Düsseldorf. Die Landesregierung zögert, aber immer mehr Akteure fordern härtere Einschränkungen für Ungeimpfte. Kommt „2G“ bald in NRW?

In Nordrhein-Westfalen wird die Forderung nach schärferen Maßnahmen im Kampf gegen die Corona-Pandemie immer lauter. Nicht nur die Opposition aus SPD und Grünen dringen auf eine zügige Einführung der „2G-Regel“ – Zutritt zum Beispiel in Restaurants oder Konzerte nur noch für Geimpfte und Genesene – in NRW, sondern auch Unternehmer, Mediziner und Forscher. Sachsen setzt schon auf 2G, Österreich ebenfalls, Bayern hat die Corona-Regeln gerade verschärft.

IHK-Präsident: NRW-Unternehmen wollen „klare 2G-Regel“

Die Industrie- und Handelskammer (IHK) in NRW spricht sich angesichts stark steigender Corona-Infektionszahlen für eine möglichst umfassende 2G-Regel (geimpft oder genesen) auch am Arbeitsplatz aus. „Es gibt gerade in vielen Betrieben angesichts der stark steigenden Infektionszahlen eine wachsende Verunsicherung. Produzierende Unternehmen, in denen viele Menschen jeden Tag zusammenkommen, hätten am liebsten eine klare 2G-Regel“, sagte Ralf Stoffels, Präsident IHK NRW, unserer Redaktion. 

Auch der Angstforscher Prof. Jürgen Margraf ist überzeugt: „Wir brauchen die 2G-Regelung“. Das Beispiel Österreich zeige, dass die Einführung der Regel viele Menschen, die bisher noch unentschlossen waren, überzeugen kann, sich jetzt doch impfen zu lassen. „Wenn ich Einschränkungen und unmittelbare Folgen für meinen Alltag befürchten muss, kann das ein Anstoß sein“, sagt der Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Ruhr-Uni Bochum. Er befürchtet allerdings auch Trotzreaktionen von hartgesottenen Impfverweigerern.

Köln und andere Städte können 2G im Karneval durchsetzen

Die NRW-Landesregierung zögert noch, den Druck auf Ungeimpfte so stark zu erhöhen. Sie gestatte der Stadt Köln und anderen Kommunen aber am Montag, zum Karnevalsstart am 11. November schärfere Corona-Regeln einzuführen. Das NRW-Gesundheitsministerium stellte klar, dass die Städte im Karneval an bestimmten Orten die 2G-Regel anwenden können.

Für eine flächendeckende Einführung von 2G sprachen sich die NRW-Vorsitzende von SPD und Grünen, Thomas Kutschaty und Mona Neubaur, aus. Die SPD legte einen „Zehn-Punkte-Plan“ vor, um die viere Corona-Welle zu brechen. Ganz oben auf der Liste steht die Einführung einer „konsequenten“ 2G-Regel.

Mona Neubaur forderte, die Schutzmaßnahmen „signifikant“ hochzufahren. „Aus meiner Sicht gehört dazu auch ein landesweit flächendeckendes 2G-Modell beispielsweise für die Gastronomie, Clubs, Diskotheken und Veranstaltungen in Innenräumen“, sage sie dieser Redaktion. Zusätzlich sei auch die Wiedereinführung der kostenfreien Bürgertests sinnvoll.

Sachsen, Hamburg, Bayern, bald auch Berlin verschärfen angesichts der vielen Corona-Neuinfektionen die Corona-Regeln für Ungeimpfte. Österreich hat gerade 2G – Zutritt zum Beispiel zu Restaurants, Hotels, Friseuren nur für Geimpfte und Genesene -- eingeführt und wird mit einer steigenden Nachfrage nach Impfungen belohnt. Und was macht NRW? Die Landesregierung gerät unter Druck, weil sowohl Politiker als auch Mediziner 2G einfordern.

Welchen Standpunkt vertritt die Landesregierung?

Sie zögert noch. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) ist zwar offen für die Einführung kostenloser Corona-Tests für Geimpfte und Genesene. Auf die Frage, ob es einen Lockdown für Ungeimpfte geben sollte, sagte Wüst der „Bild am Sonntag“, dass viele private Veranstalter, Gastronomen und Fußballvereine heute schon auf 2G setzten. Er sei „fest davon überzeugt“, dass man immer noch viele Menschen mit Werben, Erklären, Vernunft und Argumenten fürs Impfen erreichen könne.

Was fordern SPD und Grüne in NRW?

Die SPD legte am Montag einen „Zehn-Punkte-Plan“ vor. Punkt eins: „Die Einführung einer konsequenten 2G-Regel für Gastronomie, Events und Veranstaltungen.“ Darüber hinaus fordern die Sozialdemokraten unter anderem die Wiedereinführung der Maskenpflicht im Schulunterricht, eine Testpflicht für Pflegeheime, leicht erreichbare Impf-Angebote und die „konsequente Prüfung von 3G am Arbeitsplatz“. „Es reicht nicht, nur auf Berlin zu verweisen und die Verantwortung auf die Ministerpräsidentenkonferenz zu verschieben. Die Landesregierung muss jetzt handeln“, sagte NRW-SPD-Chef Thomas Kutschaty.

Mona Neubaur, NRW-Vorsitzende der Grünen, forderte ebenfalls eine 2G-Regel und sagte dieser Redaktion: „Ministerpräsident Wüst muss jetzt die Möglichkeiten nutzen, die ihm zur Verfügung stehen und die Maßnahmen zum Schutz aller anpassen. Weiter abzuwarten und die Hände in den Schoß zu legen, wäre definitiv der falsche Weg.“

Was sagen Mediziner?

„Dort, wo Menschen sich nicht unbedingt aufhalten müssen, sollte 2G eingeführt werden“, meint Dr. Johannes Albert Gehle, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, und nennt als Beispiele Fußballstadien, Festivals und andere Freizeit-Veranstaltungen. Im Nahverkehr solle man über 2G nachdenken, das Problem in Bussen und Bahnen sei aber die Kontrollierbarkeit. Ebenfalls wünschenswert aus Gehles Sicht: Statt OP-Masken zu erlauben, sollten, wie jetzt in Bayern, vielerorts FFP2-Masken zur Pflicht werden.

Auch Prof. Jochen A. Werner, Direktor der Uni-Medizin Essen, fordert strengere Regeln. „Wir waren bislang sehr tolerant, aber jetzt hat sich die Corona-Lage durch die besonders infektiöse Deltavariante weiter verschärft“, sagt er dieser Redaktion. Zum Schutz von Patienten und Mitarbeitenden arbeite die Uniklinik Essen „umsichtig daran, bei bestimmten Berufsgruppen und in bestimmten Klinik-Bereichen nur noch 2G-Personal zum Einsatz kommen zu lassen.“ Werner sieht die Politik gefordert, 2G-Vorgaben mindestens für die besonders vulnerablen Bereiche im Krankenhaus auszusprechen, beispielsweise über das Infektionsschutzgesetz. So erhalte man die Möglichkeit, „den Impfstatus unserer Mitarbeitenden abzufragen.“

Wie positionieren sich die Kliniken?

Jochen Brink, Präsident der Krankenhausgesellschaft NRW, belässt es bei einem dringenden Appell: „Lassen Sie sich bitte impfen, und halten Sie sich unbedingt an die Hygieneregeln.“ Die Kliniken behandelten seit Wochen vor allem Covid-19-Infektionen von Menschen, die sich gegen eine Impfung entschieden und dies nun teuer bezahlten. Brink: „Wer sich nicht impfen lässt, wird eine Corona-Infektion vermutlich kaum verhindern können – mit einem erhöhten Risiko schwerwiegender Folgen. Bei weiter steigenden Zahlen in den Kliniken besteht die Gefahr, dass es zu einer versorgungsrelevanten Verknappung der intensivmedizinischen Kapazitäten kommt.“

Würde 2G die Impfbereitschaft erhöhen?

Der Bochumer Angstforscher Prof. Jürgen Margraf, ist sich sicher: „G2 kann die Bereitschaft zur Impfung fördern.“ Bei hartnäckigen Impfverweigerern würde 2G aber eher das Gegenteil bewirken. Verbote vergrößerten bei solchen Menschen Trotz und Widerstand. Aber auch Geimpfte wollten ihre Freiheiten wieder bekommen, gibt Margraf zu bedenken. „Deshalb muss es die 2G-Regel geben.“ Es sei unverantwortlich, sich nicht impfen zu lassen, und das Risiko an andere weiterzugeben.

Eine psychologische Grundregel besage: Eine unbekannte Gefahr überschätzen Menschen leicht. „Was wir aber gut zu kennen glauben, unterschätzen wir. Wir haben zuletzt so viel von Corona gehört, dass die Haltung der Verharmlosung zunimmt“, so Margraf.