Essen.. In der Piratenpartei gibt es Ärger. Die „Jungen Piraten“ klagen in einem offenen Brief über Sexismus und Ausländerfeindlichkeit in der Partei. Fällt das noch unter die Meinungsfreiheit? Der Bundesvorstand der Piratenpartei kann mit “zehn Prozent Idioten“ in den eigenen Reihen leben.
Was hilft Piratinnen gegen Anspannung? „Mal richtig hart durchgef... zu werden“, war so ein Tipp, und er kam aus den eigenen Reihen. Was halten Piraten von Ausländern? „Ich würde mich auch nicht von Ausländern pflegen lassen“, bekannte eine Piratin auf Twitter. Und als sie dafür kritisiert wurde, fand sich einer, der nicht sie, sondern die Kritiker des Rassismus bezichtigte. All das mögen Einzelmeinungen sein, aber es scheint eine Menge solcher Einzelmeinungen gegeben zu haben, denn jetzt ist etwas passiert: Die Jungen Piraten, so heißt die Jugendorganisation der Partei, haben einen offenen Brief geschrieben, in dem sie sich über Sexismus, Rassismus und andere diskriminierende Einstellungen in der Partei beklagen.
„Wir betrachten seit geraumer Zeit Verhältnisse innerhalb der Piratenpartei mit großer Sorge und zunehmendem Ärger“, schreiben die JuPis. „Immer wieder fallen Mitglieder der Partei durch rassistische, sexistische, aber auch anderweitig diskriminierende Aussagen oder Verhaltensweisen auf. (...) Derartige Aussagen werden oft als ,Einzelmeinungen’ abgetan – gerade in einer Partei, die sich ihrer starken Basis rühmt, darf das keine Rechtfertigung sein. (...) Gerade für eine Partei, die sich als ,Mitmachpartei’ bezeichnet, die eine freie Presse fordert und dafür plädiert Fehler in der Politik einzugestehen und sich über Sachverhalte zu bilden, bevor eine Meinung vertreten wird, sind diese Abwehrreaktionen sowie Diskriminierung bzw. die Duldung dieser beschämend.“
Die JuPis bescheren der Mutterpartei eine Grundsatzdebatte
Der Brief dürfte viele Wähler überraschen. Denn sie wussten womöglich noch gar nicht, dass eine so junge Partei wie die Piraten überhaupt eine Jugendorganisation hat. Doch die JuPis gibt es seit Frühjahr 2009 und sie haben derzeit 814 Mitglieder. Sie sind von der Partei unabhängig und sagen: „Wir vertreten unsere eigenen Standpunkte auch gegenüber der Partei.“ Mit dieser Haltung bescheren sie der Piratenpartei nun eine neue Grundsatzdebatte: Sind ausfallende Äußerungen durch die Meinungsfreiheit gedeckt? Und falls nicht: Wie soll man mit ihnen umgehen?
In einer normalen Partei ist es üblich, dass Parteigerichte den Ausschluss von Mitgliedern beschließen können, die so sehr von der Linie abweichen. Die SPD hat damit in jüngerer Zeit schlechte Erfahrungen gemacht, als sie sich in einem quälend langsamen Prozess von Wolfgang Clement trennen wollte, und sich in einem weiteren quälenden Prozess dazu durchrang, gegen Thilo Sarrazin nicht vorzugehen.
Den Piraten sind solche Prozeduren ein Graus. Sie verstehen sich als ein Partei mit flachen Hierarchien, mit einem Vorstand, der nicht viel mehr zu sagen hat als jedes andere Mitglied auch. Und deshalb streiten sie sich nun trefflich über die Frage: darf die Partei gegen solche Stimmen vorgehen? „Wir hoffen, dass die Piratenpartei sich klar gegen jegliche Formen der Diskriminierung bekennt“, schließen die Jungen Piraten ihren Brief, aber das finden nicht alle.
Der Piratenpartei-Vorstand kann mit „zehn Prozent Idioten“ leben
Der Bundesvorstand der Piratenpartei verweist hingegen darauf, dass es in den von den JuPis genannten Fällen genug innerparteiliche Empörung gegeben habe. Der stellvertretende Pressesprecher Aleks Lessmann erklärte, man könne und wolle nicht „kontrollieren, was einzelne Piraten sagen.“ Auch die Piratenpartei müsse damit leben, dass sie in ihren Reihen „zehn Prozent Idioten“ habe.
Über 200 Piraten fanden, diese Haltung ihres Vorstands sei ein Unding – und unterschrieben eine alternative Pressemitteilung im Netz.