Essen. Viele Gaststätten und Hotels in der Region stehen vor dem Aus. Die Branche schlägt einen Lockerungs-Fahrplan vor. NRW könne aber auch gewinnen.

Nach Auffassung von Tourismusexperten wird die Corona-Krise das Reiseverhalten der Bundesbürger kurz- und mittelfristig verändern. Davon könne auch der Tourismus vor Ort in NRW profitieren. „Touristische Angebote im  Nah- und Mittelbereich, also deutsche Ferienregionen werden stärker nachgefragt werden“, ist Jürgen Schmude vom Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie und Tourismusforschung der Universität München überzeugt. 

Bedeutender Wirtschaftsfaktor auch im Ruhrgebiet

Auch beim Niederrhein Tourismus glaubt man, dass der Urlaub im eigenen Land infolge von Corona beliebter werden wird. Urlaubern seien Sicherheit, Vertrauen und Hygienestandards wichtig, betonte Geschäftsführerin Martina. Die Ruhr Tourismus GmbH arbeitet derzeit bereits an Konzepten, wie die touristischen Alleinstellungsmerkmale im Revier wie Industriekultur und die Haldenlandschaft nach einer möglichen Öffnung der Auflagen „attraktiv und gemäß den gebotenen Vorsichtsmaßnahmen präsentiert werden könnten“, sagte Geschäftsführer Axel Biermann dieser Redaktion.

Im Ruhrgebiet leben laut Biermann mittlerweile über 100 000 Menschen direkt oder indirekt vom Tourismus. Die Branche habe sich zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor in der Region entwickelt, der in den vergangenen Jahren zudem stetig gewachsen sei.  Allerdings sind die Sorgen in der Branche groß. „Wir müssen aufpassen, dass das vielfältige und einzigartige Angebot, das wir in den vergangenen Jahren aufgebaut haben, nicht nachhaltig beschädigt wird“, warnt Axel Biermann.

Umsätze tendieren gegen Null


Die Tourismus-Branche in NRW nimmt für sich in Anspruch, der von der Corona-Krise wohl am härtesten betroffene Wirtschaftszweig zu sein. Tatsächlich tendiert der Umsatz in vielen Übernachtungsbetrieben, Hotels und Restaurant seit Wochen gegen Null. Viele Unternehmen stehen vor der Existenzfrage. Nun schlagen die regionalen Verbände Alarm und fordern von der Landesregierung „Aussicht auf Normalität und Rückführung des Geschäfts“.

Diskutiert wird ein "Neustart-Szenario"

In Zusammenarbeit mit den Verbänden hat die Dachorganisation Tourismus NRW dazu ein „Neustart-Szenario“ entworfen. In dem Papier, das dieser Zeitung vorliegt und das derzeit beim NRW-Wirtschaftsministerium diskutiert wird, wird ein „Phasenmodell in drei Schritten“ vorgeschlagen. Demnach sollen in der ersten Phase einer vorsichtigen Lockerung „Beherbergungsbetriebe mit autarken Übernachtungsformen", also Ferienwohnungen und -häuser, Campingplätze mit eigenen Ver- und Entsorgungssystemen, Hotelappartements und Hausboote sowie - unter Auflagen - Garni-Hotels wieder öffnen. Gleichzeitig sollen Außengastronomien, Zoos, Tier- und Freizeitparks, Auto-, Fahrrad- und Bootsverleihe sowie Ausflugsschiffahrten ihren Betrieb wieder aufnehmen.

Riesige Pleitewelle befürchtet

Thomas Weber vom Verband Sauerland-Tourismus fürchtet ein Szenario, nach dem bei einem Neustart des Fremdenverkehrs in NRW viele Betriebe nicht mehr dabei sind, weil sie die Krise nicht überstanden haben. Tourismus NRW spricht in seinem Papier von einer dramatischen Lage: Es drohe eine riesige Pleitewelle. Diesen Eindruck bestätigt eine aktuelle Blitzumfrage der Industrie- und Handelskammern unter 600 Betrieben im Gastgewerbe. Fast zwei Drittel der befragten Unternehmen befürchten demnach eine Insolvenz „noch in diesem Jahr". Der überwiegende Teil der Betriebe sei bereit, selbsteinschränkende Schutz- und Hygienemaßnahmen zu ergreifen, betonte IHK-NRW-Präsident Thomas Meyer. Diese „neue Normalität“ werde von den Betrieben anerkannt, damit sie im Gegenzug zumindest in Teilen wieder öffnen könnten.

Tourismusexperte Schmude sieht den Fremdenverkehr zumindest mittelfristig vor tiefgreifenden Veränderungen. Die Corona-Krise lehre, dass Reisen und Reisefreiheit nicht selbstverständlich seien. Das werde zu einer Bewusstseinsveränderung führen: „Die Menschen werden nicht mehr jede Reise machen und das einzelne Reiseerlebnis mehr schätzen“, so der Forscher. Allerdings werde diese Phase nur eine gewisse Zeit anhalten: Schmude: „Es steht zu erwarten, dass die Menschen danach zu alten Verhaltensmustern zurückkehren.“