Essen. Großes “WAZ live“-Interview mit Reul: Warum NRW “gut im Abschieben“ sei und Polizisten keine Schuhkartons mit Geldscheinen mehr sähen.
Herbert Reul spricht gern Klartext und flüchtet sich ganz selten Politiker-Floskeln. Beste Voraussetzungen also für ein gestreamtes „WAZ Live“-Gespräch mit dem 68-jährigen NRW-Innenminister aus Leichlingen. WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock konfrontierte den CDU-Mann dabei mit aktuellen Themen und Fragen unserer Leserinnen und Leser. Reul äußerte sich unter anderem …
…zum Testzentren-Betrug:
Der Innenminister kündigte konsequente Strafverfolgung an. Nachträgliche und schärfere Kontrollen seien wichtig. „Das beste Signal an Leute, die betrügen wollen, ist ja immer: Sei mal nicht so sicher, dass Du nicht erwischt wirst. Und dann wird’s teuer.“ Reul nahm die Bundesregierung gegen den Vorwurf in Schutz, sie habe mit zu geringen Nachweispflichten für private Testbetreiber geradezu zum Abrechnungsbetrug eingeladen. Wenn man Tempo und wenig Bürokratie beim Aufbau von Testzentren wolle, „kann man nicht alle Sicherungsmechanismen der Welt einbauen. Dann weiß man eigentlich, dass man auch Risiken einbaut und dass es auch die Chance eröffnet für Menschen, uns zu betrügen“.
…zu seinem Kampf gegen Clan-Kriminalität:
„Die Leute dürfen jetzt nicht glauben, dass wir Simsalabim das Problem gelöst kriegen“, mahnte Reul zur Geduld. Da sich die Kreise der kriminellen Großfamilien insbesondere im Ruhrgebiet über 30 Jahre aufgebaut hätten, werde die Eindämmung durch die Polizei Zeit brauchen. Die Strategie der „1000 Nadelstiche“ mit permanenten Razzien und der Vernetzung unterschiedlichster Behörden zeige erste Wirkung. Wertvoll sei etwa die Ermittlungsarbeit gegen Kindergeldbetrug: „Das ist so etwas wie die Grundfinanzierung der Clans“, sagte Reul. Der Respekt vor dem Staat kehre auch in Problemstadtteilen zurück, glaubt der Innenminister: „Wenn ein Polizist heute ein junges Clan-Mitglied anhält, weil er bei Rot über die Ampel gefahren ist, dann macht der nicht mehr den Schuhkarton auf und sagt: ‚Kannst Dir nen Hunderter rausnehmen‘.“
…zur Abschiebung krimineller Zuwanderer:
Die Beendigung des Aufenthaltsrechts für straffällig gewordene Nicht-Deutsche sei wegen Härtefall-Regelungen und Verhandlungen mit den Herkunftsländern häufig kompliziert, räumte Reul ein. Doch NRW gehe hier sehr konsequent vor: „Wir sind bundesweit spitze, wir sind wirklich gut im Abschieben.“ Reul machte sich auch für Rückführungen nach Syrien stark: „Syrien ist nicht alles Kriegsgebiet. Da gibt’s auch Gebiete, wo friedliche Zustände sind, da könnte man eigentlich hin abschieben.“
…zum Verbot von Hamas-Symbolen:
Nach dem bundesweiten Entsetzen über den antisemitischen Aufmarsch vor der Synagoge in Gelsenkirchen hatte Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) das Verbot der Fahne der Palästinenser-Organisation Hamas auf deutschen Straßen gefordert. Er lasse gerade prüfen, welche weiteren Hamas-Symbole hierzulande noch genutzt würden, sagte Reul. Die Hamas-Fahne werde ganz selten gezeigt. „Wenn man jetzt anfängt, bestimmte Sachen zu verbieten, dann sollte man sich auch alles angucken.“ Die Verbotsfrage werde auch diesen Monat bei der Innenminister-Konferenz der Länder auf den Tisch kommen.
…zur Zusammenarbeit mit der Ditib:
Reul verteidigte die Zusammenarbeit der Landesregierung mit dem umstrittenen türkischen Moscheeverband. „Ich glaube, es ist die praktisch vernünftigste Idee, ob die gut ist, werden wir sehen.“ Die Ditib sei nun einmal der größte muslimische Verband, mit dem man bei der Konzipierung des islamischen Religionsunterrichts in den Schulen im Gespräch bleiben müsse. „Papiermäßig“ sei klargestellt worden, dass die Ditib nicht von der Erdogan-Regierung aus Ankara ferngesteuert werden darf, so Reul: „Jetzt kommt der Schwur, ob die sich auch danach richten.“ Wenn diese Unabhängigkeit nicht gelebt werde, werde das Schulministerium die Kooperation ganz schnell wieder beenden.
…zum Kampf gegen Kindesmissbrauch:
„Es wird nirgendwo in Deutschland so viel gegen Kindesmissbrauch und Kinderpornografie ermittelt wie bei uns. Wir sind deutschlandweit die Besten“, sagte Reul. Neben den Ermittlungserfolgen gegen Kinderschänder-Ringe sei ihm wichtig, größere Sensibilität gegenüber solchen Verbrechen erreicht zu haben: „Wir haben die Stimmung in der Gesellschaft gedreht.“ Es werde bei Anzeichen auf Kindesmissbrauch nicht mehr weggeschaut. Auch bei Gesetzesänderungen gehe es auf Bundesebene voran. Der Strafrahmen sei erhöht worden. „Ich habe ein Jahr lang gebaggert, damit die begreifen, das ist nicht wie Ladendiebstahl sondern wie Mord.“ Nun suche er nach einem rechtlichen Instrument, um leichter an die Klarnamen der Täter im Netz zu kommen: „Wir brauchen ein Instrument, welches ist mir fast egal, dass wir im Netz auch wirklich an die Typen drankommen und nicht, dass da irgendein Datenschutz uns dran hindert.“ Er will die Provider und Plattformen stärker in die Pflicht nehmen: „Wir müssen eine Verpflichtung haben, dass diejenigen, die diese Netze betreiben, uns die Daten rausrücken müssen.“
…zur Laschet-Nachfolge:
Ob er selbst Landesvorsitzender der NRW-CDU werden wolle, ließ Reul offen. „Wie es in der CDU weitergeht, da haben wir eine Verabredung getroffen, dass wir das in aller Ruhe besprechen, wir machen jetzt erstmal Bundestagswahl.“ Die Laschet-Nachfolge in NRW werde nicht einfach. „Wenn der Armin Laschet Bundeskanzler wird, wenn wir gewinnen – aber da muss auch mal eine Koalition gebildet werden -, ja, dann müssen wir hier die Frage beantworten: Haben wir einen Parteivorsitzenden, haben wir einen Fraktionsvorsitzenden, haben wir einen Ministerpräsidenten-Kandidaten oder Ministerpräsidenten?“ Reul machte keinen Hehl daraus, dass er es für eine Fehlentscheidung hält, dass Laschet sich in jedem Fall auf einen Wechsel nach Berlin festgelegt hat. Seine Position sei gewesen: „Wenn der jetzt nicht Bundeskanzler würde, wäre es doch toll, wenn wir ihn als Ministerpräsidenten behalten könnten. Der Mann ist gut, es wäre doch verrückt, wenn der dann nichts mehr macht. Die künstliche Debatte über Rückkehr oder nicht Rückkehr hat uns in eine Sackgasse manövriert.“ Aber die Frage sei entschieden.