Mainz. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident und SPD-Landeschef ist seit langem wegen der Affäre um das Finanzdesaster des Freizeitparks am Nürburgring unter Druck. Nun will er nach ARD-Berichten die Konsequenzen ziehen und zurücktreten. Sozialministerin Malu Dreyer soll nun Ministerpräsidentin werden.

Der dienstälteste Ministerpräsident der Bundesrepublik, Kurt Beck (SPD), steht offenbar kurz vor seinem Rückzug. Der rheinland-pfälzische SPD-Regierungschef will dem Vernehmen nach noch am Freitag seinen Rücktritt ankündigen. Ein genauer Zeitpunkt für den Rückzug ist noch nicht bekannt. Nach Informationen des SWR will Beck sowohl sein Amt als Regierungschef als auch als Vorsitzender der Landespartei abgeben.

Beide Ämter sollen künftig getrennt werden. Die rheinland-pfälzische Sozialministerin Malu Dreyer (SPD) soll
nach Informationen der Nachrichtenagentur afp Ministerpräsidentin werden. Neuer SPD-Landeschef soll
Innenminister Roger Lewentz werden.

Hintergrund des Scheiterns: Beck steht seit Monaten unter wachsenden Druck wegen des Finanzdesasters rund um den Freizeitpark am Nürburgring. Die damalige SPD-Alleinregierung unter Beck hatte neben die Rennstrecke eine Erlebniswelt bauen lassen - und war mit der Privatfinanzierung wegen geplatzter Schecks 2009 spektakulär gescheitert. Auch die dann gefundenen privaten Betreiber zahlten nicht die komplette Pacht, sodass die Nürburgring GmbH in Turbulenzen geriet. Kritiker fürchten, dass der Steuerzahler nun bis zu einer halben Milliarde Euro schultern muss. Wegen der Nürburgring-Pleite im Juli musste das Land für einen 330-Millionen-Euro-Kredit als Bürge einspringen.

Gemeinsame Sitzung SPD-Parteispitze und Fraktion am Abend

SPD-Generalsekretär Alexander Schweitzer wollte sich zu den Personalspekulationen nicht offiziell äußern. Er bestätigte aber, dass um 17.00 Uhr zunächst das Parteipräsidium zu einer Sitzung im Landtag zusammentreffen werde. Um 18.00 Uhr sollen dann auch der Parteivorstand sowie die gesamte Landtagsfraktion hinzukommen.

Landtagspräsident Joachim Mertes (SPD) sagte, es sei Becks "persönliche Entscheidung, ob und wie er die Zukunft gestalten will". Man wolle Probleme lösen und dafür sei es manchmal nötig, "personell zu rochieren", fügte Mertes hinzu.

Ein möglicher Termin für eine solche personelle Rochade wäre, zumindest was den Parteivorsitz angeht, der 10. November. Dann trifft sich die SPD zu einem Landesparteitag.

Ministerpräsident seit 26. Oktober 1994

Der 63-jährige Beck regiert Rheinland-Pfalz seit fast genau 18 Jahren, am 26. Oktober 1994 war er als Nachfolger von Rudolph Scharping (SPD) erstmals zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Vor der Landtagswahl im März 2011, bei der er zum vierten Mal wiedergewählt wurde, hatte er angekündigt, dass er die gesamte Legislaturperiode bis 2016 im Amt bleiben wolle. Allerdings hatte Beck diese regelmäßig wiederholte Ankündigung immer auch mit dem Zusatz versehen, soweit seine Gesundheit ihm dies erlaube.

Dass Beck nun offenbar doch vorzeitig gehen will, kommt zumindest insofern überraschend, als er gerade erst vor vier Wochen im Landtag ein von der CDU beantragtes Misstrauensvotum wegen der Nürburgring-Affäre erfolgreich überstanden hat. Rückzugsgerüchte gab es allerdings schon länger.

Bereits im Mai Gespräche über Nachfolge geführt

Im Mai dieses Jahres war bekanntgeworden, dass Beck hinter den Kulissen Gespräche mit seinen möglichen Nachfolgern führte. Als Teilnehmer dieser Gespräche wurden neben Innenminister Lewentz noch SPD-Fraktionschef Hendrik Hering und Bildungsministerin Doris Ahnen genannt.

Sozialministerin Dreyer wurde damals noch nicht gehandelt, wenn es um die Runde der sogenannten Kronprinzen ging. Zwar zählte auch sie schon vor Jahren zur Riege der potenziellen Nachfolger, die Beck hinter sich aufgebaut hat. Wegen ihrer Erkrankung an Multipler Sklerose, die sie 2006 selbst öffentlich gemacht hatte, war sie aber bei den Spekulationen in den Hintergrund gerückt.

Erst nach der zunächst wieder unterdrückten Nachfolgedebatte im Mai war innerhalb der SPD der Ruf nach Dreyer, die in der Partei sehr viele Sympathien genießt, wieder lauter geworden. Dass sie trotz Rollstuhls, den sie gelegentlich benutzt, auch körperlich anstrengenden Herausforderungen gewachsen, demonstrierte die Ministerin unlängst auf einer Pressereise - der ersten seit Jahren.

Das finanzielle Desaster am Nürburgring

Die Vorgeschichte: Kurt Beck war 2005 auf der Höhe seiner Macht als er das Nürburgring-Projekt vorantrieb. Er wollte aus der „grünen Hölle“ der Formel 1, die alle zwei Jahre vorbeikommt, blühende Landschaften für seine Rheinland-Pfälzer machen. In der Eifel, meinte er, müsse „was los sein“. Der Mainzer Ministerpräsident ließ an der Rennstrecke den Freizeitspaß „Nürburgring 2009“ bauen. 330 Millionen Euro durch den Landesetat abgesicherte Kredite steckte seine Regierung in das Projekt, weil private Investoren ausblieben. Jetzt meldete die staatliche Betreibergesellschaft Insolvenz an. Dem Anlagewert von etwa 100 Millionen Euro stehen Schulden von 400 Millionen gegenüber.

Die Pleite bringt Rheinland-Pfalz finanziell ins Schleudern. Denn in der kargen Eifellandschaft hat nie etwas geblüht. Der „Ringracer“, die „weltweit schnellste Achterbahn“ (elf Millionen Kosten) ist außer Betrieb, weil schon beim zweiten Probelauf der Motor explodierte. Das „Ringwerk“ mit der „größten Videowand Europas“ blieb mangels Nachfrage oft dunkel. Das „Eifeldorf“ mit Einkaufsmeile, Souvenirshops und Lokalen, die Disco für 2000 Besucher und das Hotel mit Hubschrauberlandeplatz – sie sind meist leer. 2,5 Millionen Besucher sollten jährlich kommen. Angereist sind nicht mal ein Zehntel davon.

Boris Becker bekam 500.000 Euro für einen Auftritt am Nürburgring

Zu teuer. Zu großzügig. Zu laienhaft. So haben Kritiker den Umgang der Mainzer Administration mit dem Projekt beurteilt, über den nach den ersten Ermittlungen von Staatsanwälten 2009 auch der damalige SPD-Finanzminister Ingolf Deubel gestürzt ist. Man hatte nicht nur Projektentwickler engagiert, die bereits mit dem Bremer „SpaceCenter“ gescheitert waren. Für Auftritte von Boris Becker waren 500 000 Euro vorgesehen, man fiel auf ungedeckte Schecks und einen angeblichen Investor namens DuPont herein, der sich als armer Schlucker entpuppte.

Trotz allem: „Beste Chancen“ habe das Vorhaben – notfalls in Staatsregie, hatte Beck bis in die jüngste Zeit versprochen. Doch seit wann weiß er von der Schieflage? Hielt er den Mund, um die Wiederwahl 2011 nicht zu gefährden? Verschleppte er die Insolvenz, was strafrechtliche Konsequenzen haben könnte? Durfte seine Regierung die Staatshilfen über die landeseigene Investitions- und Strukturbank (ISB) ausgeben? Die EU sagt: Nein. Sie löste mit einem abgelehnten Antrag auf eine Überbrückungshilfe Mitte Juli die Insolvenz aus.

Die drängenden Fragen mischten die rheinland-pfälzische Politik auf.

 Besonders schwer tun sich die Grünen, Becks Koalitionspartner, mit der Aufarbeitung. Wirtschaftsministerin Evelin Lemke sah das Debakel kommen. „Das ist ein großes Hütchenspiel“, stellte sie im Sommer 2010 aus der Opposition heraus fest. Jetzt, in der Regierungsverantwortung in die Loyalität zur SPD eingebunden, blieb Lemke zurückhaltender.

Im Frühjahr hatte Beck schon mal Pläne eines vorzeitigen Rückzugs durchsickern lassen, dann aber die Absicht widerrufen. Es fehlte der geeignete Nachfolger. Alle denkbaren Kandidaten haben beim Poker um „Nürburgring 2009“ mitgespielt. (mit dapd)