Stuttgart/Heilbronn. .
In der Schlichtung zu „Stuttgart 21“ hat in den Gesprächen zwischen Gegnern und Befürwortern des Bahnprojekts keine Annäherung gegeben. Ein Einlenken der Gegner von Stuttgart 21 zeichnet sich nicht ab.
Im Streit über das Bahnprojekt „Stuttgart 21“ zeichnet sich auch nach dem Beginn der Schlichtungsgespräche zwischen den Gegnern und Befürwortern des Vorhabens keine Annäherung ab. Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) wies am Freitag zahlreiche Argumente der Deutschen Bahn als nicht zutreffend zurück. Auch der Sprecher der Initiative „Leben in Stuttgart - kein Stuttgart 21“, Gangolf Stocker, zeigte bei dem Treffen im Stuttgarter Rathaus keine Bereitschaft zum Einlenken.
Zuvor hatte das Bahn-Vorstandsmitglied Volker Kefer für das Projekt geworben. Er sagte, in Stuttgart biete ein Durchgangsbahnhof „ein Drittel mehr Leistungsfähigkeit“ gegenüber dem bisherigen Kopfbahnhof. Konkret könne dadurch die Kapazität um mehr als 200 Züge pro Tag erhöht werden - bei „gleichzeitiger Halbierung“ der Gleiszahl. Kefer bot zugleich an, sich über Konfliktpunkte wie den Fahrplan oder die Infrastruktur zu unterhalten.
Geißler sieht Gespräche als mögliches Vorbild
Im Zeitalter der Mediendemokratie könnten Großprojekte wie „Stuttgart 21“ nicht mehr umgesetzt werden „wie vor 20 Jahren“, hob Geißler noch vor den Schlichtungsgesprächen hervor. Die Diskussion in Stuttgart, bei der Politiker wie der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) „auf Augenhöhe“ mit Vertretern von Bürgerinitiativen sprächen, könnten „vielleicht eine Art Prototyp auch für später“ sein. Durch ein solches Vorgehen könnten „solche Eskalationen und solche Konfrontationen“ wie bei den Protesten gegen „Stuttgart 21“ vermieden werden.
Bei dem Streit geht es auch um die geplante Neubaustrecke zwischen Wendlingen und Ulm. Kefer erläuterte, die Bahn wolle ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber dem Flugverkehr gewährleisten. Zudem wolle sie die Reisenden dazu bewegen, nicht mit dem Auto zu fahren, sagte Kefer. Man setze durch den „Lückenschluss im Südwesten“ auf einen Zuwachs von zwei Millionen Reisenden pro Jahr, die von der Straße auf die Schiene wechseln. Dies bedeute auch eine „erhebliche Entlastung der Umwelt“.
Palmer entgegnete, das Projekt „Stuttgart 21“ bedeute in Wahrheit eine Schwächung des Schienenverkehrs. Kefer habe bei seinem Vortrag „getrickst“. Auch die Warnung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vom Donnerstag treffe nicht zu, dass Baden-Württemberg „Stuttgart 21“ brauche, um nicht verkehrlich und wirtschaftlich abgehängt zu werden.
Schlichtungsgespräch wird live übertragen
Palmer kritisierte, die Bahn werbe mit „Mondzahlen“ für das Projekt. Der bisherige Kopfbahnhof habe „sich bewährt“. Es koste wesentlich mehr Geld, „alles kaputt zu machen“ und wieder neu zu gestalten, als das Vorhandene zu „ertüchtigen“. Außerdem sei nicht bewiesen, dass durch „Stuttgart 21“ so viele Arbeitsplätze geschaffen werden, wie die Bahn behaupte. Der Schlichter Heiner Geißler forderte daraufhin, sachliche Widersprüche bei der Bewertung des Projekts müssten im Verlauf der Schlichtung aufgeklärt werden. Die Bürger müssten die Argumente nachvollziehen können.
Gegner und Befürworter des Bahnprojekts „Stuttgart 21“ treffen sich heute zu einem ersten Schlichtungsgespräch. Es wird vom ehemaligen CDU-Generalsekretär Geißler moderiert, der den Runden Tisch erst nach zähem Ringen organisieren konnte. Das Schlichtungsgespräch findet im Stuttgarter Rathaus zwischen 10 und 17 Uhr statt und wird im Fernsehen (Phoenix, SWR) und im Internet live übertragen.
Geißler fordert zur Öffnung auf
Für die Befürworter nehmen Ministerpräsident Stefan Mappus, Verkehrsministerin Tanja Gönner, Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (alle CDU), Bahnvorstand Volker Kefer, der Ministerialdirektor im Verkehrsministerium, Bernhard Bauer, der Vorsitzende der Region Stuttgart, Thomas Bopp, und der Pfarrer Johannes Bräuchle von der Initiative Pro „Stuttgart 21“ teil. Die Gegner werden durch die Grünen-Politiker Boris Palmer und Werner Wölfle, den Stuttgarter Stadtrat Hannes Rockenbauch, die BUND-Landesvorsitzende Brigitte Dahlbender, den Architekten Peter Conradi, den Sprecher der Initiative „Leben in Stuttgart - kein Stuttgart 21“, Gangolf Stocker, und Klaus Arnoldi vom Verkehrsclub Deutschland vertreten.
Bereits zum Auftakt des Gesprächs hatte Geißler die Teilnehmer ermahnt, „streng zur Sache“ zu reden. Es sei nicht sinnvoll, parteipolitische Auseinandersetzungen zu führen. Geißler fügte hinzu: „Wir wollen hier keine Predigten hören und keine Glaubensbekenntnisse.“ Die Zuhörer bat Geißler, sich für neue Argumente zu „öffnen“.
Merkel fordert mehr Offenheit über Kosten von Großprojekten
Als Konsequenz aus dem Streit um Stuttgart 21 fordert Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mehr Offenheit über die Kosten von Großprojekten. „Sagt am Anfang den richtigen Preis, damit nicht hinterher Enttäuschung entsteht“, sagte Merkel am Donnerstagabend auf einer CDU-Regionalkonferenz im baden-württembergischen Heilbronn. Sie werde fast jeden Tag damit konfrontiert, dass die Schätzungen wie zum Beispiel beim Kernfusionsprojekt Iter oder dem Satellitensystem Galileo nicht stimmen. „Habt nicht am Anfang Angst, den richtigen Preis zu sagen“, appellierte sie an die Adresse der Projektbetreiber.
Merkel begrüßte zugleich das bevorstehende Schlichtungsverfahren unter der Leitung des CDU-Politikers Heiner Geißler zum 4,1 Milliarden Euro teuren Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs. „Wenn Projekte 15 Jahre dauern, dann ist es eine gute Entscheidung, wenn wir sagen, da gibt es noch einen Schlichter, und wir versuchen die Dinge noch mal auf den Tisch zu bringen“, sagte Merkel. Die baden-württembergische Landesregierung habe richtig entschieden, dass die künftige Hochgeschwindigkeitsstrecke Paris-Bratislava durch Baden-Württemberg führe und nicht an dem Bundesland vorbei. Seit Monaten gibt es in Stuttgart Demonstrationen gegen den Umbau in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof und die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm.
Schlichtungsgespräche einmal wöchentlich
Mit dem Gespräch am heutigen Freitag beginnt die erste von insgesamt sieben Schlichtungsrunden zwischen Befürwortern und Gegnern im Stuttgarter Rathaus. Die Schlichtung war nach zähem Ringen erst vor einer Woche zustande gekommen. Bis Ende November wollen Gegner und Befürworter mindestens einmal wöchentlich Argumente austauschen. Laut Geißler sind weitere Themen der Schlichtung die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm, die Kosten- und Wirtschaftlichkeitsrechnung des Projekts, Geologie, Sicherheit und Bauablauf, Ökologie und städtebauliche Entwicklung und die von den Gegnern propagierte Projektalternative „Kopfbahnhof 21“.
Bei „Stuttgart 21“ soll der Stuttgarter Hauptbahnhof für 4,1 Milliarden Euro von einem Kopf- in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof umgebaut werden. (dapd/rtr/afp).