Düsseldorf. Nach dem Sensationserfolg will der erfolgreiche neue NRW-Parteichef und Spitzenkandidat Lindner das zarte Pflänzchen Wählervertrauen pflegen und den Liberalen einen neuen Stil verpassen. Mittelfristig soll sich die FDP sozialliberal öffnen.

Christian Lindner ahnt, was die Stunde für seine Partei geschlagen hat. Obwohl die letzten Umfragen der FDP die noch vor zwei Monaten für unmöglich gehaltene Rückkehr in den NRW-Landtag verheißen, scheint der liberale Spitzenkandidat auf den letzten Metern leise Zweifel an der Wunderheilung zu hegen. Vorsichtshalber verschanzt sich der 33-Jährige in einem schicken Düsseldorfer Hafenhotel. Umringt wird er von historischen Figuren seiner Partei, deren Biografien Glanz und Elend der FDP verkörpern. Liberale Säulenheilige wie der 85-jährige, soeben frisch operierte Hans-Dietrich Genscher. Eine Stimme der Vernunft wie Gerhart Baum.  Und Guido Westerwelle, der die FDP erst groß und dann zur Zielscheibe von Spott und Häme gemacht hat.

Vor das Wahlvolk werde Lindner erst treten, wenn es „eine belastbare Hochrechnung“ gebe, lässt ein Parteisprecher frühzeitig ausrichten. Sicher ist sicher. Überhaupt hatten die Liberalen ganz vergessen, eine Wahlparty zu planen. Bei Umfragewerten von zwei Prozent, die Heilsbringer Lindner noch im April vorfand, stand der Sinn nicht nach Fete. Am Ende war vieles in Düsseldorf ausgebucht, es blieb nur der gläserne Eingangsbereich eines Bürogebäudes im Medienhafen. Es wirkt, als habe die FDP das Feiern fast verlernt.

Bescheidenheit und Verlässlichkeit verordnet

Und dann das. Mehr als acht Prozent, Fraktionsstärke fast verdoppelt, die gefürchtete Neuwahl als Zugewinngeschäft. Viele liberale Landtagsabgeordnete, die nach der Parlamentsauflösung im März bereits auf Jobsuche waren, liegen sich in den Armen. „So ein Tag, so wunderschön wie heute“, wird gegrölt.

Auch in der Stunde des Triumphes bleibt Lindner sich treu. Er hat versucht, seiner Partei im politischen Blitz-Benimmkurs einen Stil der Bescheidenheit und Verlässlichkeit zu verordnen, das Lautsprecherische zu überwinden. Er hat Augenmaß und Berechenbarkeit gepredigt: Schluss mit unseriösen Steuersenkungsversprechen.

Mittelfristig soll sich die FDP sozialliberal öffnen

Lindner weiß, dass das kleine Pflänzchen Wählvertrauen gerade jetzt gehegt werden muss. „Wenn die FDP wieder an die Zeiten von Lambsdorff, Genscher und Baum anknüpft, dann ist wieder mit der FDP zu rechnen“, ruft er. Das ist die Messlatte für das viel gepriesene politische „Wunderkind aus Wermelskirchen“. Das Wahlergebnis bedeutet für Lindner aber auch in anderer Hinsicht ein Geschenk.

Dank der klaren rot-grünen Mehrheit, zu der er dem Regierungsduo Kraft und Löhrmann artig gratuliert, muss die FDP den Laborversuch „Ampel“ noch nicht unternehmen. Mittelfristig will Lindner die FDP stärker sozialliberal öffnen und bündnisfähiger machen, dabei jedoch die Stammwähler mitnehmen. Sein 8,4-Prozent-Fabelergebnis, das wohl nur zufällig zwischen dem sozialliberalen Willi Weyer (1966) und dem volkstümlichen Jürgen W. Möllemann (2000) angesiedelt ist, gibt der FDP in den kommenden fünf Jahren Erprobungsspielraum.

Zumal der wortgewandte Lindner wie schon im Wahlkampf der auffälligste Repräsentant der „bürgerlichen Alternative“ zu Rot-Grün in NRW sein wird. Die CDU, für die Lindner „keine Schadenfreude“ empfindet, ist auf Sicht mit sich selbst beschäftigt. Welch ein politisches Vakuum für einen gewieften Redner wie den FDP-Frontmann.

Nun ist "Lebenslauf-Kontinuität" geplant

Wirklich gefährlich wird Lindner nur das dreifache „R“: Rösler, Revolte, Rückkehr nach Berlin. Immer wieder wird der Retter der NRW-FDP bereits am Sonntag gefragt, wann er den ang eschlagenen FDP-Parteichef Philipp Rösler wegputscht. Nach dem Glaubwürdigkeitslimbo um seinen Rücktritt als Röslers Generalsekretär im Dezember 2011 und das eilige Comeback in NRW ist jetzt „Lebenslauf-Kontinuität“ gefragt, wie Laufbahnplaner sagen würden. Landesschulden, Energiewende, Ladenschluss und Raucherschutz sind jetzt seine Themen. Eine kluge Arbeitsteilung mit dem bisherigen NRW-Fraktionschef Gerhard Papke soll dafür sorgen, dass Lindner nebenher auch in der Bundespolitik sein Wort machen kann.

Als Christian Lindner im Laufe des Wahlabends hinüber zum Medienrummel in den Landtag gebracht wird, fangen ihn bereits in der Bannmeile fünf kräftige Personenschützer ab. „Wir bringen Sie da rein“, sagt einer der Bodyguards entschlossen. „Ist es da so voll oder was“, fragt Lindner freundlich-irritiert. Er wirkt ernsthaft überrascht.