Brüssel. Ein EU-Plan zur Bewältigung der Flüchtlingskrise liegt vor. Doch Ungarn und andere Staaten wollen die Vorschläge beim Innenministertreffen ablehnen.
Der Paukenschlag kam schon vor dem Krisentreffen. Als Reaktion auf den Andrang Zehntausender Flüchtlinge hat Deutschland am Sonntag wieder Grenzkontrollen eingeführt. Die Botschaft an Brüssel ist klar: Jetzt ist in Europa Solidarität gefordert. Doch die EU-Staaten haben Probleme, einander bei der Bewältigung der Aufgabe zu helfen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat jüngst einen konkreten Plan für die Verteilung von weiteren 120.000 Flüchtlingen vorgeschlagen. Die EU-Innenminister beraten an diesem Montag erstmals darüber. Längst nicht alle sind einverstanden - doch der Druck wächst.
Was umfasst der Vorschlag der EU-Kommission?
Zentral und besonders umstritten ist die Notumsiedlung von weiteren 120.000 Flüchtlingen in den kommenden zwei Jahren. Dabei soll es um Menschen aus Syrien, Eritrea und dem Irak gehen, die gute Chancen auf Asyl haben. Ihre Umsiedlung soll Italien, Griechenland und Ungarn entlasten, wo besonders viele Migranten ankommen. Deutschland müsste laut Verteilungsschlüssel 31.443 übernehmen. Dieser richtet sich nach Einwohnerzahl, Wirtschaftskraft, Arbeitslosenquote und bereits aufgenommen Asylbewerbern. Zudem will die EU mit einer gemeinsamen Liste sicherer Herkunftsstaaten Migranten ohne Anspruch auf Asyl leichter abschieben können. Mittelfristig soll es einen festen Mechanismus für die Verteilung geben.
Wie schnell soll das alles umgesetzt werden?
So schnell es geht. Theoretisch könnte mit der Verteilung sofort begonnen werden.
Und in der Praxis?
Da gibt es noch Widerstände, da die EU-Staaten zustimmen müssen. Vor allem die mittelosteuropäischen sowie die baltischen Staaten sind gegen verbindliche Quoten. Insbesondere Ungarn stemmt sich dagegen. Ungarn würde zwar von den Juncker-Plänen profitieren, wehrt sich aber gegen jede dauerhafte Aufnahmeregelung und lässt viele Migranten unregistriert weiterreisen. Auch Polen, Tschechien und die Slowakei lehnen die Verteilung ab. Zumeist stehen diese Regierungen innenpolitisch unter dem Druck rechter Parteien und sind selten ein Ziel von Flüchtlingen.
Hat sich die Stimmung denn nicht geändert?
Doch. Innerhalb Europas ist die Zustimmung gewachsen gegenüber Juli, als sich die EU-Staaten bei der Verteilung von zunächst 40.000 Flüchtlingen noch nicht auf eine feste Quote einigen konnten. Es gab nur freiwillige Zusagen, die unter diesem Ziel blieben. "Die Ereignisse der letzten Wochen haben das Denken einiger Staaten verändert", sagt ein EU-Diplomat.
Gibt es im Ministerrat eine Mehrheit für die Verteilung?
Man sei einer Mehrheit näher gekommen, sagen EU-Diplomaten. Die Gegner könnten also überstimmt werden. Das Problem ist nur: Bei solch Themen von großer Bedeutung sind in der EU einstimmige Beschlüsse aller EU-Staaten üblich.
Was passiert, wenn sich die Minister am Montag nicht einigen können?
Dann dürfte es einen Sondergipfel noch im September geben. Das hat EU-Ratspräsident Donald Tusk bereits angedroht. Auf Ebene der Staats- und Regierungschefs könnten die Gegner leichter in die Pflicht genommen werden, lautet das Kalkül. Die Innenminister könnten dann beim nächsten regulären Treffen am 8. Oktober Details beschließen.
Wie will die EU-Kommission die zweifelnden Staaten ins Boot holen?
Mit Zugeständnissen. So kann laut Gesetzesvorschlag ein EU-Staat vorübergehend bei der Umverteilung aussteigen, wenn er berechtigte Gründe hat. Dazu zählt etwa eine Naturkatastrophe oder ein plötzlicher Zustrom von Flüchtlingen. Kein Argument ist dagegen, Migranten mit Hinweis auf ihre Religion abzulehnen, wie Ungarns rechtskonservativer Regierungschef Viktor Orban es tut: "Ich denke, wir haben das Recht zu entscheiden, dass wir keine große Zahl an Muslimen in unserem Land haben wollen." Den Polen und Balten wird zudem zugesichert, das sie keine zusätzlichen Flüchtlinge aufnehmen müssen, sollte es zu einem Exodus aus der Ostukraine kommen. Wer die Klausel in Anspruch nimmt, muss dafür Geld in einen Flüchtlingsfonds zahlen (bis zu 0,002 Prozent der Wirtschaftsleistung).
Reichen die Vorschläge zur Lösung der Krise aus?
Nein, lautet die gängige Meinung. Juncker hat deswegen bereits ein Gesetz für die legale Einwanderung nach Europa für 2016 angekündigt. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International fordert: "Die EU-Staaten sollten sichere Wege in die EU ausbauen." (dpa)