Berlin. .

In einer äußerst scharf geführten Debatte über das Energiekonzept haben sich Regierung und Opposition gegenseitig Unwahrheiten und Missachtung demokratischer Rechte vorgeworfen. Die Stadtwerke prüfen eine Beschwerde bei der EU-Kommission.

In einer äußerst scharf geführten Debatte über das Energiekonzept haben sich Regierung und Opposition gegenseitig Unwahrheiten und Missachtung demokratischer Rechte vorgeworfen. Während Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) von „argumentationslosem Kampfgeschrei“ bei SPD, Grünen und Linken sprach, warnten diese vor dem Ende des gesellschaftlichen Friedens in Deutschland. Die Grünen nannten das Verhalten der Koalition einen „Putsch“ gegen Rechte der Opposition.

Die Opposition scheiterte mit einem Antrag, Debatte und Abstimmung in letzter Minute zu stoppen, weil die Beratung der vier Energiegesetze zu kurz und undemokratisch gewesen sei. Im Umweltausschuss des Bundestags hatte es in den vergangenen Tagen tumultartige Szenen gegeben. Die Opposition sah sich in ihrem Recht verletzt, Änderungsanträge einzubringen. Die Koalition vermutete dagegen nur Verzögerungstaktik.

Zentraler Streitpunkt beim Energiekonzept ist die Verlängerung der Laufzeiten für die 17 deutschen Atomkraftwerke um durchschnittlich zwölf Jahre. Von den zusätzlichen Gewinnen der vier Betreiber will die Koalition bis zu 30 Milliarden Euro abschöpfen und in den Ausbau erneuerbarer Energien stecken. Ihrer Argumentation zufolge wäre die Umstellung auf Ökoenergien bis 2050 sonst nicht bezahlbar. Die heutige Opposition, die in der Regierung vor zehn Jahren den Atomausstieg bis 2021 durchsetzte, warnt vor den Gefahren der Technik und davor, dass der billige Atomstrom den Ausbau erneuerbarer Energien verzögert.

„Energiepolitische Blindgänger“

Umweltminister Röttgen sagte, SPD, Grüne und Linke hätten kein Gegenkonzept. Sie seien „energiepolitische Blindgänger, Sie haben nichts drauf.“ Dagegen wolle die Regierung „die effizienteste, klimafreundlichste, wettbewerbsfähigste Energieversorgung, die es weltweit gibt in einem Industrieland“. Dies sei in Zahlen belegt. Die Koalition wolle bis 2050 einen Anteil von 80 Prozent für erneuerbare Energien an der Stromversorgung, 80 Prozent weniger Kohlendioxidausstoß und eine Halbierung des Energieverbrauchs. „Das ist unser Konzept, das ist Zukunft, und zwar ganz konkret“, sagte er. Über diese Ziele gebe es in Wahrheit Konsens im Bundestag. Dazu solle sich die Opposition bekennen.

Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) argumentierte ähnlich und warf den Anhängern der Opposition vor, den für erneuerbare Energien so wichtigen Netzausbau zu blockieren. Um den Widerstand der Bürger zu überwinden, schlug Brüderle einen „nationalen Pakt für neue Netze“ vor.

Karlsruhe soll Gesetze stoppen

Die früheren Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) und Jürgen Trittin (Grüne) zerpflückten dagegen das Konzept der Regierung und griffen ihren Nachfolger auch direkt an. Röttgen fülle seine Aufgabe als Minister für Reaktorsicherheit nicht aus, sagte Gabriel. Unter anderem weiche er Sicherheitsstandards für Atomkraftwerke auf. Der SPD-Chef zeigte sich sicher, die längeren Atomlaufzeiten noch stoppen zu können: „Wir werden dieses Gesetz beim Bundesverfassungsgericht zu Fall bringen.“

Dies bekräftigte auch Grünen-Fraktionschef Trittin. Denn die Koalition habe im Bundestag die Rechte der Minderheit ignoriert und wolle auch den Bundesrat nicht beteiligen. „Sie brechen die Verfassung und sie spalten die Gesellschaft“, sagte Trittin. Die Entscheidung zur Verlängerung der Laufzeiten diene nur den vier Kraftwerksbetreibern.

Linken-Fraktionschef Gregor Gysi schloss sich der Kritik an. Wenn in Deutschland ein Atomkraftwerk explodiere, werde Leben hier unmöglich: „Das nehmen Sie alles in Kauf für die Profitinteressen von vier Konzernen“, sagte Gysi. „Das ist nicht nachvollziehbar.“

Im Regierungsviertel demonstrierten während der Debatte Tausende mit einer Menschenkette und einem ohrenbetäubenden Pfeifkonzert gegen die Laufzeitverlängerung.

Stadtwerke prüfen Beschwerde gegen Laufzeitverlängerung bei EU

Die Stadtwerke prüfen eine Beschwerde gegen die geplante Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke bei der EU-Kommission. Juristen seien bereits mit der Formulierung beauftragt worden, sagte der Geschäftsführer der Stadtwerke Schwäbisch Hall, Johannes van Bergen, am Donnerstag in Berlin. An der Beschwerde würden sich seiner Einschätzung nach „mehr als 100 Stadtwerke beteiligen“. Die kommunalen Versorger befürchten massive Wettbewerbsnachteile gegenüber den vier großen Energieversorgern.

Van Bergen machte deutlich, dass die Beschwerde bei der Generaldirektion Wettbewerb allerdings erst eingereicht werden könne, wenn das Gesetz im Gesetzesblatt stehe. „Unmittelbar danach“ wollten die Stadtwerke tätig werden. Er erinnerte daran, dass die EU-Kommission auch gegen Belgien wegen Wettbewerbsverzerrung ermittle, das ebenfalls eine Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke beschlossen habe. „Von daher gehen wir davon aus, dass die Kommission diesen Antrag auf Wettbewerbsverzerrung aufgreifen wird und ein Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland einleiten wird.“

Die Stadtwerke wollen gemeinsam mit mehreren Bundesländern gegen die geplante Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke, die Teil des Energiekonzepts ist, vorgehen.

Die rheinland-pfälzische Umweltministerin Margit Conrad (SPD) bekräftigte ihre Ankündigung, vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe klagen zu wollen. Nordrhein-Westfalen, Bremen, Berlin und Brandenburg wollen sich nach Conrads Angaben einer Klage anschließen. (dapd)