Essen.. Der Pressekodex gibt genau vor, wann die Nationalität eines Täters veröffentlicht werden darf. Ein Gespräch mit Tilman Kruse vom Deutschen Presserat.
„Wem sollen die Bürger glauben, wenn es bei der Polizei für Veröffentlichungen offenbar ‘Maulkörbe’ gibt. Und was genau sagt der Presserat, der in seinem Kodex wohl genau regelt, was geschrieben werden darf.“ Dies fragt unsere Leserin Marianne Wagemann aus Dinslaken. Zum Thema sprachen wir mit Tilmann Kruse, Sprecher des Deutschen Presserates.
Der Pressekodex verlangt, dass bei der Berichterstattung über Straftaten die Nationalität oder Herkunft der Tatverdächtigen nur genannt werden darf, wenn es dafür einen begründeten Sachbezug gibt. War das in Köln so?
Tilmann Kruse: Es kommt immer auf den Zusammenhang an. Hetze darf es nicht geben. In Köln handelte sich um eine Vielzahl von organisierten Straftaten, die in dieser Dimension noch nicht stattgefunden haben. Darum ist die Erwähnung von Nationalität und Herkunft meiner Ansicht nach eine wichtige Information, um Geschehen und Hintergründe einzuordnen. Wichtig ist diese Sachinformation auch wegen der gegenwärtigen Diskussionen zur Flüchtlings- und Ausländerpolitik.
Anders ist es bei bloßen Spekulationen, ob das Tat-Motiv mit der Religionszugehörigkeit oder dem kulturellen Migrationshintergrund etc. etwas zu tun haben könnte. Dieses wäre nur im Einzelfall zulässig, wenn es hierzu gesicherte Aussagen gäbe oder generalisierend, wenn es seriöse Erkenntnisse gäbe. Sonst wird die Grenze zur Diskriminierung sehr schnell überschritten.
Muss man nicht z.B. auch bei Einbrüchen die Täter konkreter beschreiben? Etwa, wenn Banden aus bestimmten Ländern solche Straftaten begehen?
Kruse: Nein, hier sehe ich die Grenze. Wenn es um eine kriminelle Bandenstruktur geht, die aus einem bestimmten Land agiert oder Diebesgut dorthin verschleppt, dann ist das Wissen um solche Hintergründe natürlich notwendig, um die Tat einzuordnen. Hier besteht ein Sachzusammenhang zwischen Tat und Herkunft, wie der Pressekodex in Richtlinie 12.1 fordert. Aber wenn bei einem einzelnen Autoaufbruch oder Ladendiebstahl die Nationalität genannt wird, kann dies Vorurteile gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen entfalten, denn solch eine Tat ist nicht spezifisch für eine Nationalität. Genau in solch einem Fall sollte die Nennung daher unterbleiben.
Unterschlägt man nicht etwas, wenn die Herkunft von Tatverdächtigen nicht genannt wird?
Kruse: Das Problem liegt in der Differenziertheit der Veröffentlichung. Es ist kein Problem zu schreiben, dass mit dem massenhaften Zuzug von Flüchtlingen Probleme entstehen. Diese können und sollen auch einzeln benannt werden. Sie sollen aber auch eingeordnet werden. Populistische Vereinfachung, wie sie mancher Politiker betreibt, darf es nicht geben. Ein Beispiel: Kommt es im Umfeld einer Flüchtlingsunterkunft zu einer erheblichen Erhöhung der Straftaten, die unter Berücksichtigung der durch die Flüchtlinge gestiegenen Einwohnerzahl zu einer signifikanten Erhöhung der durchschnittlichen Kriminalität führt, kann dieses erwähnt werden. Allein der Anstieg der Kriminalität sagt wenig.
Auch interessant
Wenn auf dem platten Land in einer Ortschaft mit 300 Einwohnern, die sich alle kennen, in den letzten Jahren pro Jahr zwei Diebstähle stattfanden, so ist das erfreulich wenig. Wird dort ein Flüchtlingslager mit 1000 Plätzen gebaut und es kommt im nächsten Jahr zu acht Diebstählen, dann hat sich die Kriminalität durch Flüchtlinge eben nicht um 600 Prozent erhöht, sondern ist sogar gesunken. Sollte sie auf 13 Diebstähle gestiegen sein, und das ist normaler Durchschnitt in ländlichen Gegenden, so ist auch dieses differenziert darzustellen.
Kritisch sind Berichte, die dem Stammtisch Vorschub leisten. Dieses geschieht durch pauschalisierte Aussagen, die die Angst vieler Menschen vor dem unbekannten Kulturkreis bedient. Ein Warnsignal ist: „man wird doch noch schreiben dürfen, was die Menschen so denken“. Ja, das darf man schreiben, aber es muss eingeordnet werden.
Müssen wir nicht über den Pressekodex neu diskutieren?
Kruse: Die ethischen Regeln des Journalismus zu diskutieren und auch zu hinterfragen ist aktuell ein wichtiges Thema. Es existiert in der Gesellschaft ein großer Bedarf an Qualitätsjournalismus, an Glaubwürdigkeit und sachlicher Berichterstattung. Die Frage der Kennzeichnung von Angehörigen einer ethnischen Minderheit angesichts der aktuellen Flüchtlingslage ist dabei kein Tabu, sondern in den Redaktionen differenziert aufzugreifen.
Auch interessant
Der Presserat wird sich im Frühjahr mit der Ziffer 12 des Pressekodex befassen - ergebnisoffen. Die Richtlinie 12.1. existiert seit 1988. Sie wurde damals eingeführt, um die Redaktionen daran zu erinnern, dass Berichterstattung zum Fördern von Vorurteilen führen kann. Diese Maßgabe sollte auch weiter gelten, sie sollte aber auch im redaktionellen Alltag handhabbar sein. Wir arbeiten daran.
Wie können Journalisten auf der sicheren Seite sein?
Kruse: Indem sie bloßen Spekulationen, die Vorurteile schüren, keinen Raum geben, sondern differenziert einordnen und bewerten. Jede neue Berichterstattung kann anders gelagert sein. Das Verschweigen von relevanten Fakten oder das Praktizieren von Sprachverboten sind natürlich keine Lösungen.
Ist das Thema Diskriminierung aktuell verstärkt eins für den Presserat?
Kruse: Das ist ständiges Thema bei uns, vermehrt in der aktuellen Flüchtlingsfrage.
Was droht einem Medium, wenn gegen den Pressekodex verstoßen wird?
Kruse: Es gibt drei Sanktionsmöglichkeiten: Hinweis, Missbilligung und öffentliche Rüge. Letztere muss vom betreffenden Medium veröffentlicht werden. Die Leser müssen erfahren, warum und weshalb das Medium gegen den Kodex verstoßen hat. Dazu kommt es aber nur in krassen Fällen.
Anmerkung der Redaktion: Wir nehmen den Kodex des Presserates sehr ernst. Gleichzeitig entscheiden wir völlig unabhängig und frei, welches Thema wir aufgreifen und wie wir es darstellen. Kritisches Hinterfragen ist dabei unsere Grundhaltung. Zuletzt bekam die NRZ eine Beschwerde vom Presserat übermittelt, weil wir in einem Bericht über einen Mord die Nationalität der mutmaßlichen Täter genannt hatten.