An Rhein und Ruhr. Wahlforscher Karl-Rudolf Korte spricht im Interview über die Bedeutung der politischen Arbeiten vor Ort und Wahlkampf in Corona-Zeiten.

Die ersten Plakate hängen schon an den Laternen. Die Kandidaten für die Kommunalwahl am 13. September müssen sich in diesem Jahr besonders anstrengen, mit ihren Positionen beim Wähler durchzudringen. Eine Stimmabgabe so kurz nach der Sommerpause ist für Wahlkämpfer immer schwierig. Und bei der Kommunalwahl ist die Beteiligung der Bürger traditionell schon deutlich schwächer als bei der Bundestagswahl. Und jetzt kommen auch noch Verunsicherung und Lähmung durch die Corona-Krise hinzu.

Werden die Bürger am zweiten Sonntag im September trotzdem in Scharen in die Wahllokale kommen? Werden Sie dran denken, rechtzeitig Briefwahl zu beantragen? Kommunalwahlen sind wichtig. Worum es geht und warum eine gute Wahlbeteiligung wünschenswert ist – darüber sprach NRZ-Politik-Chef Jan Jessen zum Auftakt unserer Wahl-Serie mit dem renommierten Wahlforscher Karl-Rudolf Korte.

Herr Prof. Korte, am 13. September sind Kommunalwahlen in NRW. Warum sollten Bürger ihre Stimme abgeben?

Politik rettet Leben, das haben wir in den vergangenen Monaten erlebt. Die Notwendigkeit, dass Politik von der europäischen bis zur kommunalen Ebene funktioniert, war noch nie so erkennbar wie in der Corona-Krise. Die gemeinsame Erfahrung der geglückten Angstüberwindung stärkt auch die Kommune. Bürger setzen auf konstruktive Kompetenz zur Problemlösung vor Ort.

Die Regeln in der Corona-Krise sind in Düsseldorf und Berlin gemacht worden. Welche Bedeutung hatte die kommunale Ebene?


Die kluge Aufteilung der drei Gebietskörperschaften in Deutschland, die unseren Verwaltungsaufbau charakterisiert, ist unser Wettbewerbsvorteil, um eine krisenfeste Widerstandsfähigkeit zu entwickeln. Die Krise wird durch Maßnahmen auf lokaler Ebene eingehegt und transparent gemacht. Das Zusammenspiel mit anderen Ebenen war lebensrettend.

Auch jenseits von Krisensituationen ist die kommunale Ebene am nächsten an der Lebenswirklichkeit der Menschen. Trotzdem scheint Kommunalpolitik für viele Bürger keine große Bedeutung zu haben. Woran liegt das?


Ich würde es positiv sehen. Wir leben in einer Konsumentendemokratie, in der man sich Dienstleistungen kauft. Man zahlt Steuern und erwartet, dass die Dinge für einen erledigt werden. Mangelndes Interesse ist oft auch ein Nachweis von funktionierendem Zufriedensein.

Bei den Kommunalwahlen 1994 gab es in NRW eine Wahlbeteiligung von fast 82 Prozent. Diese Wahlen fanden parallel zur Bundestagswahl statt. 2004 wurde kommunal parallel zur Europawahl abgestimmt, die Wahlbeteiligung lag bei knapp 50 Prozent. Jetzt finden die Kommunalwahlen allein statt. Bricht die Beteiligung völlig ein?

Nein, ich bin da nicht pessimistisch. Insgesamt geht die Wahlbeteiligung in den vergangenen vier, fünf Jahren rauf. Die Gesellschaft ist politisierter und polarisierter geworden. Jetzt ist sie zudem krisenerfahren. Der Rückzug in die Gemeinde ist wichtiger geworden, der Nahbereich ist heilig. Hier konnte man, hier musste man bleiben. Das Primat der Politik adelt im Moment auch die Kommune.

Kommunalpolitik frisst Zeit, es gibt nur eine geringe Aufwandsentschädigung. Parteien haben es häufig schwer, Kandidatinnen und Kandidaten zu finden. Wie kann das Ehrenamt attraktiver werden?


Kommunalpolitiker sind Garanten unserer Lebensfreiheit. Das wird zu wenig beachtet. Man darf Kommunalpolitik nicht auf das Technische reduzieren. Die Wertschätzung der Freiheit hat unter Corona Bedingungen sehr zugenommen. Jeder kommunale Mandatsträger ist Freiheitsmissionar. Jede politische Entscheidung kann den Spielraum unserer Freiheit beeinflussen.

Wie soll das konkret aussehen?

In den Kommunen muss besser kommuniziert werden, was Ratsarbeit bedeutet. Dass es eben darum geht, das Zusammenleben zu organisieren, und zwar so, dass jeder die Spielräume nutzen kann, die er gerne für sich nutzen möchte. Widerstandsfähige Gesellschaften brauchen Vielfalt. Diese muss organisiert und begleitet werden. Das ist konkrete Demokratiebildung – auch projektbezogen.

Also Angebote, die kein Mandat, keine fünfjährige Amtszeit notwendig machen?

Ja, ich meine konsultative Ideen. Diskussionsgemeinschaften, Bürgerkammern, die sich zu einem bestimmten Projekt bilden und die im Idealfall repräsentativ zusammengesetzt sind und nicht durch die üblichen Betroffenheitspartizipierer. Mandatsträger könnten das hilfreich nutzen für die Anreicherung ihrer Ideen und für ihre Legitimation.

Viele Räte sind zersplittert, in manchen sitzen sieben, acht und mehr Parteien oder Wählervereinigungen. Macht das die Arbeit zusätzlich zäh und schwer?


Dieser Pluralismus ist ein Abbild unserer Gesellschaft. Auch hier muss man pionierhaft in neuen Konturen von Politikmanagement denken. Schwierigkeiten gibt es da, wo traditionell in Form von Dauerkoalitionen gearbeitet wird. Besser wären themenbezogene Kooperationen. Das ist kommunikativ aufwändig, aber anregender für die Akteure.

Sind Kommunalpolitiker ausreichend professionell, um den Erfordernissen des Jahres 2020 gerecht zu werden?

Kommunalpolitik ist das Basiscamp der Demokratie. Sie hat sich gerade in Krisenzeiten sehr bewährt. Sie stabilisiert unser Gemeinwohl. Ich sehe hier vielfältige Kompetenzen am Werk, kein Versagen. Klar kann man sich wünschen, dass mehr mitmachen, dass es repräsentativer wird und dass vor allem auch die finanziellen Spielräume sich für die Gemeinden erhöhen.

Wie beeinflusst die Corona-Krise diese Kommunalwahl?


Corona prägt diese Wahl. Wie sichern wir Vorsorge? Das Thema Sicherheit spielt eine noch zentralere Rolle als sonst. Auch die Möglichkeiten zu mobilisieren, sind anders. Man kann nicht überall klingeln und in sich in Wohnzimmer setzen. Mit Corona-Kreativität müssen neue Muster der Mobilisierung ausprobiert werden.

Es ist ja zum Glück ein Sommerwahlkampf, man kann viel im Freien machen.