbeiter-Vergangenheit. Allen Verwerfungen und Enttäuschungen zum Trotz genießt die Partei in diesen Ländern eine Art Grundvertrauen und regiert in vielen Rathäusern. Das Fundament, um in NRW zu regieren, ist für die SPD noch immer solide.

4.) Kanzler-Faktor:

Ob unter Kohl, Schröder oder Merkel: Bisher war es fast ein Naturgesetz, dass die im Bund regierenden Parteien bei Landtagswahlen vom Wähler abgewatscht wurden. Im Frühling 2022 ist alles anders, weil die Menschen zutiefst verunsichert sind: Es geht tatsächlich um Krieg und Frieden, und der Blick richtet sich vor allem auf den Kanzler, der mitten in der von ihm selbst beschriebenen „Zeitenwende“ Ruhe und Sicherheit ausstrahlt. Selten hat der Kanzler-Faktor eine Landes-Wahl so überlagert.

Das spricht dagegen:

1.) Persönlichkeitswerte:

NRW-SPD-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty ist sieben Wochen vor der Wahl weit entfernt von der Popularität Anke Rehlingers. Laut dem jüngsten „NRW-Check“, den Forsa Mitte März veröffentlichte, würden 37 Prozent der Befragten Wüst direkt wählen, wenn sie dies könnten. Das ist zwar nur ein mäßiger Wert, doch Kutschaty erreicht nur 21 Prozent. Und nur jeder zweite SPD-Anhänger würde dem SPD-Mann direkt wählen.

Einen möglichen Erfolgsfaktor bringt Kutschaty nicht mit: Er ist keine Frau. Bald werden vier Damen SPD-geführte Länder regieren: Rehlinger reiht sich ein bei Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz), Manuela Schwesig (Mecklenburg-Vorpommern) und Franziska Giffey (Berlin).

2.) Saar-Besonderheiten: 

Die Linke in NRW gilt als radikal und zerstritten, ist aber im Gegenteil zur Saar-Linken mit ihrem früheren Star Oskar Lafontaine seit vielen Jahren kein ernst zu nehmender Player mehr. Mit dem Austritt Lafontaines kurz vor der Wahl lag die einst stolze Saar-Linke in Trümmern, und die SPD sammelte von ihr viele Stimmen ein.  Ein Sondereffekt ohne Bezug zu NRW. Für die Grünen ist das Saarland laut NRW-Grünen-Spitzenkandidatin Mona Neubaur traditionell ein „schwieriges Terrain“. An Rhein und Ruhr konnte die Partei seit der verlorenen Landtagswahl 2017 hingegen viele Erfolge feiern. NRW ist politisch grüner als das Saarland. 

3.) Kernkompetenzen:

Die schwarz-gelbe Regierungsbilanz mag durchwachsen und durch Corona-Wirrwarr zusätzlich eingetrübt sein, in zwei Kernkompetenzbereichen steht Wüsts CDU jedoch anders als die Saar-Union ordentlich da. Innenminister Herbert Reul, das populärste Kabinettsmitglied, hat bei der inneren Sicherheit geliefert. Und die Wirtschaftsverbände freuen sich über eine konsequente „Entfesselungspolitik“ im ehemaligen Schlusslicht-Land. 

4.) Fehlerfreiheit:

Der vorsichtige Neu-Ministerpräsident Wüst muss zwar manchen Spott über seine automatenhaften Sprache ertragen, aber bei seinen durchchoreografierten, grundsätzlich überraschungsfreien Auftritten unterlaufen wenige Fehler. Ein peinliches „Tankstellen-Video“, in dem Hans zwischen „Geringverdienern“ und „fleißigen Leuten“ unterschied, wird es von Wüst nicht geben.