Berlin..

In seinem Tagebuch berichtet ein gerade aus dem Afghanistan-Einsatz zurückgekehrter deutscher Soldat über seinen Einsatz. Im ersten Teil macht er deutlich, wie gefährlich der Alltag ist - und wie schwer, den Feind klar zu identifizieren.


Ende März

Abends gab es die TE-Punkte (Lagebericht) mit den aktuellen Meldungen. Es hieß, dass im Süden Afghanistans wieder Amerikaner getötet wurden und es Anschläge mit IED (Improvised Explosive Device, Sprengfallen) gab. Bei uns in Kundus wurde eine Brücke gesprengt, die von Truppenteilen von uns aufgebaut worden war. Damit wollen die Taliban verhindern, dass wir tiefer in ihr Gebiet eindringen können.


2. April, Karfreitag, Dorf Isa Khel

„Blitzschlag, Blitzschlag, eigene Teile im Feuerkampf!“ heißt die Meldung. Die Fallschirmjäger waren wegen eines Mine Sweeps bei dem Dorf Isa Khel. Mine Sweep ist das Suchen nach Sprengmitteln, versteckten Ladungen und Minen, also ein echter Scheiß-Job. Der Angriff kam aus dem Nichts, mit Kalaschnikows und RPGs (Rocket Propelled Grenades, Panzerfäusten). Beim Rückwärts-Ausweichen war ein Dingo-Transportfahrzeug angesprengt worden, das überhaupt nicht mehr zu gebrauchen war und von der eigenen Truppe gesprengt wurde. Es gab bei uns die ersten Ausfälle, Tote und Verletzte.

Die amerikanischen Black Hawk-Hubschrauber sind unter Beschuss eingeflogen und haben Verwundete evakuiert. Die Luftunterstützung durch die Kampfbomber hat nicht geholfen, sie durften keine Bomben werfen. Es wurden ständig neue Truppen rangeführt, weil kein Ausweichen mehr möglich war. Die Taliban schießen nicht gezielt, aber ein Munitionsproblem, wie es vorher hieß, scheinen sie nicht zu haben.

Die halten die Kalaschnikow einfach über die Mauer von einem Compound, so einem Gehöft, drüber und dann wird das Magazin mehr oder weniger blind in unsere Richtung leer geschossen. Dann lassen sie die Waffe fallen und rennen als schreiender Zivilist sozusagen ins nächste Gebäude über die Straße drüber. Wir schießen natürlich nicht auf die, weil die ja Zivilisten sind und Zivilisten will man ja nix tun. Und im nächsten Gebäude haben sie ihre nächste Waffe, nehmen die und schießen dann wieder auf uns. Man hat einfach kein klares Ziel, das man bekämpfen kann. Ein deutscher Schützenpanzer Marder hat dann noch ein Fahrzeug von den ANA Soldaten (Afghan National Army) zerschossen. Dabei sind 5 ANA Soldaten getötet worden. Die ANA hatte sich nicht gekennzeichnet und auch nicht auf Haltesignale und Warnschüsse reagiert, worauf die Marder-Besatzung handeln musste, wegen der extrem hohen Bedrohungslage. Als wir spät ins Lager kamen, hieß es, die deutsche Presse hat schon berichtet. Wir haben dann gleich zu Hause angerufen. Meine Frau war schon in Panik und hatte bereits vergeblich versucht, mich zu erreichen. Es hat mich sehr belastet, sie so zu hören, meine Süße, aber ich konnte sie etwas beruhigen.

Es ist ein böser Tag gewesen. 3 Kameraden wurden getötet und 8 verletzt.


6. April

Heute wurde mitgeteilt, dass der COM, das ist der Führer von unserem PRT Kundus (Provincial Reconstruction Team, Regionales Wiederaufbau-Team), befohlen hat, dass sämtliche Schuldzuweisungen im Bezug auf Karfreitag und die 3 toten Kameraden zu unterlassen sind. Das heißt ja wohl: vor allem an der Führung darf nichts kritisiert werden.

Das passt ja wieder. Vor allem, weil unsere Leute von der Luna (Drohne zur Aufklärung), die vor und während des Gefechtes in der Luft war, gesagt haben, dass sie alles beobachten konnten, dass sie die Taliban schon im Vorfeld gesehen hatten und dann von der Führung einfach nicht reagiert wurde. Dazu kommt, dass die Bänder vom Flug konfisziert und als „Streng Geheim“ eingestuft wurden.

Ich habe heute am Schwarzen Brett Auszüge aus den Medien lesen können. Da bekommt man echt Zorn. Die Scheiß-Medien sägen immer wieder an unserem Stuhl mit ihren schlecht recherchierten, reißerischen Berichten. Dann bekommt unsere Führung Angst um ihren guten Ruf und beschneidet uns in unseren Möglichkeiten, uns zur Wehr zu setzen. Am Ende müssen wir mit unserem Leben und unserer Gesundheit dafür gerade stehen.


8. April

Die Medien lassen uns hängen. Das kann man ja auch in den Nachrichten zu dem Fall vom letzten Freitag sehen. Dort redet keiner mehr über unsere gefallenen Kameraden, aber über die toten ANA Soldaten, die zu blöd waren, sich zu kennzeichnen und auf Warnungen zu reagieren. Wir sind ja so böse und schlecht. Nach dem Kampf habe ich mitbekommen, wie sehr einigen von uns der Tod der drei Kameraden nahe ging. Es gibt Leute, die in ihre Fahrzeuge nicht mehr einsteigen können, weil sie die Erinnerungen nicht mehr losgeworden sind und wieder das ganze Blut vor Augen haben. Oder der Kamerad, der drei blaue Müllsäcke vollgeblutetes Verbandsmaterial aus seinem Dingo geräumt hat und der gesagt hat, dass das Blut 1 cm hoch auf dem Boden schwappte. Da wird einem doch ganz anders.

Dann wurde uns mitgeteilt, dass das Heeresführungskommando nachgefragt hat, ob wir die FLW100, die elektrohydraulische MG Lafette, von dem kaputten Dingo abgebaut haben, bevor die Kiste gesprengt wurde? Weil die Scheiß-Lafette ja Tausende und Abertausende Euro kostet.

Das ist eine Frechheit, so etwas nur zu denken. Es sind 3 Kameraden tot und mehrere zum Teil schwer verwundet und der Rest ist gerade so mit dem Leben davon gekommen. Und dann fragen die im Ernst, ob die Lafette ausgebaut wurde, weil sie doch so teuer ist. Da sieht man wieder direkt, wo hier der Schwerpunkt liegt, und das sind nicht unsere Gesundheit und unser Leben.

Ja, und zu guter letzt wollte der COM (Kommandeur) Kundus, ein Oberst, das Wrack besichtigen und sich ein eigenes Bild von der Lage machen. Dazu hat er die Kameraden, die Karfreitag dort gekämpft haben, gefragt, ob sie mitkommen. Die Antwort: „Natürlich gerne, und sobald wir einen dort sehen, schießen wir dem gleich die Scheiß-Fresse weg!!!“. Darauf soll der COM gesagt haben, dass man doch sowas nicht sagen könne. Für mich steht es fest, lieber vor Gericht wegen 10 toter Zivilisten als nur einmal zu wenig geschossen und deshalb einen Kameraden verloren zu haben. Wenn es der Führung nicht passt, können sie mich ja wieder nach Hause schicken.


Redaktioneller Hinweis:
Unter Zusicherung der Anonymität spricht der Soldat in seinm Tagebuch offen über seine Einsatzerfahrungen, die keinerlei Anspruch auf Objektivität, Vollständigkeit oder Ausgewogenheit in der Darstellung erheben. Um ihn zu schützen, und um seine Karriere nicht zu gefährden, sind Orts- und Zeitangaben sowie Details anonymisiert. Die Nachrichtenagentur dapd hat sich der Identität und Integrität des Soldaten versichert.


Das Bundesverteidigungsministerium ließ eine umfangreiche Anfrage der nachrichtenagentur dapd zu verschiedenen Behauptungen in diesem Tagebuch zuständigkeitshalber vom Einsatzführungskommando beantworten. Wortlaut: „Ich teile Ihnen zu der Anfrage mit, dass im Einsatzführungskommando der Bundeswehr hierzu keine Erkenntnisse vorliegen.“ (dapd)