Essen. Seit einem Jahr versuchen Pflegende und Mediziner an der Essener Uniklinik Corona-Kranke zu retten. Häufig klappt das nicht. Ein Ortsbesuch.

Auf der Tafel im Konferenzraum ist das Leid komprimiert in Reihen und Spalten. Mit Markern haben sie hier Namen, Diagnosen, Besonderheiten, die Pflegeperson notiert, die Farbe ist abwischbar. 21 der 22 Reihen sind voll. Hinter 14 Patienten-Namen steht das Kürzel ARDS, das steht für akutes Lungenversagen. Hinter acht der Namen das Kürzel ECMO. Das sind die, die an einer externen Lunge hängen. Hinter jedem Namen steht in Rot: Covid positiv. Seit einem Jahr ist diese anästhesiologische Intensivstation der Uniklinik in Essen eine Corona-Station. Zwölf Monate, die eine Herausforderung für die Pflegenden und das medizinische Personal waren.

In ganz Nordrhein-Westfalen liegen an diesem Tag 622 Corona-Patienten auf Intensivstationen. In keinem Krankenhaus sind es so viele wie in der Essener Uniklinik. Wer aufgenommen wird, braucht häufig eine „maximale Intensivtherapie“, wie es Professor Thorsten Brenner ausdrückt, der ärztliche Direktor für die Anästhesiologie und Intensivmedizin. Was das heißt, zeigt ein Blick in die Patientenzimmer. Menschen überwacht von blinkenden Monitoren, mit Medikamenten versorgt und ernährt von einer Batterie von Perfusoren und Infusionen, beatmet über Maschinen

Der Tod kommt nun häufiger vorbei

220 Corona-Patienten haben sie hier bis zum Jahreswechsel betreut, viele haben es nicht geschafft. Der Tod ist auf jeder Intensivstation ein ständiger Begleiter, aber mit dem Beginn der Corona-Pandemie kommt er auf dieser Station häufiger vorbei. „Wir haben wesentlich mehr Sterbefälle als sonst“, sagt Brenner. Natürlich, betont er, sind alle, die hier arbeiten, Profis, die routiniert ihren Job machen. „Aber es ist eine gewisse Belastungssituation.“ Zumal viele der Möglichkeiten wegfallen, mit denen Pflegende und Mediziner ansonsten kompensieren, was sie in ihrem Berufsalltag erleben. Die Gespräche mit Freunden, Sport, alles „ist maximal reduziert“, sagt Brenner nüchtern.

Professor Thorsten Brenner und die Pflegenden Michaela Godhof und Markus Wecking bei der Visite auf dem Gang der Corona-Intensivstation der Uniklinik Essen.
Professor Thorsten Brenner und die Pflegenden Michaela Godhof und Markus Wecking bei der Visite auf dem Gang der Corona-Intensivstation der Uniklinik Essen. © FUnke FotOservice | Foto: kai Kitschenberg

Umso häufiger nutzen viele der Menschen, die auf dieser Station arbeiten, die Möglichkeit, mit einer Psychotherapeutin zu sprechen, die selbst vom Fach ist, sie war Anästhesistin. „Wir hatten hier Tage, an denen jeden Tag jemand gestorben ist“, sagt Markus Wecking, der Pflegeleiter der Station. Die Patienten liegen hier wesentlich länger, als das in normalen Zeiten der Fall ist. Wenn sich dann „nicht der Erfolg des Überlebens einstellt“, formuliert es Wecking, ist das auch für die Erfahrensten bitter. Die Gespräche mit der Psychotherapeutin haben die Sicht etwas verändert. Es geht eben auch darum „ob wir unsere Patienten gut begleitet und die Angehörigen ordentlich betreut haben“.

Aber es waren eben auch zwölf Monate, in denen Hoffnungen auf eine Besserung der Situation genährt und wieder zunichte gemacht wurden. „Wir haben natürlich alle auf ein schnelleres Ende der Krise gehofft, darauf, im großen Familienkreis Weihnachten feiern zu können oder Skifahren zu können“, räumt Professor Brenner ein. Im Sommer, als die Zahlen drastisch sanken und die Belegungszahlen einstellig wurden, da schien es kurz, als könne es bald ausgestanden sein, aber es waren die Befürchtungen, die sich bestätigten.

Um den Jahreswechsel wurden im Essener Klinikum auf den normalen Stationen und den Intensivstationen 130 Corona-Patienten betreut, weit mehr als im Frühjahr vergangenen Jahres. Im November wurde im Klinikum ein Oberarzt festgenommen, der zwei schwerstkranke Corona-Patienten zu Tode gespritzt haben soll, zumindest in einem Fall deshalb, weil er das Leiden des Mannes beenden wollte. Das Verfahren liegt noch bei der Staatsanwaltschaft. „Das gab natürlich einen gewissen Aufruhr“, erinnert sich der Professor. „Aber alle haben danach so professionell weitergearbeitet wie vorher.“

Wie die Politik draußen auf Sicht fährt und Lockerungen und Beschränkungen immer wieder nachjustieren muss, so machen sie es hier auf der Station auch im therapeutischen Bereich. Jenseits der grundsätzlichen Maßnahmen, die bei einem Lungenversagen ergriffen werden müssen, „haben wir hier viele Dinge ausprobiert, die sich in ersten Studien als möglicherweise hilfreich darstellten“, erzählt Professor Brenner. Manche Therapiestrategie, die erfolgversprechend erschien, erwies sich nicht so effizient wie gedacht, der Arzneistoff Remdesivir beispielsweise, der ein genereller Kandidat für eine Abmilderung schwerer Krankheitsverläufe schien, schlug nicht bei allen Patienten gleich gut an.

Bislang haben sich nur zwei Pflegende mit Corona infiziert

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Aber es gibt auch hier auf der Corona-Station die Dinge, die Mut machen. Bislang haben sich nur zwei Pflegende und ein Physiotherapeut angesteckt, und das in zumindest einem Fall auch nicht auf der Station, sondern zu Hause. Fast ein kleines Wunder. Jeden Tag sind die Pflegenden fünf-, sechsmal in den Patientenzimmern, waschen die infizierten Kranken, lagern sie neu, wechseln die Infusionen. Immer geschützt mit Masken, Gesichtsschildern, Handschuhen, Schutzkitteln, von denen allein sie hier wöchentlich 4000 verbrauchen. Beim Selbstschutz konsequent zu sein, erfordert Konzentration, und das hat gut funktioniert: „Alle sind umsichtig bei den Patientenkontakten“, lobt Professor Brenner seine Leute.

Generell sei der Krankenstand trotz der enormen Belastungen „sensationell niedrig“, sagt Pfleger Markus Wecking. Das Team, sagen der Pfleger und der Arzt, ist in den vergangenen zwölf Monaten zusammengewachsen. Zum Team, betont Wecking, gehören auch die Reinigungskräfte und die studentischen Hilfskräfte, „ohne die wir unsere Arbeit nicht schaffen würden“. Als die Politik kürzlich einen Bonus von 1500 Euro an die Pflegenden ausschüttete, haben sie das Geld unter allen aufgeteilt.

Mittlerweile haben alle Mitarbeiter auf der Station zumindest die erste Impfung erhalten. Heftige Impfreaktionen, wie sie mancherorts gemeldet werden, haben sie hier „an einer Hand abzählen können“, sagt der Professor. Dass die Industrie so schnell Impfstoffe entwickelt hat, ist für Brenner etwas, was ihn für dieses Jahr optimistisch sein lässt, optimistischer jedenfalls als im vergangenen Frühjahr. Er wirbt eindringlich: „Wichtig ist: impfen, impfen, impfen.“

Kürzlich, sagt Pfleger Wecking, hat er mit einer älteren Patientin sprechen können. Das hat ihm gut getan, denn „das hat mir sehr gefehlt“. Am Ende des Besuchs steht er auf dem Flur vor der Eingangsschleuse. Sie öffnet sich. Mehrere Ärzte und Pfleger schieben ein Bett hinein, darin ein junger Mann Mitte 20. Er kommt von einer Untersuchung. „Der ist auch an eine externe Lunge angeschlossen“, sagt Wecking, und in diesem Moment sehen seine Augen etwas müde aus.