Lübeck. .

In Lübeck gibt es seit 2009 den „Lübecker Bildungsfonds“ für alle bedürftigen Kita- und Schulkinder, nicht nur Hartz-IV-Kinder. Wer Geld bekommt, entscheiden Kindergarten-Leiter oder Klassenlehrer. Mit der angedachten Chipkarte droht dem Fonds das Aus.

Ein neuer Tag bricht an in Bundeskanzlerin Angela Merkels „Herbst der Entscheidungen“. Am Mittwoch will das Kabinett die neuen Hartz-IV-Sätze samt Bildungspaket für Kinder abnicken. Obwohl Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) in einem medialen Dauermarathon für Bildungspaket samt Chipkarte getrommelt hat, befürchten die Lübecker, dass bald ein übler Herbststurm von Berlin aus über sie hinwegfegt. Denn in der Hansestadt gibt es seit 2009 den „Lübecker Bildungsfonds“ für alle bedürftigen Kita- und Schulkinder, nicht nur Hartz-IV-Kinder.

Die Verantwortlichen warnen davor, dass von der Leyens Modell ihren Fonds kaputt macht – wenn nur noch die Jobcenter für die Bildungsleistungen zuständig sind. Drei Jahre ist es her, dass die Stadt Lübeck eine Bestandsaufnahme von ihrer Jugendhilfe machte. Das Urteil fiel vernichtend aus. Die Einrichtungen reagierten nur statt zu agierten, die Angebote waren intransparent und die Ausgaben schnellten nach oben.

Kita-Leiter oder Klassenlehrer haben Finanzhoheit

Die Lübecker entschlossen sich zu einem neuen Modell, „ohne weitere Zusatzstrukturen“, wie der Chef des Jugendhilfeausschusses, Jan Lindenau, sagt. Herausgekommen ist ein Fonds, der 2009 gerade einmal 2353 Euro Verwaltungskosten verursacht hat und auch für die Kinder von Geringverdienern gedacht ist. Die Hoheit über die Mittel haben die Personen, die die Kinder mit am besten kennen: die Kita-Leitung oder der jeweilige Klassenlehrer. „Es ist das erste Mal, dass ich sagen kann, eine Maßnahme hat wirklich geholfen“, erzählt der langjährige Direktor der Grund- und Hauptschule „Roter Hahn“, Knut Klenner.

In der Praxis sieht das Modell so aus: Jede Schule und Kita bekommt Geld aus dem Fonds auf ein eigenes Konto. Darüber dürfen die Lehrer verfügen. Die Stadt Lübeck kontrolliert in Stichproben, dass damit kein Schindluder getrieben wird. Zu Beginn eines Schuljahres helfen die Lehrer den Kindern oder Eltern, den Antrag für Beihilfen auszufüllen. Wer kurzfristig in finanzielle Not geraten ist, kann für sein Kind in einem kurzen Schreiben um Hilfe bitten. Der Lehrer entscheidet dann, ob sie gewährt wird.

Hemmschwelle höher

„Viele Eltern kenne ich noch aus ihrer Schulzeit“, sagte Jörg Vorwerk, Lehrer an der Roten-Hahn-Schule. Dies hat zwei Vorteile: Zum einen kann der Lehrer als Vertrauensperson gut abschätzen, wer wirklich Hilfe braucht. Zum anderen mag die Hemmschwelle ungleich höher sein, den Lehrer grundlos um Geld anzupumpen als eine anonyme Behörde.

1,67 Millionen Euro sind im vergangenen Jahr aus dem Fonds an 2847 Kinder gegangen, das macht 583 Euro pro Kind. Die Hälfte davon floss in den Essenzuschuss und die Sprachförderung. Daneben bleiben auch Mittel für Klassenfahrten und Sportangebote. Verglichen mit anderen Städten sind die Lübecker freilich in einer komfortablen Situation. So kommt das Geld nicht nur von Bund und Land, sondern rund eine Million Euro aus sechs Stiftungen.

Kritik an von der Leyen

Für die stellvertretende Parteichefin der SPD, Manuela Schwesig, ist der Lübecker Bildungsfonds dennoch ein Modell für Deutschland. „Der Bildungsfonds ist eines der besten Projekte, die mir bislang bekannt sind“, sagte Schwesig vor kurzem bei einer Stippvisite in Lübeck und ließ dabei kein gutes Haar an der Bildungschipkarte von der Leyens.

Noch lieber dürften die Lübecker gehört haben, dass die Sozialdemokraten der Reform nur zustimmen wollen, wenn die Jobcenter nicht zum alleinigen Ansprechpartner für die Bildungsleistungen werden.