Düsseldorf. Der Streit um die Einführung grafikfähiger Taschenrechner für die gymnasiale Oberstufe in NRW geht weiter. Trotz heftiger Proteste beharrt Schulministerin Sylvia Löhrmann darauf, dass die teuren Geräte Pflicht werden. Lehrer befürchten dadurch negative Auswirkungen auf die Lernleistung der Schüler.
Trotz Kritik von Eltern und Experten hält Nordrhein-Westfalens Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) an der Einführung teurer grafikfähiger Taschenrechner (GTR) fest. Das geht aus einer am Freitag veröffentlichten Antwort auf eine FDP-Anfrage hervor.
Zum 1. August werde die Nutzung der Rechner für die gymnasiale Oberstufe und das berufliche Gymnasium Pflicht. In den vergangenen Monaten hat es von Eltern viele Proteste gegeben, weil sie die 70 bis 100 Euro teuren Geräte selbst bezahlen müssen. Viele Pädagogen befürchten zudem, dass die Schüler das Rechnen verlernen.
Piratenpartei fordert kostenlose Mathematik-Software
Auf Antrag der Piraten-Fraktion werden sich am Mittwoch im Landtag Sachverständige in einer Anhörung des Schulausschusses mit dem Thema beschäftigen. Die Piraten fordern, kostenlose Mathematik-Software als Alternative zu "Edeltaschenrechnern" zu erproben.
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Die schriftlichen Stellungnahmen der Sachverständigen bilden ein breites Meinungsspektrum ab. Mehrere Lehrer und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft monieren aber, dass der GTR bereits technisch überholt und an Hochschulen nicht zu gebrauchen sei.
Kosten und Nutzen stünden bei der erzwungenen Anschaffung der Rechner in keinem Verhältnis, kritisierte Oberstudienrat Marc Schefels vom Reinhard-und-Max-Mannesmann-Gymnasium in Duisburg. Nahezu alle Funktionen des GTR würden bereits durch andere im Unterricht eingesetzte Rechenprogramme abgedeckt. Darüber hinaus gebe es kostengünstige APPs für Smartphones und Tablet-Computer, die für wenige Euro zu haben seien und problemlos die Visualisierungsfunktion des GTR übernehmen könnten.
Mathematiklehrer befürchten negative Auswirkungen für Schüler
Vor allem sei zu befürchten, dass das Verständnis für mathematische Grundlagen verloren gehe, wenn alle Berechnungen von der Maschine durchgeführt würden, schreibt der Mathematiklehrer. "Schon heute werden einfache Rechenaufgaben nur noch mit dem Taschenrechner durchgeführt und dessen Ergebnis wird blind vertraut." So werde kein Nachwuchs für technische, mathematische oder naturwissenschaftliche Fächer qualifiziert. Zudem sei die finanzielle Belastung für viele Familien unzumutbar. "Gerade in strukturschwachen Regionen wie Duisburg wird es zu vielen Härtefällen kommen."
Kritik gibt es aber auch am Antrag der Piraten, aus der "Brückentechnologie Taschenrechner" auszusteigen und Mathematiksoftware im Unterricht oder auch bei Abiturklausuren auf Computern oder Tablets zu erproben. Tatsächlich sei geeignete kostenlose Mathematik-Software für Tablets nur eingeschränkt verfügbar, hält der Essener Gymnasiallehrer und Taschenrechnertester Marco Haase dagegen.
Furcht vor Manipulationen mit dem grafischen Taschenrechner
Mathematiklehrer Carl Andersson aus Bergisch-Gladbach warnt vor Manipulationsmöglichkeiten. Es sei naiv zu glauben, Lehrer könnten Programmierungen der Schüler vor einer Klausur mit einem Reset löschen. Dazu gebe es zahlreiche Hinweise im Internet, wie das umgangen werden könnte.
"Leider sind wir mit der unschönen Realität konfrontiert, dass sehr häufig gezielt und skrupellos gepfuscht wird", warnt der promovierte Experte auf dem Gebiet elektronischer Anwendungen im Mathe- und Physikunterricht. "Ob Laptop oder Tablet - das Problem bleibt, dass ein hinterleuchteter Bildschirm leichter abgelesen wird als ein Blatt Papier." Mehrere Düsseldorfer Gymnasiallehrer beurteilen Kontrollmöglichkeiten beim Einsatz von Tablets hingegen positiver. (dpa)