Essen/Gelsenkirchen. In Gelsenkirchen lernen Geflüchtete, wie man NRW-Regionalzüge steuert. Der Lokführer-Kurs soll einem großen Mangel entgegensteuern.

„Deutschland muss wieder Bahnland werden“, sagt NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst gern bei passender Gelegenheit. Der CDU-Politiker stellt damit unmissverständlich klar, wo er die größten Defizite auf dem Weg zu einer klimafreundlicheren Mobilität sieht: auf der Schiene. An Geld zum Ausbau der Infrastruktur mangelt es in letzter Zeit nicht. Von insgesamt rund zwölf Milliarden Euro, die die Deutsche Bahn in diesem Jahr bundesweit in Gleise und Technik investiert, fließen laut Wüsts Ministeriums allein 1,5 Milliarden Euro und damit mehr als je zuvor ins nordrhein-westfälische Netz. Mit Geld allein ist es jedoch nicht getan.

Schon jetzt Engpässe

Jemand muss die Züge fahren, die auf den neuen Gleisen rollen sollen. Und auf diesem Gebiet herrscht blanke Not. Um Bahnland sein zu können, muss Deutschland erst einmal Lokführerland werden. In NRW ist der Mangel an Triebfahrzeugführern, wie der Berufsstand offiziell heißt, mit den Händen zu greifen. Schon jetzt kommt es deshalb immer wieder zu Engpässen im Regionalverkehr. Nach Angaben der Branche gehen in den nächsten Jahren rund 40 Prozent aller Lokführer im regionalen Schienenverkehr in NRW in den Ruhestand.

Bedarf an Fahrpersonal steigt

Zusätzlich steigt der Bedarf an Fahrpersonal durch dichtere Takte und Kapazitätsausweitungen. Das Verkehrsministerium rechnet damit, dass in den kommenden fünf Jahren 1700 Lokführerstellen neu besetzt werden müssen. Doch der Arbeitsmarkt ist leergefegt. Die neugegründete Projektgruppe Fokus Bahn des Ministeriums sucht seit geraumer Zeit fieberhaft nach Wegen aus dem Dilemma. Bereits angelaufen ist eine Kampagne, mit der mehr Frauen für den noch immer männer-dominierten Beruf gewonnen werden.

Landesweiter Pilotkurs

Ins Blickfeld rücken jetzt auch zunehmend Migranten und Flüchtlinge. In Gelsenkirchen läuft zurzeit der landesweit erste Ausbildungslehrgang zum Lokführer, der eigens auf Migranten abgestimmt ist. Im Ausbildungszentrum der Stiftung Bildung und Handwerk lernen 13 Männer aus sieben Nationen, wie man nordrhein-westfälische Regionalzüge steuert und deutsches Bahn-Reglement sicher beherrscht.

Eisenbahner-Deutsch

Zentrale Punkte der Ausbildung sind die Schulungen am Fahrsimulator, aber auch ein spezieller Sprachkurs, der die Teilnehmer mit dem Eisenbahner-Deutsch vertraut macht. „Mit diesem Pilotkurs sprechen wir gezielt Menschen an, die als Geflüchtete zu uns gekommen sind. Wir bilden neue Lokführer aus und bieten den Bewerbern eine einmalige Chance der Integration und Weiterbildung“, betonte Verkehrsminister Wüst jetzt bei seinem Besuch in Gelsenkirchen.

"Schon immer ein Kindheitstraum“

My Adil Lahbabi wurde durch seinen Berufsberater im Jobcenter auf den Kurs aufmerksam gemacht. „Ich hatte keine Vorstellung, was das ist: Lokführer. Dort, wo ich herkomme, gibt es praktisch keine Eisenbahn“, erzählt der 36-jährige Marokkaner, der eigentlich Koch ist, seinen alten Beruf aus gesundheitlichen Gründen aber nicht mehr ausüben könne. Für Tamer Karacan (35) aus der Türkei war Lokführer dagegen „schon immer ein Kindheitstraum“. Beide Männer lernen in Gelsenkirchen nicht nur das Eisenbahner-Handwerk, sondern auch die Hoffnung zu hegen, „nie wieder arbeitslos zu sein“.​

Auch Akademiker sind dabei

Betreut werden die Kursteilnehmer von Emin Liebscher. Der Lokführer ist Mentor für die Teilnehmer des Pilotkurses. Liebscher stammt aus Syrien und weiß, was es heißt, in einem fremden Land beruflich neu durchstarten zu müssen. „Zu uns kommen fast alle Berufsgruppen, auch Akademiker sind darunter.“ Sie alle eine ein Ziel, betont Liebscher: Teil dieser Gesellschaft zu werden.