Essen. Es ist ein politisches Beben: Die CDU wird stärkste Kraft in NRW, Rot-Grün ist Geschichte. Die Linke schafft den Einzug ins Parlament nicht.
Mit einem historisch schlechten Wahlergebnis hat die SPD die Macht in ihrem Stammland Nordrhein-Westfalen verloren. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) trat am Sonntagabend mit Tränen in den Augen vor ihre Parteifreunde und legte ihre Spitzenämter in der SPD nieder. Der Wahlsieger und wahrscheinliche Ministerpräsident Armin Laschet von der CDU sucht nun nach einem Koalitionspartner. Neben einer großen Koalition mit der SPD könnte überraschend auch ein schwarz-gelbes Bündnis mit der FDP eine Mehrheit haben - falls die Linke nicht in den Landtag einzieht.
Nur Minuten nach den ersten Hochrechnungen räumte Kraft die Niederlage ein und gratulierte Laschet. "Ich wünsche ihm eine gute Hand für unser Land", sagte sie. Laut vorläufigem amtlichen Endergebnis kam die SPD am Sonntag auf 31,2 Prozent. Die CDU erhielt 33,0 Prozent. Drittstärkste Partei wurde die FDP mit 12,6 Prozent, gefolgt von der AfD mit 7,4 Prozent und den Grünen mit 6,4 Prozent. Die Linke verpasste mit 4,9 Prozent knapp den Einzug in den Landtag.
Schulz gesteht "krachende Niederlage" ein
Vier Monate vor der Bundestagswahl hat die Union damit auch die dritte und wichtigste Landtagswahl des Jahres deutlich gewonnen. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz gestand eine "krachende Niederlage" in seiner Heimat NRW ein. Für die SPD ist es in ihrem Stammland das schlechteste Ergebnis bei einer Landtagswahl seit der Gründung Nordrhein-Westfalens.
"Ich habe mein Bestes gegeben", sagte Kraft. "Es gab einen engagierten Wahlkampf, aber es hat nicht gereicht." In den nächsten fünf Jahren will sie als normale Abgeordnete für ihren Wahlkreis in Mülheim an der Ruhr im Landtag sitzen.
"Heute ist ein guter Tag für Nordrhein-Westfalen", sagte CDU-Spitzenkandidat Laschet. In der neuen Legislaturperiode werde er für mehr Innere Sicherheit, bessere Bildungspolitik und mehr Arbeitsplätze in NRW sorgen, versprach er.
Ein großer Gewinner des Abends ist auch die FDP, die ihr bestes NRW-Ergebnis seit 50 Jahren feiert. Damit hätte ein schwarz-gelbes Regierungsbündnis eine Mehrheit im Landtag. Außerdem wäre in Nordrhein-Westfalen rechnerisch eine große Koalition, ein Ampel-Bündnis oder eine sogenannte Jamaika-Koalition möglich. Dreierbündnisse sind aber unwahrscheinlich: Die Liberalen haben eine Ampel mit SPD und Grünen ausgeschlossen, die Grünen ein Jamaika-Bündnis mit CDU und FDP.
FDP-Chef Christian Lindner sagte, seine Partei stehe für Gespräche mit der CDU zur Verfügung. Zugleich betonte er: "Eine schwarz-gelbe Mehrheit heißt aber nicht, dass es eine schwarz-gelbe Regierung gibt." Auch Laschet wollte sich nicht festlegen. Eine große Koalition mit der SPD schloss er ausdrücklich nicht aus. In der Wirtschaftspolitik sei man zwar ganz nah an der FDP. Aber: "Bei der Inneren Sicherheit ist es immer schwierig mit der FDP", sagte Laschet.
Grüne: Schlag in die Magengrube
Die bislang in NRW mitregierenden Grünen mussten am Sonntagabend zeitweise sogar um den Wiedereinzug in den Landtag bangen und lagen in den Hochrechnungen bei sechs Prozent. "Da gibt es nichts zu beschönigen", sagte Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann. Einen Fraktions-Posten in der Opposition will die bisherige Schulministerin nicht übernehmen. Die Grünen mussten im Superwahl 2017 zum dritten Mal in Folge Verluste hinnehmen. Bundestags-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sprach von einem deprimierenden Ergebnis: ""Das ist ein Schlag in die Magengrube." Spitzenkandidat Cem Özdemir kündigte an, im Bund wolle man den Kurs der Eigenständigkeit ohne Koalitionsaussage auf jeden Fall fortsetzen.
Die AfD hat den Sprung in den Landtag mit sieben bis acht Prozent sicher geschafft. "Wir werden ehrliche klare Opposition machen, den Finger in die Wunde legen, so wie die das noch gar nicht kennen", kündigte Spitzenkandidat Marcus Pretzell an. Die Piraten blieben mit knapp ein Prozent wie erwartet weit unter der Fünf-Prozent-Hürde.
In einem Fünf-Parteien-Parlament ohne die Linke zeichnet sich laut Hochrechnungen folgende Sitzverteilung mit Überhang- und Ausgleichsmandaten ab: Die CDU holt im neuen Landtag 73 Sitze, die SPD 70. Die Liberalen erringen 28 Mandate, die Grünen 14, die AfD 16. Die absolute Mehrheit liegt bei 101 Sitzen. Die Wahlbeteiligung stieg auf 65,5 bis 66 Prozent (2012: 59,6 Prozent).
Rückenwind für die Kanzlerin
Für Kanzlerin Angela Merkel bedeutet der Wahlsieg der CDU starken Rückenwind. CSU-Chef Horst Seehofer erklärte, die "Schulz-Festspiele" seien vorbei. Er mahnte die Union, trotzdem auf dem Teppich zu bleiben. Die NRW-Wahl galt als wichtigster Stimmungstest vor der Bundestagswahl im September, da jeder fünfte Wähler bundesweit in dem Land zu Hause ist. Noch vor wenigen Wochen hatte die SPD in Umfragen deutlich vorn gelegen.
Die Wahl hatte die Menschen in NRW deutlich stärker mobilisiert als in den vergangenen Jahren. Rund 65 Prozent der Bürger gaben ihre Stimme ab, vor fünf Jahren waren es nur 59,6 Prozent. Insgesamt waren 13,1 Millionen Bürger des Landes zur Wahl aufgerufen.
Die Linkspartei warf den Sozialdemokraten einen zu extremen Abgrenzungskurs vor. Die SPD bekomme keine Glaubwürdigkeit, "wenn sie meint, mit der FDP soziale Gerechtigkeit machen zu können", sagte Parteichef Bernd Riexinger. Kraft hatte einer rot-rot-grünen Koalition noch kurz vor der Wahl eine klare Absage erteilt.
Bei der Landtagswahl vor fünf Jahren hatte die SPD unter Hannelore Kraft mit 39,1 Prozent und 99 Sitzen noch deutlich vor der CDU (26,3 Prozent, 67 Sitze) gelegen. Als drittstärkste Kraft kamen die Grünen auf 11,3 Prozent (29 Sitze). Außerdem waren die FDP mit 8,6 Prozent (22 Sitze) und die Piraten (7,8 Prozent / 20 Sitze) vertreten. Die Linke verpasste 2012 mit 2,5 Prozent den Einzug in den Landtag. (dpa)