Essen. Der Emscher-Umbau ist ein Jahrhundertprojekt mit vielen Einzelbaustellen. Dass größere Proteste ausblieben, hat aus Sicht der Planer einen Grund.
Viel näher kann einem der Emscher-Umbau kaum kommen. Direkt hinter der Gemeinschaftsgrundschule an der Viktoriastraße in Essen-Katernberg schieben sich Baustellenfahrzeuge lärmend aneinander vorbei. Bis Ende 2022 soll in Katernberg ein gleichnamiger Bach aus den Kanalrohren in der Erde heraus an die Oberfläche und als ein Teilprojekt des Emscher-Umbaus ökologisch aufgewertet werden.
Der Lärm sei vor den Ferien nur schwer zu ertragen gewesen, sagt Schulsozialpädagogin Monika Walka und blickt durchaus stirnrunzelnd auf das Maschinengetümmel. „Zum Glück weiß man ja, wofür es gut ist.“ Und das weiß die 64-Jährige durchaus. Denn Kinder ihrer Grundschule hatten bei der Planung zum neuen Katernberger Bach ein Wörtchen mitzureden.
Ein gewaltiges Umbauprojekt, aber weit über 400 Baustellen
Wenn Mitte August der Emscher-Umbau eine entscheidende Zielmarke erreicht, steht nicht nur ein einzelnes Mammutprojekt vor dem Abschluss. In den vergangenen drei Jahrzehnten haben die Fachleute der Emschergenossenschaft weit über 400 Baustellen im gesamten Einzugsgebiet geplant, koordiniert und umgesetzt. Dass all das geklappt und größere Proteste in all den Jahren ausgeblieben sind, hat für die Emschergenossenschaft einen Grund: Man habe von Anfang an Bürger und Bürgerinnen an den Projekten beteiligt.
Eine ganze Paletten von Beteiligungsformen - von Info-Abenden, Baustellenbesuchen, Gestaltungs-Workshops, Stadtteilkonferenzen und Bildungsprojekten – kann man bei der Genossenschaft aufzählen, die rund um viele der Baustellen geplant worden sind. Wie viele Bürgerkontakte zusammengekommen sind, sei kaum nachzuhalten. Aber es waren so viele, dass sich sogar eine Doktorandin in ihrer Doktorarbeit mit dem Thema in einem Kapitel befasst hat.
Auch die Meinung von Kindern ist gefragt
Ein Beispiel ist der Katernberger Bach. Dort sei die Lage eine besondere gewesen, sagt Sozialpädagogin Walka: „Gerade von den Zugezogenen wusste kaum jemand, dass hinter unserer Schule überhaupt ein Bach fließt.“ Bekannt hingegen war die Grünfläche, unter der der Bach seit den 60er-Jahren größtenteils verrohrt floss und an deren Platz zunächst eine Baustelle treten sollte.
Lange vor dem Spatenstich lud die Genossenschaft Menschen aus dem Stadtteil und von Institutionen ein, zu Spaziergang, Stadtteilkonferenz, Jugendtreff und später einem Baustellenfest. Noch heute gebe es eine Arbeitsgruppe, berichten Aktive, über die man sich über die Planung austausche.
Ideen der Kinder sind eingeflossen: Aus einem gemalten Bild wird eine Furt
„Unsere Kinder waren Feuer und Flamme, dass sie sich auch etwas überlegen sollten“, sagt Walka. Die Genossenschaft schickte eine Künstlerin in die Schule, die mit dem Nachwuchs gemeinsam überlegte, was sie sich rund um den neuen Bach wünschten. Bilder von einem Ort zum Spielen seien entstanden, so Walka, sie wurden ausgestellt, auf Postkarten und Briefmarken gedruckt – und Ideen in die Pläne aufgenommen. So soll nun nahe der Schule eine Furt entstehen, die auch Raum für Naturexperimente bieten soll. Das sei nicht ganz so wie gewünscht, bemerkt Walka kritisch. Die Intensität des Beteiligens aber nennt sie über den Gesamtzeitraum außergewöhnlich.
Das ist insofern beachtlich, als dass die Emschergenossenschaft lange keine Übung mit direktem Bürgerkontakt hatte - sie war über Jahre maximal Adressatin für Geruchsbeschwerden. Erst das gigantische Umbauvorhaben habe zu einem Umdenken geführt, sagen Mitarbeiter.
Für Uli Paetzel, Chef der Genossenschaft, liegt darin der Erfolg: „Ich bin davon überzeugt, dass ein Projekt wie der Emscher-Umbau nur funktionieren kann, wenn man die Bürgerinnen und Bürger auch daran beteiligt.“ Baustellen waren zum Teil sehr lärmintensiv, haben den Verkehr beeinträchtigt – „so etwas tragen die Menschen nur mit, wenn man Transparenz schafft und Partizipation ermöglicht. Das sorgt letztlich für Verständnis.“
Klar sagen, was überhaupt mit-Weinberge und Emscherkunst
Zu jenen, die sich um die Beteiligung von Menschen im Revier am Emscherumbau bemühen, gehört der 61-jährige Biologe Mario Sommerhäuser. Aus seiner Sicht entscheidend: „Man muss am Anfang ehrlich sagen, was überhaupt mitentschieden werden kann und was einfach gesetzt ist.“ Da muss ein Pumpwerk gebaut werde, aber wie soll es gestaltet sein? Da muss ein Regenrückhaltebecken gebaut werden, aber wie soll die Fläche genutzt werden? Da muss ein Bach an die Oberfläche geholt werden, aber wie soll der Grünzug angelegt sein?
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Beispiele für umgesetzte Ideen gebe es vielfach, so Sommerhäuser. Oberhausener haben erreicht, dass für eine jahrelange Großbaustelle eine Behelfsbrücke geschaffen und der Lastwagenverkehr so aus ihren Wohngebieten herausgeführt wird. Bottroper haben sich in die Umnutzung einer frühen Kläranlage eingemischt, die heute als Bernepark mit Röhrenhotels international Gäste anlockt.
Auf den Emscher-Umbau folgt nun die Emscher als „Mitmachfluss“
Mario Sommerhäuser meint, dass beide Seiten das Aufeinanderzugehen lernen mussten. Auch die Bürger hätten sich an diese Art der Beteiligung gewöhnen müssen. „Das ist immer noch ein bisschen Neuland“, sagt der 61-Jährige. „Ich habe den Eindruck, dass Bürger viel zu oft bei großen Bauprojekten hören, Planungsunterlagen lägen in irgendwelchen Rathäusern aus und dazu könnte man sich dann äußern. Dass das bei uns anders ist, mussten wir erst unter Beweis stellen.“
Inzwischen hat der Abwasser-Wirtschaftsverband Erfahrung damit und sich wie die Emscher gewandelt – ging es früher ausschließlich um Schmutzwasserbeseitigung, richtet sich er heute mit „Blauen Klassenzimmern“ an Kinder und Jugendliche oder mit Mitmach-Weinbergen an Anwohner. Weitere Aktionen sind ab Herbst geplant: Die Emscher soll zu einem „Mitmachfluss“ entwickelt werden.
>>> Lob vom Experten: Emscher-Umbau hat Vorbildcharakter
Von Experten des Vereins „Mehr Demokratie NRW“ gibt es Lob für die Emschergenossenschaft. Für Landesbüro-Leiter Achim Wölfel sollten Mitmachformen, wie sie beim Emscher-Umbau gewählt worden sind, bei Bauvorhaben der Normalfall sein. „Die öffentliche Hand tut sich leider oft sehr schwer bei der Beteiligung von Bürgern“, sagt Wölfel.
Ein Grund: Gerade am Anfang könne die Planung eines Projekts oft aufwendiger, zeitintensiver und auch teurer werden, wenn Beteiligungsformen mitgedacht würden. „Am Ende gewinnt man aber Zeit, weil durch eine gute Beteiligung bauverzögernde Proteste oder Streitigkeiten früh aufgefangen werden können.“ Wichtig sei Transparenz für erfolgreiche Bürgerbeteiligung: „Sagen, was mitentschieden werden kann, was mit eingereichten Vorschlägen geschieht und wieso etwas nicht umgesetzt wird“, rät er den Planenden.