Bochum. Corona-Maßnahmen müssten zielgenauer sein, sagt Grundrechtsexperte Prof. Stefan Huster. Sonst bestehe die Gefahr, dass Menschen sie ignorieren.
Während Intensivmediziner die geplanten Ausgangssperren als Hilfe gegen die steigenden Infektionszahlen begrüßen, wachsen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Regelung, mit der der Staat tief in die Freiheitsrechte der Menschen eingreifen würde. Der Bochumer Grundrechtsexperte Prof. Stefan Huster kritisiert die mit der Bundes-Notbremse möglichen Ausgehverbote zwischen 21 Uhr und 5 Uhr morgens als politische Holzhammermethode.
„Es geht zu weit, den Menschen zu verbieten, abends einen Spaziergang um den Block zu machen. Davon geht keine Infektionsgefahr aus“, sagt der Professor für Öffentliches Recht, Sozial- und Gesundheitsrecht und Rechtsphilosophie an der Ruhr-Uni Bochum. Damit trifft er sicherlich den Nerv vieler verärgerter Bürger. Die Maßnahmen müssten zielgenauer sein und von der Politik vor allem gut erklärt und begründet werden. „Ausgangssperren sind das allerletzte Mittel“, so Huster. „Sie sind ein außerordentlich grobes Instrument, da es nicht verhindert, dass Menschen sich zusammensetzen und feiern.“
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Grundsätzlich verfassungswidrig seien Ausgehverbote nach Ansicht des Rechtsprofessors allerdings nicht. „Man muss sich die Begründung dafür genau ansehen. Wenn Ausgangssperren Besuche verhindern sollen und es hinreichende Hinweise dafür gibt, dass Treffen in privaten Räumen ein wesentlicher Treiber der Pandemie sind, dann kann eine solche Regelung für eine befristete Zeit zulässig sein“, führt Huster aus.
Gericht kippte Ausgehverbot
Zuletzt hatte das Verwaltungsgericht Arnsberg gleich in mehreren Verfahren solche Regelungen beanstandet. Nun wollen die betroffenen Kreise Siegen-Wittgenstein und der Märkische Kreis die Streitfrage vor das Oberverwaltungsgericht bringen. Das Thema habe landes- und bundespolitische Tragweite, so die Begründung.
Nächtliche Ausgangsbeschränkungen galten in NRW bisher nie landesweit, aber zeitweise in mehreren Kreisen und Städten mit besonders vielen Corona-Fällen. So hatten etwa die Kreise Siegen-Wittgenstein, Minden-Lübbecke und der Märkische Kreis sowie Remscheid und Hagen in Abstimmung mit dem Land verfügt, dass die Menschen ab 21 Uhr nicht mehr ohne triftigen Grund unterwegs sein dürfen. In Eilverfahren hatten die Gerichte die Regelungen verworfen. Sie seien unverhältnismäßig und hätten nur eine begrenzte Wirksamkeit, so das Gericht.
Widerstand gegen Maßnahmen könnte zunehmen
„Bei solchen weitgehenden und pauschalen Regelungen besteht die Gefahr, dass diese Verordnungen von den Gerichten gekippt werden“, kommentiert Huster die Verfahren. Wenn Ausgangssperren aber im Infektionsschutzgesetz verankert würden, bliebe möglichen Klägern nur noch der Gang vor das Verfassungsgericht.
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Doch jenseits juristischer Fragen berührt die Maßnahme das Lebensgefühl vieler Menschen. Ausgangssperren vermitteln den Eindruck von Hausarrest oder Einsperrung. „Je weniger den Bürgern einleuchtet, was entschieden wird und je gröber die Maßnahmen werden, die zudem noch ganz harmlose Tätigkeiten wie einen Abendspaziergang umfassen, desto mehr gefährdet das die Bereitschaft, sich an die Regelung zu halten“, sagt Huster. Dies gefährde die Akzeptanz auch anderer Corona-Regeln. Es sei ein Gebot der politischen Klugheit, die Toleranzschwelle der Menschen mit pauschalen Maßnahmen nicht zu überfordern.
Für die Politik sei es indes verführerisch, mit weitreichenden Maßnahmen zu arbeiten, um sich Detaillösungen zu ersparen, erklärt Huster. „Das ist nachvollziehbar. Aber rechtsstaatlich betrachtet muss man versuchen, die Maßnahmen so zielgenau wie möglich zu gestalten.“ Den Menschen daher pauschal zu verbieten, ab 21 Uhr aus dem Haus zu gehen, „das ist grenzwertig“.