Düsseldorf. Der Druck auf den Ministerpräsidenten, sich bei 2G zu beeilen, nimmt weiter zu. Auch die Städte dringen auf Klarheit.

NRW-SPD-Chef Thomas Kutschaty kritisiert die aus seiner Sicht zu zögerliche Haltung der Landesregierung bei der Einführung der 2G-Regel. „Worauf wartet Hendrik Wüst eigentlich noch? Die Zahlen und auch die Stimmung in der Gesellschaft sprechen doch für sich. Zwei Drittel wünschen sich eine 2G-Regel“, sagte Kutschaty dieser Redaktion.

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hatte am Dienstag angedeutet, dass Ungeimpfte in NRW schon bald in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen werden könnten. „Wir prüfen generelle flächendeckende 2G-Regeln insbesondere für den Freizeitbereich, wie wir es in Länder mit deutlich höheren Inzidenzen auch schon sehen“, hatte Wüst nach einer Sitzung des Landeskabinetts gesagt.

Am Mittwoch legte Wüst im "Deutschlandfunk" nach: Ein schnelles Bund-Länder-Treffen zur Corona-Lage und Gespräche über eine bundesweite 2G-Regelung seien wichtig. "Ich glaube, wir sollten darüber zu einer Verständigung kommen deutschlandweit, dass wir nicht am Ende wieder einen Flickenteppich haben. Und 2G scheint ein probates Mittel zu sein, darüber müssen wir reden", sagte der derzeitige Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz. NRW sei "notfalls allein handlungsfähig, aber mein Prä wäre gemeinsam im Länderkreis mit dem Bund eine gemeinsame Strategie", sagte Wüst dem Sender.

"Trippelschritte statt Spitze der Bewegung"

2G bedeutet, dass nur noch Geimpfte oder Genesene Zutritt zu Einrichtungen oder Veranstaltungen erhalten. Wüsts Begründung: „Es kann nicht sein, dass die geimpften Personen die Last für die Impfunwilligen mittragen müssen. Viele private Veranstalter auch in der Gastro-Szene setzen schon jetzt auf 2G“.

SPD-Landeschef Kutschaty nicht nachvollziehen, warum Wüst noch damit zögert, 2G einzuführen. Anstatt sich an die Spitze der Bewegung zu setzen, schleiche Wüst „der Lage in Trippelschritten hinterher“, mache es also wie Armin Laschet und warte erst einmal ab. Nun sei aber Führungsstärke gefragt. Kutschaty weiter:  „Am Ende wird die 2G ohnehin kommen. Warum wir den Karnevalsauftakt zum 11.11. aber ohne diese landesweit verbindliche Regel feiern, versteht kein Mensch. Da nützen auch Apelle der Landesregierung zum Sessionsauftakt nichts. Die werden im Gesang der Kneipen untergehen.“

FDP ist mit dem 2G-Kurs so nicht einverstanden

Unter Druck gerät der neue Ministerpräsident offenbar auch durch den Koalitionspartner FDP. Deren Parlamentarischer Geschäftsführer im Landtag, Henning Höne, schrieb im Kurznachrichtendienst Twitter: "Wer eine Impfpflicht will, soll es auch so sagen. Die Umwege über kostenpflichtige Tests und/oder über 2G für alles, was gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht, sind unehrlich. Ich bin gegen eine Impfpflicht - ob direkt oder durch die Hintertür." Auch im Gesundheitsausschuss ließen die Liberalen am Mittwoch Skepsis durchblicken.

NRW-Gesundheitsminister: "Lage in NRW nicht so schlimm wie in Sachsen"

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) am Mittwoch verteidigte das Vorgehen des Ministerpräsidenten. "Wir werden das Schritt für Schritt klären", sagte er. NRW habe "Gott sei Dank" keine so extrem schwierige Corona-Lage wie in Sachsen.

Zahlreiche Politiker, Forscher und Unternehmer sprechen sich klar für 2G in NRW aus. Am Mittwoch meldete sich der Städtetag NRW zu Wort und erhöhte ebenfalls den Druck auf den Ministerpräsidenten. Verbands-Geschäftsführer Helmut Dedy sagte zur Forderung nach 2G-Regel im Freizeitbereich: „Die Städte unterstützen ausdrücklich die Überlegungen des Ministerpräsidenten, 2G einzuführen. Damit greift das Land eine wichtige Forderung des Städtetages NRW auf."

Städtetag: "Abwarten wäre nicht zu rechtfertigen"

Das Infektionsgeschehen entwickele sich aktuell auch in NRW in einem rasanten Tempo. Der Wunsch des Ministerpräsidenten nach einem abgestimmten Vorgehen ist verständlich, "darf aber nicht zu erneuten Verzögerungen führen", so Dedy. Ein weiteres Abwarten wäre mit Blick auf die galoppierenden Infektionszahlen nicht zu rechtfertigen. "Wir erwarten daher von der Landesregierung rasch eine rechtliche Regelung zu 2G."

Wir brauchen bundesweit eine 2G-Zugangsregel im Freizeitbereich. Ohne den Piks bei der Impfung sollte der Besuch im Fitnesscenter, im Restaurant oder Kino tabu sein. Das schafft mehr Sicherheit für alle: Geimpfte und Genesene, aber auch für Ungeimpfte. Und es motiviert hoffentlich diejenigen, die zögern, sich doch impfen zu lassen.“

Verfassungsrechtler Huster für Lockdown für Ungeimpfte

Einen generellen Lockdown soll es nach dem Willen der Politik trotz rasant steigender Infektionszahlen und ausgelasteter Intensivstationen nicht geben. Wenn die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ am 25. November endet, entfällt zugleich die Rechtsgrundlage für strikte Corona-Maßnahmen wie einen Lockdown, erklärt der Bochumer Verfassungs- und Gesundheitsrechtler Prof. Stefan Huster.

Er sieht dafür auch aus Gründen der Gerechtigkeit gegenüber Geimpften keine andere Möglichkeit: „Es wäre absurd, die Mehrheit der Geimpften zum Schutz der Ungeimpften in den Lockdown zu schicken. Das wäre ein unverantwortlicher Freiheitseingriff“, sagte Huster, der als Vorsitzender einer 18-köpfigen Expertenkommission die Corona-Politik der Bundesregierung untersucht.

Huster stößt indes eine Debatte über eine Ausgangssperre für Ungeimpfte an, was derzeit angesichts explodierender Infektionszahlen auch in Österreich diskutiert wird. „Wenn die Zahlen weiter so rapide steigen und die Intensivstationen überlaufen, wäre ein Lockdown für Ungeimpfte sinnvoll“, sagte Huster, Professor für Öffentliches Recht, Sozial- und Gesundheitsrecht und Rechtsphilosophie an der Ruhr-Uni Bochum. Um dies umzusetzen, müsste der Bundestag eine Rechtsgrundlage über das Infektionsschutzgesetz schaffen. Die Länder könnten diese Maßnahme dann auf dem Verordnungswege verfügen.

Virologe Ulf Dittmer: Kontaktbeschränkungen "höchstens für Ungeimpfte"

Auch der Essener Virologe Ulf Dittmer hält neue Kontaktbeschränkungen im Winter für denkbar. Aber „höchstens für Ungeimpfte“, betont der Direktor des Instituts für Virologie am Uni-Klinikum Essen. „Sie haben ein viel höheres Risiko sich zu infizieren und zu erkranken. Wenn Krankenhäuser wieder überlastet werden, müsste man hier ansetzen“, so Dittmer. Einige Bundesländer würden dies mit der 2G-Regelung (geimpft oder genesen) bereits umsetzen. „Ein Lockdown für alle darf es nicht wieder geben“, betont der Virologe. Um Ausgangssperren zu vermeiden, sei die 2G-Regel bei Veranstaltungen und im Gesundheitswesen nötig.

Ähnlich hatte sich zuvor der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, in einem Interview geäußert. Notfalls seien sogar Lockdown-Maßnahmen für Ungeimpfte notwendig, um die stationäre Versorgung in den Krankenhäusern zu sichern. „Schließlich sind es derzeit vor allem die Ungeimpften, die mit schweren Covid-Verläufen in den Kliniken behandelt werden müssen“, sagte Reinhardt.

Auch Huster begrüßt die Debatte um eine 2G-Regelung, wonach nur noch geimpfte oder genesene Personen Zutritt zu Gastronomie, Kinos, Klubs oder Theatern haben. Dies senke die Infektionsrisiken und sei auch ordnungspolitisch sinnvoll: „Wieso sollten Geimpfte weiterhin Einschränkungen hinnehmen? Derzeit werden sie von den Ungeimpften in Geiselhaft genommen. Mit 2G geht die Verantwortung für das Infektionsrisiko dorthin, wo sie hingehört: zu den Ungeimpften.“

Kritisch sieht Huster auch die Situation in den Kliniken, wo schwerkranke Corona-Patienten, die keinen Impfschutz besitzen, einen zunehmenden Teil der Kapazitäten beanspruchen. „Im Sinne der Gerechtigkeit müssten sich die Ungeimpften hinten anstellen, wenn die Möglichkeiten der Kliniken erschöpft sind. Das Gesundheitssystem würde entlastet und es müssten keine Operationen von anderen Patienten verschoben werden.“ Aber aus ethischen Erwägungen sei das wohl kaum umsetzbar.

Huster: Lockdown bleibt möglich

Zwar sieht das Infektionsschutzgesetz mit dem Ende der epidemischen Lage keinen generellen Lockdown mehr vor, so Huster. Eine Entscheidung auf Dauer müsse dies gleichwohl nicht sein. Der Bundestag könne jederzeit erneut eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ beschließen.