Washington. Der Präsidentschaftskandidat der Republikaner - ein Mann von gestern, der die Ideen von vorgestern denkt. Ein Politiker, der sich nicht der Mühe unterzog, die Welt selbst zu begreifen. Ein Mann, der an der lange abhanden gekommenen Einzigartigkeit der Vereinigten Staaten festhält. Ein Kommentar.

Mitt Romneys Bewerbung um das
Weiße Haus
steht seit Beginn unter dem berechtigten Verdacht des
Substanzmangels. Vieles, was der ehemalige Risikokapital-Manager konzeptionell
bisher zu bieten wusste, ist entweder nicht durchdacht, durchgerechnet oder
gehorcht allein der Seelenmassage radikal weltfremder Flügel innerhalb der
republikanischen Partei.

Innenpolitisch ist dieser Umstand ein Problem der
Amerikaner. Sie haben in der ersten Fernseh-Debatte studieren dürfen, wie es
ist, wenn etwa in der Frage von Steuern, Schuldenabbau und Krankenversicherung
plötzlich ein Moderater aus dem Trojanischen Pferd klettert, der als Hardliner
hineingestiegen war. Außenpolitisch trifft die ausschließlich auf Wählerstimmen
schielende Macho-Pose Romneys die ganze Welt.

Nach seiner Rede in Virginia,
ausgerechnet an der Wirkungsstätte gehalten, die den Mann hervorbrachte, dem
Nachkriegs-Europa den Marshall-Plan zum Wiederaufbau verdankt, haben sich die
Befürchtungen bestätigt: Da denkt ein Mann von gestern Ideen von vorgestern,
weil ihm zu heute nichts einfällt.

Romney ist unempfindlich für Geschichte

Lässt man die rhetorischen Nebelkerzen
beiseite, die seinen Auftritt unrühmlich auszeichneten, dann ist festzuhalten:
Ob Iran/Atombombe oder Israel/Palästina, ob Libyen oder Ägypten oder
Afghanistan: Mitt Romney hat nirgends ein anderes Rezept parat, um an den
genannten Schauplätzen mehr zum Guten zu bewegen. Seine Kritik an der
Leistungsbilanz Obamas ist heuchlerisch, seine Analyse der herrschenden
geopolitischen Konflikte und ihrer Entstehung ist naiv oder bewusst irreführend.
Die Welt ist kein unsicherer Ort geworden, seit Obama regiert.

Romneys Attacken
bedienen die offenen Wunden einer republikanischen Partei, die es nicht
verwinden kann, dass Barack Obama in mehr Fällen, als es etwa die europäische
Öffentlichkeit wahrhaben möchte, George W. Bush kopiert – dabei aber einen
besseren Eindruck macht und innenpolitisch akzeptierter vorgeht; siehe die hohe
Zustimmung zu den umstrittenen Drohnen-Einsätzen.

Romneys krampfhaftes
Festhalten an der lange abhanden gekommenen Einzigartigkeit der Vereinigten
Staaten, sein Eintreten für Amerikas mit viel Blut, Geld und noch mehr
Ansehensverlust bezahlte Rolle als Weltpolizist verrät eine Unempfindlichkeit
für Geschichte, die auch mit patriotischen Folklore-Phrasen nicht erträglicher
wird. Mitt Romney hat sich nicht der Mühe unterzogen, die Welt selbst zu
begreifen, die sich durch die Globalisierung massiv verändert und mit China,
Indien und Brasilien neue Schwergewichte produziert hat, die sich weder kaufen
noch kommandieren lassen.

Dass er kein einziges konstruktives Wort zum
wichtigsten Partner Europa sagte, dass ihm nicht eine Silbe dazu einfiel, wie
der sinkende Einfluss internationaler Groß-Organisation wie der Uno auf die
Gestaltung der Zeitläufte aufzuhalten ist, belegt einen von fragwürdigen
Beratern genährten politischen Autismus, der den Tunnelblick Amerikas auf die
Welt fördert anstatt ihn zu weiten. Die USA können und werden das 21.
Jahrhundert maßgeblich mitprägen. Einsam dominieren, wie es sich Mitt Romney
erträumt, werden sie die Zukunft nicht.