Kiew. Alle Augen sind auf die Ereignisse in Kiew gerichtet - doch nicht nur die Ukraine steht derzeit vor einer Zerreißprobe. Angesichts des politischen Ringens zwischen Russland und der EU könnte auch Ländern wie Moldawien oder Georgien die Spaltung drohen. Die EU ist dabei ein schwerfälliger Akteur.

Angesichts der Eskalation in Kiew richten sich derzeit alle Augen auf die Ukraine. Dabei droht nicht nur diesem osteuropäischen Land derzeit eine Spaltung - auch kleinere Länder wie Moldawien und Georgien stehen angesichts des geopolitischen Ringens zwischen der Europäischen Union (EU) und Russland vor einer Zerreißprobe.

"Russland könnte in den kommenden Monaten verstärkt Druck auf Moldawien und Georgien ausüben", erwartet etwa Sabine Fischer, Leiterin des Forschungsbereichs Osteuropa und Eurasian bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP). Der stellvertretende Ministerpräsident Moldawiens, Eugen Carpov, hat im Reuters-Interview vorsorglich schon massive Hilfe der EU eingefordert.

Zerreißprobe zwischen EU und Russland

Ein Grund für die Zerreißprobe sind schon lange schwelende territoriale und ethnische Konflikte in allen drei früher zur Sowjetunion gehörenden Republiken. So wie sich in der Ukraine - grob vereinfacht - ein der EU zugewandter Westen und ein stark an Russland angelehnter Osten gegenüberstehen, so ist dies auch in Moldawien und Georgien der Fall. In dem kleinen Moldawien, das zwischen dem EU-Land Rumänien und der Ukraine liegt, hat sich der Ostteil Transnistrien schon kurz nach der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1991 losgesagt.

Dort sind sogar noch russische Soldaten stationiert. Erst im Januar haben zudem die Bewohner in einem weiteren abtrünnigen Landesteil, Gargausien, in einem Referendum dafür gestimmt, sich der von Russland gegründeten Zollunion anzuschließen. In Georgien hatte die russische Armee mit ihrer Unterstützung für Separatisten in den abtrünnigen Provinzen Abchasien und Ossetien 2008 Fakten geschaffen.

Aber dass die latenten Konflikte nun offen ausbrechen können, liegt wie im Fall der Ukraine an der Entscheidung über EU-Assoziierungsabkommen - obwohl beide Ländern bei weitem nicht die ökonomische Bedeutung der Ukraine haben. Moldawien mit seinen nur rund drei Millionen Einwohnern bezog 2013 deutsche Importe im Wert von 400 Millionen Euro. Georgien gehörte mit seinen rund 4,5 Millionen Einwohnern zwar zu den am schnellsten wachsenden Ländern Europas, aber auch dorthin liefern deutsche Firmen nur Waren im Wert von 400 Millionen Euro.

Gleichzeitig sind beide Länder aber die einzigen, die es im Rahmen der EU-Strategie der "östlichen Partnerschaft" überhaupt gewagt haben, trotz russischer Einwände Ende November noch ein Assoziierungsabkommen mit der EU zu paraphieren. Unterschrieben werden soll der Vertrag mit Moldawien im August. Bisher, so hatte der Osteuropa-Beauftragte Gernot Erler vor kurzem gemutmaßt, habe die russische Führung wegen der Olympischen Spiele und der Ukraine einfach noch keine Zeit gehabt, sich um die kleinen Staaten zu kümmern.

Wer das Gas liefert, bestimmt den Kurs?

Nur hat Russland starke Hebel in der Hand, um etwa den Westkurs Moldawiens zu unterlaufen. "Das Land ist sehr stark von Russland abhängig", beschreibt Fischer das Problem Moldawiens, dessen Regierung sich klar für einen Westkurs ausgesprochen hat. Dies betreffe zum einen die vielen Arbeitsmigranten, die von Russland aus Geld in die Heimat überweisen. "Zum anderen ist das Land bei Energielieferungen völlig von Russland abhängig."

"Ich hoffe wirklich, dass sich die Situation für Moldawien nicht verschlechtert. Wenn das der Fall sein sollte, dann ist es offensichtlich, dass Moldawien nicht alleine dastehen darf", hatte der stellvertretende Ministerpräsident Carpov schon Anfang Februar im Reuters-Interview betont. SWP-Expertin Fischer plädiert für eine entschiedenere Haltung der EU, die auch Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Blick auf Moldawien und Georgien im November eingefordert hatte. Wichtig wäre etwa eine Gasanbindung zur EU.

"Vor allem aber sollte die EU offen und kritisch die Auseinandersetzung mit Russland in Osteuropa suchen", fordert SWP-Expertin Fischer. Denn als Effekt der Ukraine-Wirren erwartet sie eine weitere Polarisierung zwischen der EU und Russland, das um seinen Einfluss in der Region fürchtet - obwohl die Bundesregierung betonte, dass die Ukraine und Moldawien gute Beziehungen sowohl nach Westen wie nach Osten haben sollten.

Die SWP-Wissenschaftlerin sieht es als Problem an, dass die EU mit den unterschiedlichen Interessen ihrer 28 Mitglieder bisher viel langsamer auf diese Krisenherde reagiert als etwa Russland. Deshalb hatte man sich in der EU bisher auch nur darauf einigen können, der Ukraine, Moldawien und Georgien eine Assoziierung, aber eben nicht einen Beitritt anzubieten.

Erst angesichts der Eskalation in Kiew scheint die EU umzudenken: So boten die Europäer dem Land nun doch mehr Hilfe an als noch im November. Und in der letzten Erklärung der EU-Außenminister heißt es plötzlich etwas kryptisch, dass das Assoziierungsabkommen nicht das letzte Angebot für die Ukraine sein müsse. Nun hoffen Moldawien und Georgien auf eine veränderte EU-Haltung auch für sie - bevor die offene Krise bei ihnen ausbricht. (rtr)