Berlin. .
Im Streit um die Vorratsdatenspeicherung geht die Bundesjustizministerin in die Offensive. Denn: Die bayerische Liberale steht schwer unter Beschuss. Ausgerechnet ein Regierungspartner sorgt dafür. Ein Gespräch über die innere Sicherheit.
Auch ohne die von der Union zuletzt vehement geforderte Vorratsdatenspeicherung sei die Aufklärung von Straftaten mit Internet-Bezug durch die Polizei möglich. Mit dieser Kern-Aussage begegnete Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) im Interview mit DerWesten dem Vorwurf von Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) und dem Chef des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziecke, es gebe „bewiesene Schutzlücken“, seit das Bundesverfassungsgericht im März das Gesetz über die pauschale, sechsmonatige Speicherung von Telefon-, Handy- und E-Mail-Daten gekippt hat.
Frau Ministerin, sind Sie ein Risiko für die innere Sicherheit?
Leutheusser-Schnarrenberger: Nein. Ich sorge dafür, dass Freiheit und Sicherheit in gesunden Einklang gebracht werden können. Bundeskriminalamt und Bundesinnenminister legen diesen Verdacht aber sehr bewusst nahe.
Man wirft Ihnen im Kern vor, ein Gesetz zu verschleppen und den Ermittlern so wichtige Instrumente bei der Aufklärung und Verhinderung von schwersten Straftaten vorzuenthalten.
Ich finde es schon bemerkenswert, wie hier ein Kabinettskollege eine Kampagne gegen den Koalitionspartner startet. Ich mache eine rechtsstaatlich orientierte Rechts- und Innenpolitik. Und die kann nach der vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe im März gekippten Vorratsdatenspeicherung gar nicht sorgfältig genug sein.
Aber die Beispiele, die gegen Sie angeführt werden, sind doch drastisch. Mord, versuchte Sprengstoffanschläge, Kinderpornografie. Alles ohne Vorratsdatenspeicherung nicht in den Griff zu kriegen, sagt der Innenminister und spricht von „bewiesenen Schutzlücken“. Übertreibt Herr de Maiziere?
Ja, es gibt die so pauschal behaupteten Schutzlücken nicht. Gerade bei schweren Straftaten haben die Ermittlungsbehörden - auch nach dem Urteil aus Karlsruhe - die Möglichkeit, auf Telekommunikationsdaten zuzugreifen. Das gilt sogar im Falle von so genannten Internet-Flatrates. Dazu sollte man aber auch einmal die Dimensionen registrieren.
Was genau meinen Sie damit?
In 2009 waren bei 4,7 Millionen Strafermittlungsverfahren nur in 0,5 Prozent der Fälle Telekommunikationsdaten überhaupt von Belang. Und noch etwas: Die Aufklärungsquote von Straftaten mit Internet-Bezug ist seit 2007 von 82,9 Prozent in 2009 auf 75,7 Prozent zurückgegangen. Im vergangenen Jahr galt die Vorratsdatenspeicherung noch. Das zeigt doch deutlich die Vollzugsprobleme.
Warum dann die harsche Kritik des Innenministers. Will er auf Kosten der FDP sein konservatives Profil schärfen und die Law-and-Order-Fans in den eigenen Reihen erfreuen?
Ich denke schon, dass es hier um Profilierungsversuche in der inneren Sicherheit geht. Das hat es immer gegeben. Erstaunlich ist nur, dass die, die jetzt so laut nach der Vorratsdatenspeicherung rufen, daran beteiligt waren, dass seinerzeit ein verfassungswidriges Gesetz verabschiedet wurde.
Sie haben als Kompromiss angeboten, Kommunikationsdaten beim Verdacht von schweren Straftaten „einzufrieren“ und später auf richterlichen Beschluss zur Verwertung „auftauen“ zu lassen. „Quick-Freeze“ bringt nichts, sagt dagegen der Innenminister. Seine Begründung: Wo keine Daten sind, kann weder eingefroren noch aufgetaut werden. Klingt irgendwie logisch, oder?
Auch das stimmt nicht, wie ein Blick etwa in die USA zeigt, wo die Methode mit Erfolg angewandt wird. Die Internet-Provider in Deutschland haben uns glaubhaft versichert, dass sie sehr wohl Daten zur Entgelt-Ermittlung oder zur Erstellung von Einzelverbindungsnachweisen über Monate speichern. Darauf können Ermittler zugreifen und gegebenenfalls weitere Ansätze zur Tataufklärung verfolgen. Das Problem ist: Eine anlasslose Datenspeicherung ist ein tiefer Eingriff in die Vertraulichkeit von Kommunikation. Der Einzelfall rechtfertigt nicht die pauschale Speicherung aller Kommunikationsdaten von 82 Millionen Bundesbürgern. Die Probleme liegen doch ganz woanders.
Wo denn?
Wenn sich in Hamburg 1450 Kripobeamte 50 Rechner mit Internetzugang teilen müssen, wird es schon schwierig mit der Aufklärung. Wenn das BKA nur 30 Experten hat, um gegen Kinderpornografie vorzugehen, ebenfalls. Wenn im gleichen Deliktfeld die personellen Kapazitäten fehlen, Computer-Festplatten hinreichend auszuwerten, dann ist doch klar: Es gibt Vollzugsdefizite, die behoben werden müssen. Beim Abbau dieser Vollzugsdefizite hat der Bundesinnenminister nachdrücklich meine drängende Unterstützung.
Wann kommt von Ihnen ein grundgesetzkonformes Gesetz, dass nicht Gefahr läuft, von der EU-Justiz oder erneut von Karlsruhe beanstandet zu werden?
Zunächst muss man abwarten, was die EU-Kommission selbst unternimmt. Sechs EU-Länder haben die Richtlinie bisher aus verfassungsrechtlichen Gründen überhaupt nicht umgesetzt, die Grundlage war für das bei uns in Karlsruhe aufgehobene nationale deutsche Gesetz. Es besteht kein Grund zur Panikmache.
Wie wird das Duell Innenminister gegen Justizministerin ausgehen, muss die Kanzlerin am Ende schlichten?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich habe mit „Quick Freeze“ einen sinnvollen Kompromiss angeboten, der jetzt endlich sachlich diskutiert gehört. Reine Stimmungsmache hilft der inneren Sicherheit nicht weiter. Meiner Einschätzung nach braucht es keinen Mediator.