Essen. Das in die Krise geratene Bahnunternehmen Abellio wird seine Regional- und S-Bahnlinien vorerst weiter betreiben. Die Zukunft aber bleibt offen.
Der angeschlagene Regionalzugbetreiber Abellio wird auch in NRW vorerst weiterfahren. Das haben der Verkehrsverbund Rhein Ruhr (VRR) und zwei weitere Verkehrsverbünde zusammen mit Abellio am Freitag bekannt gegeben. Über die Konditionen der befristeten Fortführungsvereinbarung mit der in Zahlungsschwierigkeiten steckenden Tochter der niederländischen Staatsbahn gab es keine Details.
Das Unternehmen Abellio mit Sitz in Hagen fährt an Rhein und Ruhr unter anderem die RRX-Linien 1 und 11 sowie die S-Bahnen 2, 3 und 9, wobei der VRR mit 80 Prozent der Verkehrsleistungen Hauptauftraggeber von Abellio in NRW ist.
VRR und Abellio gewinnen vier Monate Zeit
In Sachsen-Anhalt, Thüringen und Baden-Württemberg hatte es zuletzt Einigungen auf einen Weiterbetrieb der örtlichen Abellio-Linien gegeben. Die Fortführungsvereinbarung, die die Verkehrsverbünde VRR, NWL und NVR nun mit Abellio beschlossen haben, läuft bis Ende Januar 2022. Die kommenden vier Monate sollen dazu dienen, eine langfristige Basis für eine künftige Zusammenarbeit mit der deutschen Tochter der niederländischen Staatsbahnen zu treffen.
Klar ist, dass der Schienenpersonennahverkehr (SPNV) in NRW für die Verkehrsverbünde, und damit für die öffentliche Hand, künftig teurer werden wird. Abellio, aber auch andere private Verkehrsunternehmen wie etwa Keolis (Eurobahn), sind in die Krise geraten, weil die Einnahmen durch die auf viele Jahre vereinbarten Verkehrsverträge die stark gestiegenen Kosten nicht mehr decken. Das dies womöglich auch selbst verschuldet ist, durch Dumpingangebote der Unternehmen bei den Ausschreibungen der Strecken, weist man bei Abellio zurück.
Die Zukunft von Abellio in NRW bleibt offen
Abellio steht weiterhin vor schwierigen strukturellen und wirtschaftlichen Herausforderungen. Das Unternehmen befindet sich seit dem 30. Juni 2021 in einem Schutzschirmverfahren zur Restrukturierung des Unternehmens. In diesem gesetzlich auf drei Monate begrenzten Zeitraum zahlt die Bundesagentur für Arbeit Löhne und Gehälter, Anfang Oktober wird Abellio voraussichtlich in ein reguläres Hauptverfahren in Eigenverwaltung gehen, teilten die Verkehrsverbünde mit.
Ob sich die wirtschaftliche Zukunft sichern lässt? Die Verkehrsverbünde kündigten am Freitag an, Abellio finanziell entgegenkommen zu wollen: „Wir streben eine grundlegende strategische Lösung an, die langfristig für alle Wettbewerber im SPNV eine wirtschaftlich auskömmliche Basis für die zu erbringenden Dienstleistungen darstellt“, sagte Heiko Sedlaczek, Geschäftsführer des Verkehrsverbunds NVR.
Vier Monate "Perspektive" für Abellio-Beschäftigte
„Die Fortführungsvereinbarung ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer konstruktiven Lösung für die fünf von Abellio betriebenen Netze und einer erfolgreichen Sanierung des Unternehmens“, erklärte der Abellio-Generalbevollmächtigte Prof. Dr. Lucas Flöther in einer Pressemitteilung. Für Bahnnutzer aber auch für die in NRW gut 1060 Beschäftigten von Abellio sei damit für die kommenden vier Monate vorerst eine Perspektive gegeben, sagte VRR-Vorstandssprecher Ronald R.F. Lünser.
Aus der Krise ist Abellio jedoch längst noch nicht: "Jetzt geht es darum, gemeinsam mit den Aufgabenträgern eine langfristig tragfähige Ausgestaltungen für die fünf Verkehrsverträge im Stammland von Abellio in Angriff zu nehmen“, sagte Rainer Blüm, Vorsitzender der Geschäftsführung der Abellio Rail GmbH.
Mehr Geld für die privaten Bahnunternehmen
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Wie weit die Verkehrsverbünde Abellio in NRW entgegenkommen werden, hat jedoch Grenzen. Zwar erklärten die Verkehrsverbünde, sie hätten erkannt, dass sich die wirtschaftliche Belastung der Bahnunternehmen durch Personalkosten aber auch infolge von Strafgeldern für Verspätungen, die sie selbst hingegen nicht in Gänze zu verantworten hätten, "in den vergangenen Jahren verändert haben", heißt es in der Erklärung der Verkehrsverbünde. Man sei deshalb "in vertretbarem Rahmen" bereit, den Bahnunternehmen entgegenzukommen, sagte NWL-Geschäftsführer Joachim Künzel: Doch "wir müssen auch die sinnvolle und wirtschaftliche Verwendung von Steuergeldern sicherstellen."
Ziel sei es, Abellio zu halten, teilte der VRR mit. Man strebe "eine langfristig rechtsverbindliche Kooperation mit Abellio im Rahmen der ursprünglichen Verträge unter Beibehaltung von Zuverlässigkeit und Sicherheit sowie Fairness und Wettbewerb im nordrhein-westfälischen SPNV“ an, heißt es in der Erklärung. Nun gehe es darum, inwieweit auch die bestehenden Verkehrsverträge rechtssicher nachgebessert werden könnten, um den privaten Bahnunternehmen zu ermöglichen, ihre Einnahmen und Kosten wieder in Einklang zu bringen - indem etwa Strafgelder ("Pönale") etwa nur dort angelastet werden, wo das Bahnunternehmen auch direkt verantwortlich ist für Verspätung oder Zugausfall. Und indem in den Verträgen nachträglich ein Weg eingebaut wird, dass Abellio und Co. etwa die Kosten ersetzt bekommen, die für die Ausbildung etwa von Triebfahrzeugführern anfallen, Stichwort: Lokführermangel.
Druck durch die Fahrgäste
Unter Druck sieht man sich bei den Verkehrsverbünden aber auch durch die Bahnkunden: "Die Anforderungen unserer Fahrgäste an einen qualitativen Nahverkehr auf der Schiene steigen", heißt es in der Erklärung des VRR: "Dem müssen wir im Sinne einer zeitgemäßen Mobilität Rechnung tragen." Mit dem für die kommenden vier Monate beschlossenen Zeitaufschub seien "die nötigen Weichen gestellt worden."
Bei einem möglichen Aus für Abellio drohen jedoch offenbar keine Zugausfälle. Für eine Übernahme der Linien stünden gleich mehrere Bahnbetreiber bereit, hieß es vor Bekanntgabe des Kompromisses beim VRR. Ein Druckmittel muss man bei VRR und Co. ja auch haben.