Washington/Cleveland.. Ein spektakulärer Prozess um religiös motivierte Zwangs-Rasuren innerhalb zerstrittener Gruppen des Amish-Volkes im US-Bundesstaat Ohio ist am Donnerstagnachmittag (Ortszeit) mit einem ebenso spektakulären Urteil zu Ende gegangen. Der Drahtzieher muss wohl für mehr als zehn Jahre ins Gefängnis.
Nach viertägigen Beratungen am Bundesbezirksgericht in Cleveland hat die Jury die 16 Angeklagten, darunter sechs Frauen, eines „Hass-Verbrechens“ (hate crime) für schuldig befunden. Sie müssen nach Angaben der Zeitung „Cleveland Plain Dealer“ voraussichtlich mit Haftstrafen von „zehn Jahre und mehr“ rechnen.
Sie sollen im Rahmen einer Verschwörung insgesamt neun Glaubensbrüdern und -schwestern im Herbst vergangenen Jahres gewaltsam Bärte oder Zöpfe abgeschnitten haben. Der Fall erregte damals weltweites Aufsehen. Hintergrund: Der Bart steht bei den Amishen, die gemeinhin für ihre mittelalterlich abgeschiedene, friedliche Lebensweise bekannt sind, für den tiefen Glauben an Gott. Männer dürfen ihn nach der Heirat nicht mehr stutzen.
Die Zwangs-Rasur war als Bestrafungsaktion gedacht
Die Tat, so folgten die Geschworenen den Ausführungen von Chefanklägerin Bridget Brennan, war von dem umstrittenen, radikalen Amish-Bischof Sam Mullet als Bestrafungsaktion für jene Amishen gedacht gewesen, die ihn Jahre zuvor aus der Gemeinde ausgeschlossen hatten oder sich von ihm abwenden wollten.
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Der 66-Jährige etablierte vor geraumer Zeit in Bergholz/Ohio eine eigene Amish-Siedlung mit derzeit 120 Mitgliedern, die er bis zu seiner Verhaftung laut Polizeiangaben mit harter Hand wie ein Sekten-Guru führt. Nach eidesstattlichen Zeugenaussagen zwang Mullet, durch Landverpachtungen zum Multimillionär geworden, verheiratete Amish-Frauen zum Sex, um ihnen „den Teufel auszutreiben“. Darunter war auch seine Schwiegertochter. Amish-Männer, die ihn kritisierten, sperrte er tagelang in Hühnerkäfigen ein.
Mullet leugnet die Tat, bezeichnet sie aber als recht und billig
Mullet, der bis zuletzt über seine Anwälte jede Beteiligung an der Tat abstreiten ließ, gegenüber dem Fernsehsender CNN gleichwohl die Strafaktion schon vor Monaten als recht und billig bezeichnet hatte, wurde außerdem für schuldig gesprochen, Beweismittel (eine Tüte mit den abgeschnittenen Bärten und Haarbüscheln...) vernichtet und die Bundespolizei FBI in Vernehmungen belogen zu haben. Das exakte Strafmaß für ihn blieb bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe offen.
Die Amish-Leute sonderten sich im 17. Jahrhundert unter Führung des Schweizer Bischofs Jakob Ammann von den Mennoniten ab. Sie wurden in Europa lange Zeit religiös verfolgt. Viele Amish-Leute, die meist aus dem Württembergischen und der der Schweiz stammten, wanderten im 18. Jahrhundert in die USA aus und siedelten sich vor allem in Ohio und Pennsylvania an. Zu ihrer Glaubensgemeinschaft, die sich vorwiegend der Landwirtschaft widmet und moderner Technik wie Autos und Fernseher verpönt, gehören heute rund 250 000 Mitglieder.
Der Prozess in Cleveland unter Leitung von Richter Dan Polster dauerte rund drei Wochen. Die Geschworenen debattierten netto über 40 Stunden hinter verschlossenen Türen, bis sie zu ihrem Urteilsspruch kamen. Viele Angehörige der Amish, die in der Regel das herkömmliche Rechtssystem meiden und Streitigkeiten unter sich regeln, nahmen als Beobachter an dem Verfahren teil.