Düsseldorf. Kurz vor der geplanten Selbstausrufung als Kanzlerkandidat sucht der neue CDU-Chef noch seine Rolle. Die Lage wird immer komplizierter.
Armin Laschet hatte am Mittwochmorgen kaum seine Rede im Düsseldorfer Landtag begonnen, als er schon wieder seinen Aufbruch ankündigte. „Ich werde jetzt gleich wieder die Debatte verlassen müssen, weil die Bundeskanzlerin die Ministerpräsidenten kurzfristig vor zehn Minuten eingeladen hat“, teilte der NRW-Ministerpräsident den verblüfften Abgeordneten mit. Über den Inhalt der eilig anberaumten Unterredung machte er nebulöse Andeutungen: „Ich denke, dass wir sehr kritisch dort über das reden, was da vor zwei Tagen passiert ist.“
In diesem Moment eilte Laschets wichtigster Vertrauter, Staatskanzlei-Chef Nathaniel Liminski, in den Plenarsaal. Er war von einer Schaltkonferenz mit Kanzleramtschef Helge Braun aufgehalten worden, in der die wohl tollkühnste Regierungsrolle rückwärts der gesamten Pandemie-Bekämpfung vorbereitet wurde: das Aus für die umstrittene „Osterruhe“.
Laschet selbstkritisch: "Wir können so nicht weitermachen"
Laschet war schon vor der Krisensitzung mit der Kanzlerin nicht verborgen geblieben, was die Stunde geschlagen hat. Die Presse-Lage an diesem Morgen: verheerend. Die Umfrage-Lage: für die Union im Allgemeinen und für Laschet im Besonderen immer schlimmer. Die Koalitions-Lage in Düsseldorf: erstmals seit fast vier Jahren Regierungszeit wirklich heikel.
In den Landtagsfraktionen von CDU und FDP, die Laschets Regierung mit nur einer Stimme Mehrheit tragen, waren die neuesten Lockdown-Beschlüsse mit einer Gefühlspalette von Skepsis über Ablehnung bis hin zu Sarkasmus quittiert worden. Laschet sah sich genötigt, im Landtag mit Büßergewand aufzutreten: „Diese Ministerpräsidentenkonferenz hat die Menschen enttäuscht, wenn man da von 14 Uhr sitzt bis drei Uhr nachts und verhandelt, stundenlang nur in kleinen Gruppen“, sinnierte er.
Der Ministerpräsident vergrub bei seiner Selbstgeißelung am Rednerpult die linke Hand in der Hosentasche und fuhr mit der rechten so engagiert durch die Luft, als müsste er einen lästigen Schwarm Mücken verscheuchen. Doch ihn umschwirren bloß bohrende Fragen zu einem immer verworreneren Krisenmanagement. Impf-Versagen, fehlende Tests, eine noch immer nicht nachgearbeiteten Nachverfolgungs-App. Streit um Schulschließungen, schleppende Wirtschaftshilfen, Hin und Her im Handel. Jetzt auch noch „Osterruhe“ und Mallorca statt Sauerland.
Ist die Kehrtwende ein gutes Zeichen für die politische Kultur?
Auf das höhnische Gelächter aus den Oppositionsreihen hin rief Laschet fast flehentlich: „Das nennt man: Selbstkritik desjenigen, der dabei war. Wir können so nicht weitermachen.“ Als die Kanzlerin später die nächtliche Idee der kaum umsetzbaren „Osterruhe“ kassierte und alle Schuld auf sich nahm, versuchte der Ministerpräsident das Eingeständnis des Scheiterns als honorigen Schritt zu würdigen: „Ich finde, es tut der politischen Kultur in Deutschland gut, wenn man dann auch rechtzeitig die Notbremse zieht.“
Dass die beispiellose Kehrtwende Merkels postwendend als „Kanzlerinnendämmerung“ gelesen wurde, macht die Lage für Laschet noch komplizierter. Knapp zehn Wochen nach seiner Wahl zum CDU-Bundesvorsitzenden sucht er noch immer seine Rolle. Es ist als Moderator bei den eigenen Funktionären durchaus beliebt, aber als Anführer kaum sichtbar. Laschet wirkt aktuell zerrieben zwischen Düsseldorf und Berlin, zwischen unzähligen Terminen und Video-Konferenzen, von denen jedoch nie eine Botschaft ausgeht, die breite Wahrnehmung erführe.
Laschets Krisenmanagement wird als Zickzack-Kurs wahrgenommen
Laschets zwischen Lockerungen und Lockdown changierendes Krisenmanagement wird überdies als Zickzack-Kurs beurteilt. Er ist eben kein Corona-„Imperator“, sondern sucht umständlich die langeangepasste Abwägung der staatlichen Mittel. Bloß gelingt es ihm selten, das öffentlich zu vermitteln. Wer heute Dortmund die Schulschließungen rabiat verbietet und morgen barmend vor überfüllten Intensivstationen warnt, verwirrt die Bürger. Wer markig den „Impfturbo“ ankündigt und zwei Wochen später die eigene Impf-Bürokratie nachbessern musst, weckt kein Vertrauen. Wer wöchentliche Tests für alle Schüler verspricht und erst kurz vor den Osterferien eilig mit Polizeiautos den Lehrkräften die Kartons inklusive Anleitung vor die Füße karrt, erntet Kopfschütteln.
Die Quittung: Laschets persönliche Umfragewerte, die eigentlich mit dem CDU-Vorsitz automatisch steigen sollten, sinken weiter und weiter. Noch ruft kein namhafter Christdemokrat nach dem deutlich beliebteren CSU-Chef Markus Söder als Kanzlerkandidaten. Doch müsste Laschet bei seiner geplanten Selbstausrufung nach Ostern, wohl auf dem Scheitelpunkt der dritten Infektionswelle, der abgestürzten Union in der schwersten Krise seit Kohls Spendenaffäre Führungsstärke und Siegzuversicht vermitteln. Kann er das?