Düsseldorf. Amtsbonus? Fünf Monate vor der Landtagswahl fallen CDU-Regierungschef Wüst und sein SPD-Herausforderer beim Wähler durch. Warum nur?
Hendrik Wüst fällt am Donnerstagmorgen kaum auf in der vorweihnachtlichen Parlamentsgeschäftigkeit des Düsseldorfer Landtags. Trotz seiner 1,91 Meter Körperlänge und der Wucht seines Ministerpräsidenten-Amtes bewegt er sich ohne die sichtbare Verdrängung eines politischen Dickschiffs. Wüst steuert im dunklen Anzug vielmehr unprätentiös, fast leise auf einen kleinen Tisch vor der Plenarsaaltür zu. Er will rasch seine soeben erfolgte Wahl in die Bundesversammlung für die Akten quittieren.
Wüst gehört damit zu den 156 Persönlichkeiten, die der NRW-Landtag im Februar zur Kür des Bundespräsidenten nach Berlin entsendet. Er hat vor einigen Tagen seine CDU dazu aufgerufen, eine parteiübergreifend respektierte Frau fürs Schloss Bellevue zu nominieren. Das klang sympathisch. Einen Namensvorschlag für die Staatsspitze ist er jedoch schuldig geblieben. So handelte Wüst sich den Vorwurf ein, ziemlich plump die Wiederwahl von Amtsinhaber Frank-Walter Steinmeier durch die Ampel-Koalition hintertreiben zu wollen.
Nur 31 Prozent mit Arbeit der NRW-Koalition zufrieden
Unprätentiös, unauffällig, sympathisch, kommunikativ ausbaufähig – irgendwo dazwischen sind die ersten Urteile angesiedelt, die über den Mann gefällt werden, der am 27. Oktober die Nachfolge von Armin Laschet angetreten hat. Im neuen „NRW-Check“ des Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag Dutzender Regionalzeitungen liest sich das so: Bei einer Direktwahl des Ministerpräsidenten käme Wüst nur auf 24 Prozent Zustimmung. Nur 31 Prozent der Bürger sind aktuell mit der Arbeit seiner Landesregierung zufrieden.
Es sind erschütternde Werte für den 46-jährigen Wüst, der bei der Landtagswahl schon in fünf Monaten im Amt bestätigt werden will. Viereinhalb Jahre gehörte er als Verkehrsminister dem Kabinett Laschet an, doch die meisten NRW-Bürger können nichts mit ihm anfangen. Der erhoffte Amtsbonus stellt sich nach dem Aufstieg zum Landesvater offenbar nicht automatisch ein.
SPD-Herausforderer Kutschaty genießt noch weniger Rückhalt
Die NRW-CDU kann sich damit trösten, dass SPD-Herausforderer Thomas Kutschaty mit nur 12 Prozent Zustimmung noch unbeliebter ist und man seit dem Bundestagswahldebakel der Union in der Sonntagsfrage immerhin im Land wieder auf Augenhöhe (27:27 Prozent) mit der neuen Kanzlerpartei von Olaf Scholz gesehen wird.
„In der kurzen Zeit seit seiner Amtsübernahme konnte Wüst in der Nachfolge von Armin Laschet noch keine klaren Konturen gewinnen“, sagt der erfahrene Meinungsforscher Manfred Güllner. Der Ministerpräsident kämpft seit Wochen um Sichtbarkeit und geht keiner Kamera aus dem Weg. Er hetzt von Termin zu Termin, die mit „Austausch“ oder „ein Bild machen“ überschrieben sind - nach den Regeln der Polit-PR dienen sie also eher dem Besucher als den Besuchten. Er gibt zahllose Interviews, in denen Wüst zwar nichts Neues sagt, aber immerzu „bekräftigt“, „unterstreicht“ und „Nachdruck verleiht“, wie Nachrichtenredakteure variantenreich protokollieren.
Corona-Krise entscheidet die Landtagswahl
Wüsts Problem: Die überwältigende Mehrheit der NRW-Bürger misst ihn nicht an unbestreitbaren Regierungserfolgen etwa in der Innen- oder Wirtschaftspolitik, sondern am Corona-Management. Fast zwei Drittel der Bevölkerung sehen in der Pandemie ihr wichtigstes Thema. Wüst bemüht sich, ruhiger und klarer aufzutreten als sein oft fahriger Amtsvorgänger Laschet. Die nach Sicherheit und Orientierung suchende Bevölkerung soll ihn eher zum „Team Vorsicht“ zählen als den rheinischen „Lockerer“ Laschet. Fast automatenhaft und mit betonierter Mimik bringt der Volljurist aus dem westfälischen Rhede seine Sätze vor. Bloß keinen Fehler machen.
Der aktuelle Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) verschafft Wüst eigentlich eine große Bühne. Doch das Vermittlungsproblem der Landesregierung in der Corona-Krise setzt sich auch unter seiner Führung fort. Das jüngste Hin und Her bei der Maskenpflicht in den Schulen, der Schlingerkurs bei Massenevents wie Fußball und Karneval in Köln, das Kommunikationschaos beim Boostern nach vier Wochen – immer wieder muss nachgebessert werden. Außendarstellung wird wohl keine Paradedisziplin dieser Regierung mehr.
Wüst hat das Talent zum modernen Konservativen
Wüst hätte durchaus das Talent, die Rolle als moderner Konservativer auszufüllen. Der junge Vater erschien mit Kinderwagen zu seiner Vereidigung im Landtag. Im Ministerpräsidenten-Alltag lässt er unkonventionell schon mal die Dienstlimousine stehen, um kurze Wege zu Fuß zu gehen. Am Wochenende nimmt er Termine im lässigen Rollkragen-Pullover wahr, tritt überall betont höflich auf und leistet sich selten bis nie Allüren. An seine Jugendsünden als raubeiniger CDU-Generalsekretär erinnert kaum noch etwas, auch wenn er jetzt einen Weggefährten aus dieser Zeit als Wahlkampfleiter eingestellt hat.
Am Ende entscheidet wohl der weitere Verlauf der Pandemie, ob Wüst im Mai weiterregieren kann. Herausforderer Kutschaty hofft zudem, dass ein bisschen Scholz-Abglanz die eigentlich schon totgesagte NRW-SPD wieder strahlen lässt. Über eine Ampel-Koalition wird auch in Düsseldorf schon länger spekuliert. Kanzler-Faktor oder Corona-Faktor – davon hängt die Ministerpräsenten-Frage maßgeblich ab.