Dortmund. Die Corona-Impfungen stocken. Doch die allgemeine Impfquote ist für Prof. Carsten Watzl nicht entscheidend: „Auf die Alten kommt es an“, sagt er.
Täglich lassen sich in NRW Menschen gegen Corona impfen, doch die Zahl steigt zu langsam. Als voll geimpft gelten aktuell laut dem Robert-Koch-Institut (RKI) bei uns 65,6 Prozent. Ist das schlimm? Der Dortmunder Immunologe Prof. Carsten Watzl sagt, die allgemeine Impfquote ist nicht entscheidend: „Auf die Alten kommt es an!“
In den Niederlanden sind bereits 90 Prozent der Über-60-Jährigen vollständig gegen Corona geimpft, in Dänemark sogar 96 Prozent. In Deutschland waren es am Freitag 83,6 Prozent in der als besonders durch Corona verwundbaren („vulnerabel“) Gruppe. Das ist noch zu wenig, mahnt Watzl, der am Leibniz Institut für Arbeitsforschung in Dortmund den Forschungsbereich Immunologie leitet.
Impfungen: Vier Millionen in Ü60-Gruppe gegen Corona noch nicht geschützt
„Das bedeutet, dass der Puffer zwischen den Menschen, die ein hohes Risiko haben, wegen einer Corona-Infektion im Krankenhaus zu landen oder gar daran zu sterben in Deutschland bei etwa 16 Prozent liegt, in Dänemark nur bei vier Prozent“, erklärt Watzl.
In NRW ist die Lage etwas besser: 86,7 Prozent der Ü-60-Gruppe sind hier inzwischen voll geimpft. Auch in NRW würde sich Watzl in Richtung Dänemark orientieren, wo jüngst bekannt gegeben wurde, die Pandemie sei für „beendet“ erklärt - auch dank der hohen Impfraten.
„In Deutschland sind noch etwa vier Millionen Menschen aus der vulnerablen Gruppe im Alter über 60 Jahre nicht oder nicht ausreichend gegen Corona geschützt“, warnt Carsten Watzl. Bei bis dato 4,1 Millionen Infizierten seit Beginn der Pandemie, eine explosive Zahl, meint Watzl. Deswegen fordert er: „Wir müssen auch in Deutschland bei den Über-60-Jährigen auf mindestens 90 Prozent Impfquote kommen.“
Kliniken droht in Herbst und Winter erneut Überlastung
Watzl warnt: „Sollte die Impfrate weiter nur sehr langsam steigen, sagen uns Rechenmodelle voraus, dass sich die Lage in den Krankenhäusern im Herbst und Winter deutlich verschlechtern wird.“ Und weil in den Krankenhäusern inzwischen überwiegend Ungeimpfte oder nicht ausreichend Geimpfte mit schwerer Covid-19-Erkrankung landen, „müssten wir dann verhindern, dass Nicht-Geimpfte sich infizieren.“ Das hätte Einschränkungen für diese Bevölkerungsgruppe zur Folge, meint Watzl: „Dann müsste man im öffentlichen Leben konsequent auf 2G-Maßnahmen setzen.“ Das heißt: Nur noch Geimpfte und Genesene hätten freien Zugang etwa zu Gaststätten, Kinos oder anderen Bereichen der Öffentlichkeit.
Gründe genug also, darauf zu hoffen, dass die aktuelle „Woche des Impfens“ auch die erreicht, die noch mit der Impfung zögern. Oder dass die Schließung der Impfzentren in NRW zu Ende September die Impfbereitschaft nicht schwächt. Im NRW-Gesundheitsministerium hat man dazu die „Cosmo“-Studie der Universität Erfurt und anderer Institutionen (externer Link) im Blick, die bundesweit wiederholt die Bevölkerung repräsentativ nach ihrer Sicht und Einstellung zur Corona-Pandemie befragt.
Cosmo-Studie: Neun Prozent sind Impfverweigerer
„20 Prozent der Ungeimpften sind impfbereit, 24 Prozent sind unsicher und zögerlich. Vor allem in den jüngeren Altersgruppen unter 60 Jahren sind noch impfbereite Personen zu finden“, heißt es in der jüngsten „Cosmo“-Befragung. Die Zahl der Impf-Verweigerer liege bei etwa neun Prozent, sagt eine Ministeriumssprecherin. So hätten „Impfverweigerer unter anderem häufiger Sicherheitsbedenken und halten die Impfung für überflüssig, da Covid-19 für sie kein Bedrohung darstellt.“
Dem setzt Prof. Carsten Watzl statistische Erkenntnisse entgegen: „Das Risiko an einer Corona-Infektion schwer zu erkranken, ist bei Menschen über 60 Jahre viel höher als der mögliche Schaden durch die Impfung.“ So sterbe bei den Über-90-Jährigen jeder vierte mit Corona Infizierte, in den Altersgruppen darunter sinke das Risiko zwar. Doch selbst bei der Altersgruppe zwischen 60 und 70 „stirbt statistisch immerhin noch jeder 40. Infizierte an der Infektion, bei den 50-Jährigen jeder 200.“ Zum Vergleich: Eine Sinusvenenthrombose nach der Impfung mit Astrazeneca betrifft statistisch ein bis zwei Fälle je 100.000 Impfungen. Und davon enden etwa ein Drittel tödlich, sagt Watzl.
Covid-Impfstoffe: Am schnellsten entwickelt, aber auch am besten beobachtet
Laut der Cosmo-Studie hat ein Viertel der Befragten Vorbehalte gegen den Impfstoff geäußert. Er sei zu schnell entwickelt und möglichen Langzeitfolgen seien noch gar nicht absehbar. Prof. Carsten Watzl will diese Sorgen nehmen: „Die Corona-Impfstoffe sind zwar sicherlich die am schnellsten entwickelten Impfstoffe, die wir kennen, aber sie sind auch die am besten beobachteten Impfstoffe, zumal es wohl keinen Impfstoff gibt, der innerhalb so kurzer Zeit bereits weltweit Milliardenfach verteilt worden ist. Dadurch wurden auch seltenste Nebenwirkungen, wie Myokarditis (Herzmuskelentzündung) oder Sinusvenenthrombose, zeitnah entdeckt.“ Bei weniger verbreiteten Impfungen könnte die Zuordnung solcher schwerer Nebenwirkungen mitunter Jahre dauern, sagt Watzl. Wichtig zu wissen sei auch: Was wir Langzeitfolgen nennen, taucht laut Watzl in der Regel innerhalb von zwei Monaten nach einer Impfung auf.
Weitere Studien zeigten zudem, dass Sorgen etwa vor Unfruchtbarkeit oder genetischen Veränderungen im Körper durch die mRNA-Impfstoffe „sich wissenschaftlich nicht begründen lassen“, erklärt Watzl. Sein Fazit: Das persönliche Risiko durch Corona schwer zu erkranken sei auch für Jüngere deutlich höher, als es mögliche Schäden infolge einer Impfung sind.
Studie: 86 Prozent Impfquote bundesweit wohl erreichbar
Die Cosmo-Studie schätzt aus ihrer jüngsten Befragung vom Ende der ersten Septemberwoche zur Impfbereitschaft der Bevölkerung: „Sollten sich alle, die dazu bereit sind, auch tatsächlich impfen lassen, ergäbe sich eine Impfquote unter Erwachsenen zwischen 18 und 74 Jahren von 86 Prozent.
Für NRW ergibt sich unterdessen aus der Differenz zwischen Erst- und Zweitimpfung, wie sie das RKI am Freitag mitteilte, dass bis Ende Oktober in NRW voraussichtlich ungefähr 1,4 Millionen Zweitimpfungen anstehen; natürlich verändert sich die Zahl täglich. Wenn man davon ausgeht, dass jeder Erst- auch eine Zweitimpfung folgt, dürfte die allgemeine Impfrate in NRW Ende Oktober demnach bei etwa 71 Prozent liegen. Selbst wenn es laut Carsten Watzl besonders auf die älteren und alten Menschen ankommt: Diese Impf-Quote wäre nach wie vor zu klein.