Denver. US-Präsident Barack Obama machte in der ersten Fernsehdebatte gegen Mitt Romney keine gute Figur. In vielen Aspekten war er seinem republikanischen Herausforderer unterlegen. Doch dann attackierte Romney - leicht ironisch - Sesamstraßen-Held “Bibo“. Ein Entrüstungssturm auf Twitter war die Folge.
Vorteil Romney: Gegen alle Erwartungen hat der
republikanische Herausforderer von Barack Obama um die amerikanische
Präsidentschaft die erste von drei Fernseh-Debatten für sich entschieden und so
das Rennen um das Weiße Haus etwas offener gestalten können. Nach dem
90-minütigen Schlagabtausch in Denver/Colorado ergaben Blitzumfragen großer
US-Medien, dass der frühere Risiko-Kapital-Manager Mitt Romney von zwei Dritteln
der Zuschauer als angriffslustiger und geistesgegenwärtiger wahrgenommen wurde.
Die Auswirkungen auf den Wahltag am 6. November sind noch nicht abzusehen.
Die Ausgangslage:
Mitt Romney lag vor Denver vor
allem in den umkämpften Bundesstaaten Ohio, Virginia und Florida, die am 6.
November entscheidend sind, in allen seriösen Umfragen deutlich zurück. Der
Herausforderer hatte keine andere Wahl. Er musste angreifen. Obamas
Hauptaugenmerk konnte der Papierform nach auf Fehlervermeidung liegen. Viel mehr
gelang ihm auch nicht.
Der Stil:
Romney agierte durchweg
frischer, aggressiver; ohne sich im Ton zu vergreifen. Abgesehen vom
Schlusswort, als er sich direkt an das Fernsehvolk wandte, nahm er Obama ständig
mit zuchtmeisterlicher Miene ins Visier. Jede Antwort ein Redeschwall, gespickt
mit Zahlen und Prozenten. Der Ex-Manager sezierte Obamas Bilanz wie ein
kundiger, kritischer Hauptaktionär auf der Hauptversammlung eines
Dax-Unternehmens. Der Amtsinhaber fand bis zum Schluss nicht ins Spiel. Seine
Antworten gerieten professoral, kompliziert und meist defensiv. Obama sah oft
mit mürrischer Miene vor sich aufs Rednerpult. Seine Aura hatte etwas
Defätistisches. Größte Überraschung: Obama ließ die Angriffsflächen, die Romney
bietet, seine geringe private Steuerquote oder sein Image als Verfechter der
Interessen von Reichen, ungenutzt.
Die Inhalte:
Jim Lehrer (78), der erfahrenste
Präsidentschaftsdebatten-Moderator Amerikas, hatte die Fragen vorgegeben:
Wirtschaft/Arbeitsmarkt, Staatsverschuldung, soziale Sicherungssysteme und die
Rolle des Staates an und für sich. Schwer verdauliche Ware, in Antwort-Blöcken
von maximal zwei Minuten kaum abzuhandeln. Obamas roter Faden: Er hielt
Romney vor, die oberen Zehntausend zu Lasten der Mittelschicht entlasten
zu wollen und damit das Land weiter auf den Kurs einer inneren Zerreißprobe zu
bringen.
Der Republikaner werde die Staatsschulden mit Steuergeschenken für die
Reichen und zusätzlichen Militärausgaben in gigantischer Höhe nach oben treiben
und die sozial Schwachen dafür zur Kasse bitten. Romney erwehrte sich der
Vorwürfe mit dem pauschalen Konter: Alles gelogen. Wie er seine Pläne für
radikalen Schuldenabbau, Steuersenkungen durch die Bank, Deregulierung der
Wirtschaft, Entfesselung eines neuen Aufschwungs mit zwölf Millionen neuen
Arbeitsplätzen und Erhöhung der Militärausgaben a) rechnen und b) im Kongress
mit Hilfe von Demokraten wie Republikanern durchsetzen will, erklärte Romney
nachvollziehar an keiner Stelle.
Knutschende Obamas
Obama und Romney verdrehten die Tatsachen
Die
Fakten:
Beide
Kandidaten verdrehten mehr als einmal die Tatsachen oder verkürzten die
politische Agenda des jeweils anderen. Nach Ansicht der „Fakten-Checker“ der
großen US-Zeitungen und Fernsehsender muss sich allerdings Mitt Romney die
„dreisteren Lügen“ vorhalten lassen. Romney warf Obama vor, für 23 Millionen
Arbeitslose verantwortlich zu sein. Nach der offiziellen Statistik sind es 12,5
Millionen. Romney behauptet, Obama habe 700 Milliarden Dollar aus der
Krankenversicherung für Senioren (Medicare) gekürzt. Das ist nach den Worten des
Budget-Büros des Kongresses „nachweislich falsch“.
Der
Humorfaktor:
Es gab wenig
zu lachen. Anfangs nahm Romney liebenswürdig den Umstand aufs Korn, dass Obama
ausgerechnet am 20. Hochzeitstag mit ihm auf der Bühne stehen müsse. Am Ende
versucht sich Obama kurz in Selbstironie: „Vor vier Jahren habe ich gesagt, dass
ich kein perfekter Mensch bin und dass ich kein perfekter Präsident sein werde.
Das zumindest ist ein Versprechen von dem Gouverneur Romney meint, dass ich es
eingehalten habe.“
Humor mit Nachgeschmack gab es bei Romneys versteckter
Ankündigung, dem öffentlich-rechtlichen Sender PBS ans Geld zu gehen, aus dessen
Reihen Moderator Lehrer stammt. Auf PBS läuft die beliebte Kindersendung
Sesamstraße – mit „Bibo“, „Big Bird“, dem großen Vogel. Romneys sagte: Ich mag
Big Bird. Aber zur Finanzierung von PBS in China Schulden aufzunehmen, das gehe
nicht in Ordnung. Im Internet setzte ein Sturm der Entrüstung ein. Tenor: „Hände
weg von der Sesamstraße."
Die Bilanz:
In nicht repräsentativen
Blitzumfragen hat eine überwältigende Mehrheit Romney zum Sieger erklärt. Die
Aussagekraft der Momentaufnahme ist allerdings begrenzt. Obama könnte bewusst
mit angezogener Handbremse agiert haben, „um sein Pulver nicht zu früh zu
verschießen“, spekulierten gestern einige Kommentatoren. Noch kommen zwei
weitere TV-Debatten. Dabei geht es unter anderem um die Außenpolitik; Obamas
Schmuckstück in der Wählermeinung. Das Gesamtbild, das bisher schon positiv für
Obama ausfiel, kann sich trotz der Delle von Denver stabilisieren. Zumal in 35
Bundesstaaten der Wahlgang bereits begonnen hat; vor Denver.