Düsseldorf. In rechten Chatgruppen tobte sich nicht nur die Mülheimer Polizei aus, sondern auch ausgerechnet ein Observationsteam des Verfassungsschutzes.
Das Rechtsextremismus-Problem bei den Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen hat sich weiter verschärft. Wie am Donnerstag bekannt wurde, stehen auch drei Mitglieder einer Observationsgruppe des NRW-Verfassungsschutzes seit fast zwei Jahren im Verdacht, in Chatgruppen islam- und fremdenfeindliche Videos geteilt zu haben. Ein Mitarbeiter der Polizeiabteilung des Innenministeriums soll zudem per Facebook Kontakt mit Personen aus der rechtsextremistischen Szene unterhalten haben.
Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte in der vergangenen Woche gegenüber dem Landtag zwar vier Disziplinarverfahren in seinem Haus eingeräumt, die Vorwürfe aber nicht näher konkretisiert. Zudem wurde am Donnerstag ein weiterer Fall aus dem Polizeipräsidium Bielefeld öffentlich: Dort ist ein Hauptkommissar suspendiert worden, der verdächtigt wird, rechtsextreme Propaganda in einer privaten Chatgruppe verbreitet zu haben.
Die Videos sind nicht ganz so hart wie die Neonazi-Propaganda aus Mülheim
„Jede Form der Verbreitung von fremden- und islamfeindlicher Äußerungen ist inakzeptabel und wird bei uns nicht geduldet“, sagte Reul und verwies darauf, dass er im eigenen Haus bereits einen „klaren Schnitt“ gemacht habe. Der Landtag wurde dennoch von der Tatsache überrascht, dass ausgerechnet Mitglieder eines Observationsteams des Verfassungsschutzes islam- und fremdenfeindliche Inhalte verbreitet haben sollen. Ihre Aufgabe ist es normalerweise, verfassungsfeindliche Tendenzen aufzuspüren. Reul hatte dem Landtag lediglich berichtet, dass es seit 2017 zu 104 Disziplinarverfahren im Polizeibereich gekommen sei, davon vier im Innenministerium. Dort ist auch der Verfassungsschutz angesiedelt. Die Ausschussmitglieder hatten nicht nachgefragt, welche Bereiche des Innenministeriums genau betroffen seien.
Von den vier Verfahren wurde eines bereits mit der Verhängung einer Disziplinarmaßnahme abgeschlossen. Die anderen drei laufen aktuell noch. Bereits zwischen Ende November 2018 und Mitte Januar 2019 wurden in dem Chat der Observationsgruppe mehrere Videos mit fremden- und islamfeindlicher Konnotation geteilt. In den Videos werden Muslime pauschal als eine Bedrohung dargestellt, was dem in der extremistischen Szene bekannten Weltbild entspricht. Die Spitze des Verfassungsschutzes und Reul selbst sollen bereits seit eineinhalb Jahren von den Ermittlungen im eigenen Haus Kenntnis gehabt haben.
Grünen-Innenexpertin Verena Schäffer zeigte sich bestürzt über die rechten Tendenzen ausgerechnet in diesem sensiblen Arbeitsfeld: „Im Bereich des Verfassungsschutzes drohen schwerwiegende Fehleinschätzungen und damit eine Verharmlosung der Gefahren durch den Rechtsextremismus, wie wir es in der Vergangenheit im Falle des NSU erleben mussten.“
„Wer gegen Flüchtlinge wettert, fliegt raus“
Reul dagegen machte deutlich, dass sein Haus unmittelbar nach Bekanntwerden reagiert habe. Das betroffene Team im Verfassungsschutz wurde aufgelöst, das Führungspersonal ausgewechselt. Die Inhalte der Chatgruppe seien „weit entfernt“ von dem, was an Neonazi-Propaganda unter etlichen Beamten der Mülheimer Polizei kursierte. Dort wurden zuletzt Dutzende Polizisten vom Dienst suspendiert. „Eine strafrechtliche Relevanz liegt hier nicht vor“, sagte Reul mit Blick auf den Verfassungsschutz. Trotzdem seien die Vorfälle für ihn „keine Bagatellen“.
Damit wachsen in der Opposition die Zweifel, ob der Sicherheitsapparat aus sich heraus die nötige Selbstreinigung schafft. Reul hatte Uwe Reichel-Offermann, den bisherigen Vize-Chef der Verfassungsschutzes, zum „Sonderbeauftragten“ ernannt. Dieser soll intern aufräumen. „Wer gegen Flüchtlinge, Ausländer, Juden wettert, fliegt raus“, stellte der Innenminister klar. Reichel-Offermann sei zwar als Vorgesetzter mit den Disziplinarverfahren befasst gewesen, aber dadurch keineswegs befangen. „Gerade im Bereich des Verfassungsschutzes gilt: Wenn einer hier nicht sauber ist, werden wir uns intensiv darum kümmern“, versprach der Minister. Die Bereitschaft, rechte Umtriebe in den eigenen Reihen zu verfolgen, sei spürbar gewachsen. Die Zahl der internen Kollegen-Meldungen ist inzwischen auf 29 gewachsen. Ob die Fälle disziplinarrechtlich oder gar strafrechtlich verfolgt werden können, ist noch unklar.